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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 14.11.2016
LeuteInterview mit Landesgeologe Claudio Carraro

„Noch einige Nachbeben”

Veröffentlicht
am 14.11.2016
Die Erde in Italien bebt immer wieder. Geologe Claudio Carraro verrät, was auf die Bewohner der betroffenen Gebiete noch zukommt und wie erdbebengefährdet Südtirol ist.
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Die Erde in Italien bebt immer wieder. Ganze Dörfer wurden zerstört. Zehntausende Menschen sind obdachlos.

Es sind Bilder wie aus Kriegsgebieten. In sich zusammengefallene Häuser, verlassene Straßen, überall Staub und Schutt. In Mittelitalien wurden das Dorf Amatrice und umliegende Orte zerstört, fast 300 Menschen kamen ums Leben, etwa 4.000 wurden obdachlos. Das letzte Beben gab es erst vor zwei Wochen in der Provinz Macerata, mit eine Stärke von mindestens 4,8 auf der Richterskala.

In Italien gibt es seit 1900 Erdbebenstationen. Nach dem großen Erdbeben in Friaul 1976 wurde ein weitläufiges Erdbebennetz errichtet. Heute gibt es allein in Südtirol sieben Erdbebenstationen. Claudio Carraro ist Landesgeologe in Südtirol, stellvertretender Amtsdirektor für Geologie und Baustoffprüfung und Experte auf dem Fachgebiet Erdbeben.

Auf dem Computer in seinem Büro in Bozen hat Geologe Claudio Carraro unzählige Daten von Erdbeben gepeichert.

Warum gibt es so viele Erdbeben in Italien?
Das Problem ist, dass die afrikanische und die europäische Platte aufeinandertreffen. Die afrikanische Platte drückt Richtung Norden und verursacht eine langsame Rotation von ganz Italien. Das Zentrum dieser Rotation ist im Piemont. Ganz Italien bewegt sich pro Jahr einige Millimeter, maximal fünf, Richtung Ex-Jugoslawien.

Welche Gebiete sind am meisten gefährdet?
Die gefährlichsten Zonen liegen längs der Apenninenkette bis Messina und Reggio Calabria. Dort gab es die stärksten Erdbeben im Jahr 1908 der Stärke 7. Auch die Ursprünge der extremen Erdbeben in letzter Zeit im Zentrum Italiens lagen in dieser Zone.

Wie weit geht die Richterskala?
Die Richterskala geht bis neun. Ein Erdbeben dieser Stärke ist in Chile passiert. Ab einer Stärke von 2,8 sind Erdbeben für uns Menschen spürbar. Ab einer Stärke von 4 entstehen erste Risse oder Schäden an den Häusern. Die größeren Erdbeben in Italien haben Stärken von 6 bis 6,5.

Obwohl das Erdbeben in Mittelitalien Stärke 6 erreichte, also laut Klassifikation als „mäßig“ galt, zerstörte es Dörfer, sehr viele Menschen verloren ihr Leben. Warum?
Ob viel zerstört wird, hängt von den Baukonstruktionen ab. In Mittelitalien gibt es viele Dörfer, die im Mittelalter gebaut wurden. Häuser aus Stein und Mörtel. Solche Gebäude werden leicht beschädigt oder sogar zerstört. In Japan, dem Land, das als führend in Sachen Erdbebenschutz gilt, verursacht ein Erdbeben der Stärke 6 nicht so viele Schäden.

Nun gibt es in Italien bereits seit Jahrhunderten schwere Erdbeben. Warum werden die Häuser nicht erdbebensicher gemacht?
Seit 2007 gibt es eine Richtlinie, dass jeder Hauseigentümer sein Haus statisch planen und die seismische Beschleunigung* mit einberechnen muss. Es gelten strenge Bauvorschriften, um neue Häuser gegen Erdbeben zu sichern. Alle Gebäude aber, die früher geplant wurden, fallen nicht in dieses Gesetz und sind oft nicht erdbebensicher.

*Anm. d. Red.: Früher war ganz Norditalien nicht Erdbeben-klassifiziert. Erst 2003 wurde ganz Italien als erdbebengefährdet eingestuft, Südtirol ist als Zone vier klassifiziert, die niedrigste Gefahrenzone. Seit 2005 spricht man nicht mehr von Zonen, sondern von seismischer Beschleunigung.

Italien farblich nach den Gefahrenzonen unterteilt. Das Zentrum Italiens ist am meisten gefährdet.

Die Erdbeben-Historikerin Emanuela Guidoboni sagte in einem Interview für die Neue Zürcher Zeitung, dass Italien seit 1968 im Durchschnitt jedes Jahr vier bis fünf Milliarden Euro für Wiederaufbauarbeiten ausgab. Warum wird nicht in Sicherungsmaßnahmen investiert?
Neubauten müssen erdbebensicher gebaut werden. Für alte Häuser gibt es aber keine Pflicht. Das Problem ist, dass es für Privatleute sehr teuer ist, ihre Häuser erdbebensicher zu machen. Es gibt zwar Möglichkeiten durch Ketten, Stahlkreuze oder Eisenträger, aber es ist eine große Belastung für die Hausbesitzer.

