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Valentina Gianera
Veröffentlicht
am 15.12.2020
LeuteInterview mit Christine Lasta

„Theater ist ein Ritual“

Veröffentlicht
am 15.12.2020
Die neue Leiterin des Brunecker Stadttheaters über die Leidenschaft für die Schauspielerei und neue Tabus der Theaterszene.
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Christine Lasta (Mitte)

Mit 15 stand Christine Lasta zum ersten Mal auf der Bühne. Der ehemalige Leiter des Brunecker Stadttheaters, Klaus Gasperi, hat sie damals ohne jegliche Erfahrung für eine Rolle im Theater im Pub engagiert. Heute ist Christine Lasta ein bekanntes Gesicht der Südtiroler Theaterszene und hat im Juli zusammen mit Jan Gasperi und Sabine Renzler die Leitung des Brunecker Stadttheaters übernommen.

Klaus Gasperi hat dich zum Theater gebracht, ist er auch dafür verantwortlich, dass du beim Theater geblieben bist?
Daran ist das Feuer schuld, das in mir entbrannt ist. Im Theater habe ich so viel entdecken können, das ich im “normalen Leben” nie entdeckt hätte. Plötzlich habe ich mich mit ganz anderen Themen beschäftigt. Bei Klassikern und sozialkritischen Stücken, aber auch bei Komödien stieß ich plötzlich auf Themen, die ich nie gegoogelt hätte!

Gibt es eine Rolle, die dich in diesem Sinn besonders beeinflusst hat?
Die Rolle der Mascha in Tschechows Stück “Die Möwe” war für mich ein ausschlaggebender Moment. Ich habe mich zum ersten Mal von einer Rolle treiben lassen, habe den Mantel meiner tatsächlichen Person Christine abgeworfen und es geschafft, ganz und gar in die neue Rolle hineinzuschlüpfen. Der Regisseur hat mich damals – ich weiß gar nicht mehr, wie alt ich war – dazu ermutigt, die Christine links liegen zu lassen und rechts eine neue Person an die Hand zu nehmen, sie zu führen, mich in sie hineinzuversetzen. Während dieser Arbeit habe ich Blut geleckt! Das gelingt einem aber nicht jedes Mal, sich so wie eine Schlange zu häuten und zu sagen: Ich ziehe mir jetzt ein neues „Gewandl” an.

Theatermensch Christine Lasta

Wann ist das besonders schwierig?
Eine gute Komödienfigur ist das Anspruchsvollste überhaupt. Ich habe lange Zeit geglaubt, ich hätte kein komödiantisches Talent. Aber auch da hat es eine Episode gegeben, wo ich gemerkt habe: Je ernster man die Probezeit bei einer Komödie nimmt, desto „lustiger” wird es nachher. Komödie ist eine Absprache, bei der man sich zu 100 Prozent auf die Partner verlassen muss.

Wenn du die Haut der Christine ablegst, um in die Rolle der Mascha zu schlüpfen, gibst du dabei nicht noch mehr von deiner eigenen Person preis?
Ja, meinem Partner und dem Regisseur musste ich mich vollends öffnen. Dieser Prozess, der sich während der Proben abspielt, ist sehr spannend. Es gelingt einem nicht immer, das eigene „Sopraabito” abzulegen und mit einer ganz hellen Figur zu starten; einer Figur, auf die man noch ganz viele dunkle, verschiedenfarbige Tupfer malen muss, um daraus eine andere zu machen. Manchmal ist es besser, sich so nackt wie möglich zu machen, um eine bedingungslose Grundlage zu schaffen. Aus diesem Nacktsein kann etwas Neues geformt werden. Es ist wie mit einer Geschichte: Nur aus dem Mut, aus einem unbeschriebenen Blatt eine Geschichte zu bauen, Wörter auf ein weißes Blatt Papier zu schreiben, ohne Angst, dass sie vielleicht anfangs nicht zusammenpassen, kann etwas Neues und Einzigartiges entstehen. Auch eine Rolle ist ein Wachsen, bei dem es unglaublich viel Mut braucht. Diesen Mut habe ich erst mit der Zeit gefunden. Was mir am Anfang fehlte, war Selbstbewusstsein.

