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Veröffentlicht
am 10.04.2018
LeuteStraßenzeitung zebra.

„Schweigen wirkt wie Zustimmung”

Veröffentlicht
am 10.04.2018
Auch wer nicht rassistisch handelt, kann sich rassistisch verhalten. Die Expertin für Anti-Diskriminierung Tupoka Ogette im Interview über Alltagsrassismus und Widerstand.
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In allen Bereichen unserer Gesellschaft wirkt Rassismus, aber es ist nicht einfach darüber zu sprechen. Die deutsche Expertin für Vielfalt und Anti-Diskriminierung, Tupoka Ogette, hat darüber ein Buch geschrieben. Vor Kurzem stellte sie „Exit Racism “ gemeinsam mit ihrem Mann Stephen Lawson in Brixen vor.

In Ihrem Buch „Exit Racism “ richten Sie eine ganz besondere Botschaft an weiße Menschen. Welche?
Ogette: Ich wünsche mir, dass sich möglichst viele weiße Menschen auf eine rassismuskritische Reise begeben. Auch jene Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, sollten darüber sprechen. Das Thema Rassismus ist in unserer Gesellschaft stark tabuisiert, und es herrscht große Angst vor einer Auseinandersetzung damit. Das hindert uns daran, darüber nachzudenken, was Rassismus mit uns als Gesellschaft gemacht hat.

Was hat Rassismus gemacht?
Ogette: Die rassistische Sozialisierung hat dazu geführt, dass in allen gesellschaftlichen Ecken, in Institutionen, Kinderbüchern, Schulen usw. Rassismus präsent ist. Das hat zur Folge, dass ein Teil der Menschen tagtäglich Rassismus erlebt und andere gleichzeitig gar nicht erkennen, dass etwas rassistisch ist – weil es Teil der Sozialisierung ist und weil wir alle in einem System aufwachsen, das von diesen Vorurteilen durchtränkt ist.

Wie schaut dieses System aus?
Lawson: Rassismus ist eine Diskriminierungsform, die weiße Menschen eben nicht sehen. Ich vergleiche das auch gern mit dem Sexismus: Männer sehen nicht, dass sie in einer sexistisch geprägten Welt leben und sind sich ihrer eigenen Privilegien nicht bewusst. Dieser Zustand wird in Tupokas Buch auch als „Happyland” bezeichnet, alles ist okay und allen geht es gut. Jede*r weiß zwar, dass es benachteiligte Menschen gibt, aber es wird ausgeblendet, wie weitreichend Rassismus im Alltag und in den Medien ist und wie stark Menschen dadurch geschwächt werden.
Ogette: Vor etwa 400 Jahren sind Europäer*innen ausgezogen, um zu kolonialisieren. Im Zuge dessen haben sie eine Hierarchie entworfen und die Theorie, es gäbe Menschenrassen. Bis heute denken Menschen in Kategorien und anhand dieser entsteht Ausgrenzung. Das schlägt sich in allen Bereichen nieder – auf dem Wohnungsmarkt, in der Arbeitswelt, in der Schule.

Tupoka Ogette und Stephen Lawson bei einem ihrer Workshops

Warum wird Rassismus tabuisiert?
Ogette: Rassismus ist moralisch aufgeladen. Wir lernen, dass Rassismus schlecht und böse ist und dass er nur in der rechten Ecke, etwa bei Neonazis, vorkommt. Ein Rassist ist jemand, der dieses System bewusst verstärkt und weiter unterstützt. Aber wir alle sind rassistisch sozialisiert. Keine*r möchte rassistisch sein, und deshalb wird viel dafür getan, um sich von diesem Begriff zu distanzieren.

Wie können wir uns auf den rassismuskritischen Weg einlassen?
Ogette: Wissen spielt eine ganz große Rolle: Wie wirkt Rassismus? Welche Mechanismen gibt es, und wer ist betroffen? Wie können wir mit Sprache so umgehen, dass sie nicht diskriminiert?
Lawson: Wir müssen bewusst hinterfragen und vor allem bei Bildern, Begriffen und Geschichten kritisch hinschauen: Einerseits wird von einem Bürgermeister oder Ortsvorsteher gesprochen, andererseits gibt es den Stammeshäuptling. Das stärkt ganz viele Vorurteile und Klischees.

