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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 02.02.2015
LeuteAuf a Glas'l mit Gerhard Mumelter

„Wir brauchen radikale Schritte”

Veröffentlicht
am 02.02.2015
Gerhard Mumelter nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Journalist über Südtirols vertane Chancen, ein neues Autonomiestatut und wie Italien aus der Misere herauskommt.
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Gerhard Mumelter, Journalist.

Gerhard Mumelter (67) berichtete viele Jahre aus Rom und brachte Deutschsprachigen im In- und Ausland die Wirren der italienischen Politik näher. Der renommierte Südtiroler Journalist ist seit zwei Jahren Pensionist, kann die Finger vom Schreiben aber nicht lassen. „Jetzt wollte ich es ruhiger angehen, aber tue fast mehr als vorher“, sagt er. Unter anderem betreibt er einen Blog bei „Internazionale”, erstellt politische Analysen für die Rai, nimmt an Diskussionsrunden teil und beteiligt sich mit Beträgen auf salto.bz. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund. Seine Analysen der italienischen Zustände sind oft vernichtend. Nicht weil es ihm Spaß machen würde, sondern weil man nicht anders urteilen kann, so Mumelter. In seinen Berichten schwingt stets etwas Wehmut mit. Ich treffe Gerhard Mumelter bei sich zu Hause in Bozen, während er erzählt, setzt er Grüntee auf.

Herr Mumelter, fühlen Sie sich in Südtirol wieder angekommen?
Die Lebensqualität in Rom hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Rom ist von der Korruption verseucht und steht am Rande des Bankrotts. Der Verkehr kollabiert, die Menschen werden immer aggressiver. So gesehen hat Bozen sicher eine andere Lebensqualität.

Sie galten in Ihrer Jugend als nicht sehr pflegeleicht. War es der strenge Vater, das enge Südtirol?
Ich habe 1968 maturiert. Ich glaube, viele jüngere Südtiroler können sich kaum vorstellen, wie Südtirol damals war. Heute ist man es gewohnt, dass es viele Medien gibt. Damals gab es keine Möglichkeit, sich auszudrücken. Die einzige war viermal im Jahr der „Skolast”, die Zeitschrift der Hochschülerschaft. Aber wenn du nicht tatest, was die „Dolomiten” oder andere von dir wollten, setzte es eine Ohrfeige. Josef Rampold hatte mich in den „Dolomiten” in der Dauerkur. Ich habe zum Beispiel mit der Hochschülerschaft vehement für eine eigene Universität in Südtirol gekämpft. Das hat genügt, um angefeindet und an den Pranger gestellt zu werden. Es gab ein Einheitsdenken, und wer aus diesem Einheitsdenken auch nur leicht ausscherte … Es mag sein, dass ich nicht pflegeleicht war, aber die Situation damals war noch viel weniger pflegeleicht. Und 1968 war ich nicht der einzige Nicht-Pflegeleichte.

Es heißt oft, die 68er-Bewegung kam erst mit einigen Jahren Verspätung in Südtirol an.
Nein, das kann man nicht sagen. In meiner Maturaklasse war schon einige Bewegung.

Mumelter besuchte das Franziskanergymnasium in Bozen, flog von der Schule und ging dann nach Meran ins Lyzeum. Sein Vater schickte ihn ins Gamperheim, später nahm er sich mit einem Freund ein Zimmer. Zur Schule ging er unter anderem mit Cristina Kury und Georg Schedereit.

Gegen was müsste man heute rebellieren?
Heute gibt wieder eine Form des Einheitsdenkens. Aber die Situation hat sich sehr zum Positiven gewendet. Was mich stört, ist, dass in Südtirol mit wenigen Ausnahmen der große Vorteil der Mehrsprachigkeit nicht so genutzt wird, wie er genutzt werden könnte.

Wo könnte man da ansetzen?
Es gibt kaum einen Südtiroler, der weiß, dass wir eine Universität haben, an der die fünf Dekane fünf verschiedene Sprachen sprechen. Da liegt Südtirols Zukunft. Wenn ich höre, dass die Trentiner ein dreisprachiges Schulsystem aufbauen, dann habe ich den Eindruck, dass wir wieder mal die Zukunft verschlafen. Es ist für mich unvorstellbar, dass es in Südtirol keine einzige zweisprachige Schule gibt.

Was würden Sie sich für Südtirol wünschen? Was soll in der Wirtschaft passieren, in der Landwirtschaft, in der Politik?
Vom Konvent, der im Herbst eingesetzt werden soll, erwarte ich mir einiges. Aus diesen Beratungen mit allen Sprachgruppen, sozialen Gruppen, Wirtschaft und so weiter, soll ein neues Autonomiestatut hervorgehen. Das Statut ist Jahrzehnte alt, es ist nicht mehr zeitgemäß. Was ich mir von einer zukunftsträchtigen Provinz erwarte, muss da zu Papier gebracht werden. Gleichberechtigung der Sprachgruppen. Ein neues Konzept für die Landwirtschaft, weil hier eine industrialisierte Landwirtschaft keine Zukunft hat. Wir machen Werbung mit unserer Kulturlandschaft und verstecken sie dann unter Plastikplanen.