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dir diesen Mut, dich zu öffnen, gegeben hat?
In der Rolle der Mascha habe ich gesehen, dass ich mich trauen muss, Fehler zu machen. Und ich mache wirklich sehr ungern Fehler! Als junge Schauspielerin hatte ich immer das Gefühl, jemandem etwas beweisen zu müssen, mich von meiner besten Seite zeigen zu müssen, zu zeigen, dass ich alles kann. Heute weiß ich, dass das der falsche Ansatz war. Beweisen muss ein Schauspieler niemandem etwas. Im Gegenteil: Theater erlaubt es, sich immer wieder neu infrage zu stellen. Manchmal ist der Mut, einen Schritt zurückzutreten und sich nochmals von außen zu reflektieren, der einfachere Weg als an den eigenen Stärken hängenzubleiben.

Viele benutzen das Theater als Sprungbrett zum Film. Du selbst bist immer beim Theater geblieben. Warum?
Erstens war ich viel zu faul, um mich bei verschiedenen Agenturen anzupreisen. Zweitens hat mir der Mut gefehlt. Hätte ich mich selbst in einem Film gesehen, ich hätte mich mit der Christine, die ich dort sehe, auseinandersetzen müssen. Davor hatte ich immer großen Respekt.

Was hat das Theater dem Film voraus?
Das Theater wird live erlebt. Die Bequemlichkeit, sich am Abend vor Social Media zu setzen, hat oft absolut theatralische Züge, hat aber nichts mit dem eigentlichen Theater zu tun. Auch im Film gibt es leider immer weniger „Echtes”. Das Theater aber arbeitet mit dem Hier und Jetzt, mit Schauspielern, die unabhängig von ihrer momentanen Gefühlslage ihre Rolle spielen müssen – und zwar so, dass sie damit das Publikum erreichen. Das ist in einem kleinen Raum, wie beispielsweise im Stadttheater Bruneck, besonders prägnant: Die Emotionen der Schauspieler sind nahezu greifbar!

Christine Lasta (rechts) als Mascha in Tschechows “Die Möwe”

Trotzdem schauen sich viele lieber zu Hause einen Film an.
Natürlich hat auch jeder Film seine Berechtigung. Aber ich mache mir Sorgen, dass das Ritual, das mit dem Theater verbunden ist, nicht mehr gepflegt wird. Sich zu überlegen, was man anzieht, die Kinder früh ins Bett zu bringen, aus dem Haus zu gehen und dann mit einem freien Kopf ins Theater zu gehen, um sich auf das Thema einzulassen. Im Theater wird auch nicht schnell aufs Handy geschaut, man wird nicht dauernd abgelenkt, sondern kommt in den Genuss, sich nur einer Sache, dem Theater zu widmen. Wir machen das alle viel zu wenig.

Du nimmst im Theater also auch mal gerne die Rolle des Publikums ein?
Dadurch, dass ich die letzten beiden Jahre nicht gespielt habe, habe ich endlich mehr Zeit (und, auch Lust) gefunden, selbst ins Theater zu gehen. Für mich ist der Theaterbesuch ein richtiges Ritual! Ins Auto setzen, etwas hinter mir lassen, in ein fertiges Produkt, an dem zig Leute wie wild gearbeitet haben, eintauchen, mich mitreißen lassen. Das ist ein unglaublicher Genuss!

Wenn du dann wieder auf der Bühne stehst, denkst du an die Erwartungen des Publikums?
Die Erwartungshaltung des Publikums kann nie zur Gänze erfüllt werden. Es gibt viele, die zuerst eine Kritik lesen und dann entscheiden, ob sie ins Theater gehen oder nicht. Das ist der falsche Ansatz. Jeder sollte sich selber ein Bild machen, um zu entscheiden, ob es einem gefällt. Und auch wenn es einem einmal nicht gefällt, hat man trotzdem die Möglichkeit, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen und mit sich selber in Dialog zu treten. Wenn ich mit einer klaren Erwartungshaltung ins Theater ginge, bräuchte ich mir überhaupt nichts mehr anzuschauen. Theater bietet mir die Möglichkeit, Neues zu entdecken. Darum gehe ich hin!

Christine Lasta in “Bildung für Rita”

Theater war lange ein Ort, wo Tabus gebrochen wurden. Ist dieser Tabubruch heute noch relevant?
Wir brauchen den Tabubruch! Theater muss polarisieren, Menschen aufrütteln und zum Nachdenken bringen. Ich glaube, wir müssen uns wieder mehr trauen. Das Tolle an der künstlerischen Leitung, die ich im Stadttheater Bruneck übernommen habe, ist alles wieder neu infrage stellen zu können, inhaltlich aber auch formell. Müssen wir enger mit der Wirtschaft zusammenarbeiten, damit das Theater überleben kann? Ist das schon ein Tabubruch?