Sind die Kosten der einzige Grund oder haben einige einfach nicht aus der Vergangenheit gelernt?
Am Anfang hielten sich viele nicht an das neue Gesetz. In den vergangenen fünf Jahren hat sich aber bereits etwas getan. Ich glaube, mittlerweile hat sich die Mentalität der Leute geändert. Viele Menschen, vor allem im Zentrum Italiens, denken mittlerweile an die seismische Gefahr. In letzter Zeit werden viele Häuser aus Holz gebaut, weil diese erdbebensicher sind.

Was kommt in Zukunft noch auf die Italiener zu? Wann kehrt wieder Ruhe ein?
Im Moment kann man Erdbeben nicht vorhersagen, aber durch die geologischen Verhältnisse und historischen Daten kann man sagen, dass es gerade in der Gegend um Friaul fast alle zehn bis 15 Jahre ein größeres Erdbeben geben wird. Jetzt werden sicher noch einige kleinere Nachbeben kommen, aber die größeren Erdbeben der Stärke 6 und 6,5 liegen bereits hinter uns. Meist ist es so, dass es vor einem großen Erdbeben kleinere Vorbeben gibt und nachher einige kleinere Nachbeben. Dann kann aber wieder ein großes kommen, wie in Friaul. Dort gab es zwei größere Erdbeben innerhalb von drei Monaten.

Matteo Renzi sagte: „Wir werden alles wieder aufbauen“. Wie oft schafft das Italien noch?
Das ist schwierig. Die einzige Möglichkeit wäre, dass alles, was neu gebaut wird, auch erdbebensicher gebaut wird – was bereits geschieht. Und dass private Hausbesitzer Förderungen erhalten, damit die Leute einen Anreiz haben, ihre Häuser erdbebensicher zu machen.

Die Behörden haben die Menschen aufgerufen, die betroffenen Orte zu verlassen. Einige wollen dennoch nicht wegziehen. Können die Bewohner in den gefährdeten Gebieten aber auf Dauer leben?
Wenn sie sichere Häuser bauen, können sie dort sicher leben. Der Zivilschutz ist die erste Hilfe. Wichtig ist nach der ersten Zeit, dass der Wiederaufbau richtig gemacht wird und dass er unter Kontrolle stattfindet. Ganz wichtig sind hier die Bauleiter und Ingenieure. Sie müssen die Firmen kontrollieren und auch die Betonqualität. Wir machen hier im Labor Proben von Beton und Eisen, das muss jedes Jahr gemacht werden.

Gibt es in Mittelitalien auch solche Labore?
Ja, meistens sind es aber private Labore.

Gemessene Erdbeben seit Beginn der Aufzeichnungen ab 1900. Die kleinen sind für Menschen nicht spürbar, die größeren erreichten eine Stärke von bis zu 5,5.

Wie erdbebengefährdet ist Südtirol?
In den letzten Jahren wurden einige Untersuchungen gemacht in Zusammenarbeit mit Erdbebenstationen von Österreich, Friaul und der Schweiz. 2012 kam eine Studie heraus, die zeigt, dass unsere Provinz nicht so gefährdet ist.
Interessant ist, dass wir mit unseren Erdbebenstation auch die Mikro-Erdbeben messen, die für den Menschen nicht spürbar sind. Die gibt es regelmäßig in der Nähe der Ortlergruppe von Valtellina und Graubünden, aber auch im Obervinschgau.

Wie hoch ist die Gefahr, dass es ein Erdbeben ähnlichen Ausmaßes wie in Mittelitalien, also Stärke 6, bei uns in Südtirol gibt?
In den vergangenen tausend Jahren gab es kein Erdbeben mit diesem Ausmaß. Die sechs stärksten Erdbeben mit einer Stärke von 5 und 5,5 waren in Friaul, Veneto, Hall in Tirol und am Gardasee. Sie wurden in Südtirol auch deutlich verspürt. Interessant ist, dass es in Neumarkt eine mittelalterliche Raststätte gibt, das Domus Mansia Endidae. Ihre Mauern haben sich verschoben und zeugen von einem Erdbeben im dritten Jahrhundert. Historiker können sich diese Verschiebung nur durch ein Erdbeben erklären.

„Wenn es hier ein Erdbeben der Stärke 6 gäbe, gäbe es sicher einige Schäden.”

Was würde ein Erdbeben der Stärke 6 hierzulande anrichten?
Wenn es hier ein Erdbeben der Stärke 6 gäbe, gäbe es sicher einige Schäden. Alte Kirchen und Gebäude aus dem Mittelalter könnten zerstört werden, aber die meisten Häuser sind nicht aus Beton und Stahl gebaut und erdbebensicher.

Wird man irgendwann Erdbeben voraussagen können?
Nein. Man hat zwar einige Versuche unternommen, aber die Systeme sind nicht sicher. Vor einem Erdbeben tritt zwar mehr Radon aus der Erde aus, aber eben nicht immer. Also ist es keine sichere Möglichkeit, Erdbeben vorherzusagen, und wenn man eine Evakuierung einer ganzen Stadt anordnet, muss man sich wirklich sicher sein.

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