Was ist mit den Wutbürgern? War das nur ein kurzes Aufflackern, oder werden wir mit diesem Phänomen noch länger zu tun haben?
Es ist interessant, dass die Südtiroler Volkspartei in einem Jahr die Hälfte ihrer Mitglieder verloren hat. Dass es der SVP als einer relativ kleinen Partei gelungen ist, einen Schuldenberg von fünf Millionen Euro anzuhäufen. Ein Magnago würde sich im Grab umdrehen. Die Tatsache dass das Buch von Christoph Franceschini über den SEL-Skandal in der dritten Auflage ist, tausende Bücher verkauft wurden und das Buch nun ins Italienische übersetzt wird ist, für mich ein klarer Beweis, dass es tausende Leute gibt, die nachlesen und wissen wollen, was da für Skandale passiert sind. Wir wissen, Südtirol ist ein Land der Freunderlwirtschaft, in dem eine Hand die andere wäscht. Über Jahre hinweg. Das kann man jetzt alles genau nachlesen. Der SEL-Skandal ist nicht mehr wegzubringen, die Rentenfrage, all das bedingt eine Änderung. Bis vor einem Jahr hat sich Südtirol als Modellregion preisen können. Wer das SEL-Buch liest, weiß, dass wir von einer Modellregion weit entfernt sind. Wir sind eine Modellregion, in der die größte Bank in der Bilanz ein Loch von 50 Millionen aufweist, um nur eines zu nennen.

Dieses Großkotzige der vergangenen Jahrzehnte musste aufhören. Es wurde gebaut und gebaut, und heute wissen wir, dass etwa im Sanitätswesen schon vor Jahren die Notbremse hätte gezogen werden müssen. Die Leute werden sich dieser Dinge bewusst und gehen auf die Barrikaden, das sehe ich schon positiv. Oder dass es in vielen Gemeinden zu Vorwahlen kommt, dass die SVP unter dem Druck der Tatsachen das kleine Edelweiß, oder auch mehrere Edelweiße, in den Gemeinden zulässt. Das bringt eine gewisse Dynamik in ein statisches System, das lange Zeit ein monarchisches war.

Was können wir uns von Arno Kompatscher erwarten? Er ist mir großen Vorschusslorbeeren gestartet, aber wenn man die Analysen in den Zeitungen liest, herrscht da eher Ernüchterung bis Enttäuschung vor.
Ich finde, dass Kompatscher die Abkehr von Jahrzehnten der Großspurigkeit gut meistert. Aber er muss vor allem auslöffeln, was andere ihm eingebrockt haben. Mit dem SEL-Skandal hatte er nichts zu tun, mit dem Rentenskandal auch nicht, mit den Schulden der SVP oder dem Kleinkrieg der Altmandatare genauso wenig. Auch für die Probleme im Gesundheitswesen kann er nichts. Er wollte sicher mit anderen Themen starten. Aber eine Demo mit Fackeln, wie jene beim Krankenhaus Sterzing, hat es bisher nicht gegeben, das letzte Mal war wohl Sigmundskorn (lacht).

Mumelter arbeitete als Koch, Gastwirt, Lehrer, Gärnter, schrieb für die Kulturzeitschrift „sturzflüge”, war Gründungsmitglied und erster Vorsitzender der Südtiroler Autorenvereinigung. 1970 gab er die erste Anthologie über Südtiroler Literatur heraus. Die Hochschultagung, bei der Norbert C. Kaser seine berühmte Wutrede auf Südtirols Literaten hielt, hatte Mumelter mitorganisiert. „Ich wollte Dinge anstoßen“, sagt er. „Wenn es lief, suchte ich mir neue Projekte.“

Wie kamen Sie zum Journalismus?
Mein Metier, schon zu Oberschulzeiten, war die Literatur. Ich habe im „Skolast” begonnen zu schreiben, und im Blatt für deutsche Leser des „Alto Adige”. Jammerschade, dass es das nicht mehr gibt. Ich bin der Meinung, dass jemand, der nur die „Dolomiten” oder nur den „Alto Adige” liest, die Realität in diesem Land ganz anders erfasst als jemand, der beides liest, oder auch ein zweisprachiges Medium wie „salto.bz”. Ich habe beim Sender Bozen Urlaubsvertretungen gemacht. Das war perfekt für mich als Lehrer. Bis dann in Rom ein Job frei wurde. 1978, am Tag vor Weihnachten, sagte mir Hansjörg Kucera, dass der Job zu haben sei. Aber ich müsse am nächsten Tag anfangen. Also bin ich nach Rom.