Wie macht sich Alltagsrassismus bemerkbar?
Ogette: Alltagsrassismus erlebe ich tatsächlich jeden Tag. Oft muss ich mich dafür rechtfertigen, woher ich komme. Meine Antwort, dass ich aus Deutschland bin, scheint nicht die „richtige“ zu sein und ich muss mich so lange erklären, bis mein Gegenüber zufrieden ist. Es geschehen immer wieder Grenzüberschreitungen. Menschen berühren ungefragt mein Haar, stellen sehr persönliche Fragen oder starren mich an. Wir sprechen aber nie über das Weiß-sein und welche Privilegien es in diesem Zusammenhang gibt. Es ist eben auch ein großes Privileg, nicht darüber sprechen zu müssen, aber gerne über die, die „anders“ sind und nicht-weiß.
Lawson: Ich gehe an Plakaten vorbei und sehe, wie Schwarze auf diesen abgebildet werden: Ein Kind, das wortlos um Spenden wirbt: passiv, schwach, ohne eigene Stimme. Die Fülle an diskriminierenden Bildern – auch sexistischen – auf den Werbeflächen prägt uns unbewusst sehr. Jene, die mit diesen Bildern arbeiten, stärken sich, die Abgebildeten hingegen werden geschwächt. Wir müssen erst lernen, diese Mechanismen zu hinterfragen.

„Wichtig ist die Auseinandersetzung mit der Herkunft der Begriffe. Viele haben einen rassistischen Ursprung und sind in einem rassistischen System entstanden, um Menschen zu erniedrigen.”

Auf Facebook haben Sie kürzlich gepostet, dass Sie Anfragen für Workshops wie „Interkulturelle Kompetenzen stärken“ oder „Anderssein verstehen“ ablehnen. Warum?
Ogette: Wir erklären nicht wie die „Anderen“ funktionieren und wie man mit ihnen umgehen soll. Ich halte derartige Veranstaltungen nicht nur für sinnlos, sondern auch für fatal. Sie reproduzieren und verfestigen rassistisches „othering“. Das meint die Denkweise, die all jene Menschen als „anders“ markiert, die nicht weiß sind. Aber als „normal“ darf nicht nur „weiß“ gelten.

Wie möchten Schwarze Menschen dann bezeichnet werden?
Ogette: Wichtig ist die Auseinandersetzung mit der Herkunft der Begriffe. Viele haben einen rassistischen Ursprung und sind in einem rassistischen System entstanden, um Menschen zu erniedrigen, etwa das „N-Wort“, „Farbige“ oder „Mohr“. Schwarze (groß geschrieben) und POC (People of Color) sind Selbstbezeichnungen und aus einem Widerstand heraus entstanden. Sie beziehen sich allerdings nicht auf die Hautfarbe, sondern auf die Erfahrungen, die diese Menschen in einem rassistisch sozialisierten Umfeld machen. Das heißt nicht, dass alle Schwarzen Menschen diese Begriffe benutzen oder kennen. Eine gute Selbstreflexion wäre die Überlegung, wie weiße Menschen genannt werden möchten. Wann möchten sie überhaupt ihre Hautfarbe thematisieren? Und wann die der anderen?
Lawson: „Schwarz“ ist für mich ein Arbeitsbegriff, aber es soll nicht ein Alltagsbegriff sein. Ich will einfach ein Mensch sein und als dieser wahrgenommen werden, mehr nicht.