Wie wichtig ist dir die politische Aussage eines Stücks?
Theater hat viele Gesichter; unterhaltsam, provokant, ermunternd. Sozialkritische und politische Themen können im Theater in neue Sprachen übersetzt werden. So werden jene Menschen erreicht, die sich ansonsten umgedreht und weggeschaut hätten. Ein Paradebeispiel dafür ist das Stück „Fremde Frauen”, bei dem es um drei Flüchtlinge ging. Ich war zuerst tatsächlich etwas zögerlich. Traue ich mir das zu? Wie kommt das in Bruneck an? Klaus Gasperi meinte anfangs, mehr als sechs Vorstellungen gebe das Thema in Bruneck wohl kaum her. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir es schlussendlich gespielt haben. Plötzlich wurde aus einem Thema, wo viele lieber wegschauen oder sich denken “Na, net schun wiedo!”, der absolute Renner.

Welche Bedeutung hat das Stadttheater für Bruneck?
Wir, also Jan, Sabine und ich, treten eine wirklich wichtige Aufgabe an. Klaus Gasperi hat damals, über Nacht ein professionelles Theater gegründet und 25 Jahre lang dafür gekämpft; mit dem Ergebnis, dass wir heute teilweise eine Auslastung von 99 Prozent haben. Die Menschen in und um Bruneck wollen ins Theater kommen!

Auf der Website des Brunecker Stadttheaters steht: „Kultur ist ein Lebensmittel. Und dieses brauchen wir mehr denn je!”. Jetzt ist das Theater ganz zu.
Sicherheit geht vor, darüber müssen wir gar nicht diskutieren. Aber ich glaube, dass man mit strengen Sicherheitsmaßnahmen den Theaterbetrieb im Kleinen geöffnet lassen könnte. Nicht mit offener Bar und drei Glaslan Wein nach der Veranstaltung, nein. Es geht rein um den Kulturgenuss. Ich fände es gut, den Menschen die Freiheit zu geben, für sich selbst zu entscheiden, ob sie sich ins Theater trauen.

“Das Anspruchsvollste ist eine gute Komödienfigur”: Christine Lasta.

Ist die Finanzierung des Theaters aufgrund der derzeitigen Schließung gefährdet?
Nein, die wird zum größten Teil durch öffentliche Subventionen gewährleistet. Wir hoffen, dass diese Subventionen auch im nächsten Haushalt wieder genehmigt werden, ansonsten wird es sehr, sehr schwierig. Das Theater hat keine großen privaten Sponsoren, auf das es zurückgreifen kann. Ich bin eine Optimistin, ich vertraue den politischen Akteuren in diesem Sinn.
Wie aber die Schauspieler sich im Moment durchschlagen, weiß ich nicht. Wenn Stücke Corona-bedingt abgesagt werden, dann wünschen wir uns, ihnen mindestens einen Teil bezahlen zu können. Man kann nicht wochenlang proben und danach ohne nichts dastehen!

In einem Interview mit der ff meintest du, dass man mit der Schauspielerei alleine wohl verhungern würde. Ist Südtirol in diesem Sinn ein besonders hartes Fleckl?
Ja. Ganz einfach, weil die Szene sehr klein ist. Es gibt zwar relativ viele Theater, aber nicht alle Theater produzieren selbst. Hinzu kommt, dass die Eigenproduktionen nicht alle mit einheimischen Schauspielern besetzt werde können. Sorgen bereiten mir auch die fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten: In Südtirol gibt es keine Schauspielschule mehr!

Was wird aus der Idee der „Städtetheater”, die Klaus Gasperi immer angestrebt hat?
Wir möchten die Zusammenarbeit zwischen den vier Stadttheatern – Dekadenz, Theater in der Altstadt, Carambolage und Stadttheater Bruneck – fördern und einmal im Jahr gemeinsam ein Stück produzieren. Wenige Meraner kommen nach Bruneck, um sich ein Stück anzusehen; durch eine gemeinsame Produktion, bei der man gemeinsam hinter einem Thema steht, können Menschen in ganz Südtirol erreicht werden.

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