Mumelter lebte zwei Jahrzehnte lang in Rom und berichtete für verschiedene Medien über Italien. Auch in Südtirol wird er oft und gern als Experte für italienische Politik angehört: „Ich habe mich fast 20 Jahre lang bemüht, ausländischen Lesern und Fernsehzuschauern die Wirrnisse der italienischen Politik näher zu bringen. Das ist total schwierig. Besonders Berlusconi war immer schwer zu vermitteln. Wieso der immer noch da ist. Aber ich werde oft auf meine Beiträge angesprochen, das freut mich.“

Was braucht Italien, um aus der Misere herauszukommen?
Die Anomalien der italienischen Politik sind so gigantisch und hartnäckig, dass man die kaum wegbekommt. Italien hat das größte, teuerste und ineffizienteste Parlament. Jetzt bringt die Lega Nord 44.000 Abänderungsanträge für das neue Wahlgesetz ein. Das versteht niemand. Alles ist exzessiv. Es gibt in Italien eine extrem starke Lobby innerhalb und außerhalb der Politik, die bisher jede Reform sehr effizient ausgehöhlt hat. Seit Jahrzehnten gab es keine fundamentale Reform. Renzi muss sein Programm durchziehen, aber er zieht es jetzt schon nicht gut durch, der Jobs-Act etwa ist eine mini-mini-Reform. Wir brauchen radikale Schritte. In ein, zwei Jahren wird man wissen, ob er Erfolg hatte, sonst ist es aus.

Kommt dann die Troika wie in Griechenland?
Das weiß ich nicht. Aber Italien steht am Rande des Bankrotts.

Kann das den Politkern denn egal sein?
Vielen schon. Vielen ist es auch willkommen. Seit den Wahlen vor zwei Jahren haben 181 Parlamentarier Partei gewechselt. Einige davon bis zu viermal. Damit verfälschen sie das Wahlergebnis. So etwas gibt es sonst nirgendwo in Europa. Da nützt auch keine Neuwahl.

Was ist mit dem Movimento 5 Stelle?
Ich denke, dass ein Großteil der Bürger Italiens zumindest die Hälfte des Parteiprogramms der Fünf-Sterne-Bewegung unterschreiben würde. Leider haben sie ihre politische Strategie absolut verfehlt. Außerdem stören mich die ständigen Schimpftiraden Grillos. Die Fünf-Sterne-Bewegung wird leider nie mehr 26 Prozent bei einer Wahl bekommen. Aber daran sind sie vielfach selbst schuld. In der Bewegung gärt es.

Was haben die falsch gemacht? War es die Fundamentalopposition?
Aus meiner Sicht hätten sie Bersani damals eine Liste von fünf Programmpunkten übermitteln sollen, und fünf Namen, die sie im Kabinett haben wollen. Dann hätte es eine ganz andere Richtung genommen. Aber nur im Parlament sitzen und schimpfen, dafür brauche ich keine neue Partei.

Warum gibt es nicht mehr Proteste in Italien?
Die Leute sind müde und wenden sich ab. Die Tatsache, dass Renzi plötzlich 40 Prozent bekommen hat, zeigt, dass viele ihn als letzten Rettungsanker sehen. Ob zu Recht oder nicht, werden wir sehen.

Was sagen Sie zu Südtirols Parlamentariern?
Ich habe die Kandidatur von Francesco Palermo sehr begrüßt. Dass zwei unterschiedliche Parteien sich auf einen Kandidaten aus der Zivilgesellschaft einigen, das ist der Weg.

In Südtirols Medienlandschaft hat sich nun einiges getan. Was zeichnet sie aus, oder was sind ihre Schwächen, auch im Vergleich zu unseren Nachbarländern?
Mit den zwei Tageszeitungen, also „Dolomiten” und „Alto Adige”, bin ich sehr unzufrieden. Ansonsten hat sich im Vergleich zu früher sehr viel getan. Der Sender Bozen ist vom Programm her sicher sehr ansprechend und kann einen Großteil der Südtiroler objektiv informieren, wie sich das für ein öffentlich-rechtliches Medium geziemt. „FF” und „Die Neue Südtiroler Tageszeitung” sind sicher positiv. Und es gibt „Salto”, ein Projekt, für das ich mich sehr einsetze. Ich denke, ein mehrsprachiges Medium wirkt anders. Hier kann man die Diskussion mit beiden Sprachgruppen führen. Aber so etwas ist halt schwer finanzierbar, wie Onlinemagazine allgemein. Auch Seiten wie „Franzmagazine” und „BARFUSS” wünsche ich großen Erfolg.

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