Sie schreiben aber auch, dass Botschaften wie „alle Kinder sind gleich“ gefährlich sein können. Warum?
Ogette: Mir fällt da ein tolles Bild ein: Da ist ein kleines Kind, ein größeres und eines im Rollstuhl – alle stehen auf der gleichen Ebene und wollen über eine Mauer schauen, aber das schafft nur das große Kind. Oft glauben wir, Gerechtigkeit bedeutet, dass alle gleich behandelt werden. Aber Menschen sind unterschiedlich positioniert, haben unterschiedliche Barrieren, niemand ist gleich „normiert“. Einige brauchen Unterstützung im Alltag, um über so eine Mauer schauen zu können. Es ist wichtig, dass etwa Erzieher*innen sich bewusst sind, dass Kinder unterschiedliche Positionen und Herausforderungen haben. Wenn der*die Erzieher*in meiner Schwarzen Kinder sagt, er*sie sieht keine Unterschiede zwischen einem weißen und einem Schwarzen Kind, dann ist das für mich als Schwarze Mutter problematisch. Ich weiß dann nicht, ob sich diese*r Erzieher*in bewusst ist, dass mein Kind andere Erfahrungen im Alltag und auch im Kindergarten oder in der Schule macht als ein weißes Kind. Wird er*sie mein Kind vor Rassismus schützen können?

Was raten Sie Erzieher*innen?
Ogette: Viele denken, wenn sie eine heterogene „Multi-Kulti“-Gruppe haben, dann sind sie schon am Ziel. Aber es braucht auch das Bewusstsein, dass Kindergärten und Schulen politische Räume sind. Alles, was draußen in der Gesellschaft wirkt, wirkt auch dort. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Sozialisierung und die Frage danach, welche Diskriminierungsformen wirken, das Hinterfragen von Medien und Spielsachen.

„Natürlich können auch weiße Menschen Diskriminierungserfahrungen machen, etwa Menschen im Rollstuhl oder Frauen, die Sexismus erleben, aber sie erleben keinen Rassismus.”

Wie können wir als Gesellschaft Schwarze Kinder stärken und weiße Kinder begleiten?
Ogette: Indem wir Bücher auswählen, die nicht nur einseitige Bilder zeigen, sondern unterschiedliche Kinder abbilden und keine rassistischen Begriffe beinhalten. Indem wir Geschichte auch aus der Sicht von Schwarzen Menschen erzählen und auch von Schwarzen Erfinder*innen und wichtigen Persönlichkeiten erzählen. Verlage und Autor*innen, die Geschichtsbücher schreiben, sind meist weiß und haben die Macht, Geschichten zu erzählen oder nicht. Die Perspektive der Schwarzen wird häufig ausgeklammert. Ganz wichtig ist es, Kinder darin zu unterstützten, Ungerechtigkeiten zu erkennen und auch zu benennen. Geben wir ihnen eine Sprache dafür und scheuen wir uns nicht vor schwierigen Fragen! Dann können sie zu kritischen Menschen heranwachsen, die hinterfragen dürfen und können.

Was raten Sie Zeuge*innen eines rassistischen Vorfalls?
Ogette: Menschen, die Rassismus beobachten, müssen nicht für die betroffene Person das Wort ergreifen, aber sie sollten laut sagen, dass sie die Situation stört. Sie könnten sagen: „Ich möchte nicht in einem Raum sein, wo so etwas geduldet wird!“ Gefährlich ist es, wenn niemand etwas sagt, denn Schweigen wirkt wie Zustimmung.

Gibt es einen umgekehrten Rassismus?
Ogette: Nein. Rassismus ist ein System, das seit über 500 Jahren funktioniert, gesellschaftlich global bis heute wirkt und Schwarze Menschen benachteiligt. Natürlich können auch weiße Menschen Diskriminierungserfahrungen machen, etwa Menschen im Rollstuhl oder Frauen, die Sexismus erleben, aber sie erleben keinen Rassismus. So wie ich als Nichtjüdin keine antisemitischen Erfahrungen machen kann.

Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?
Lawson: Ich wünsche mir, dass sich jede*r mit Rassismus und weiteren Diskriminierungsformen auseinandersetzt.
Ogette: Ich wünsche mir, dass Menschen ehrlich zuhören. Wenn jemand rassistisch verletzt wurde und die Kraft dazu aufbringt, seinem Gegenüber zu erklären: „Das, was du sagst, verletzt mich“, dann sollte derjenige nicht sofort in die Abwehr gehen, sondern zuhören und die Situation ernst nehmen.

von Monika Thaler

Der Artikel ist erstmals in der 36. Ausgabe (April 2018) der Straßenzeitung zebra. erschienen.

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