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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 01.12.2016
LeuteFrancesco Palermo über die Verfassungsreform

„Nicht so schlecht wie ihr Ruf“

Veröffentlicht
am 01.12.2016
Am Sonntag stimmt Italien für oder gegen die Verfassungsreform. Senator Francesco Palermo ist Befürworter der Reform, auch wenn er selbst einige Aspekte kritisiert.
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Am Sonntag findet die Volksabstimmung statt. Wie wählen Sie?
Im Parlament habe ich dafür gestimmt, weil die positiven Punkte, insbesondere aus Südtiroler Sicht, überwiegen. Ich habe aber durchaus Verständnis für die Kritiker und kritisiere auch selbst einige Aspekte. In den zahlreichen Veranstaltungen zur Verfassungsreform, an denen ich in den letzten Wochen teilgenommen habe, habe ich stets die positiven und auch die negativen Seiten der Reform erläutert, denn ich will informieren und nicht überzeugen. Die klaren Pro- und Contra-Positionen sind nicht meins. Wahrscheinlich bin ich viel zu sehr Wissenschaftler und viel zu wenig Politiker dafür.

Was sind die wesentlichen Punkte, die Sie für ein Ja überzeugt haben?
Das Positivste ist sicher, dass das aktuelle System reformiert wird, das so nicht funktioniert. Die Reform ist die umfangreichste Verfassungsreform seit Beginn der Republik und gestaltet die Beziehungen zwischen dem Parlament und der Regierung, die Zusammensetzung des Parlaments, die Wahl des Senats und vieles mehr völlig um. Auch das Verhältnis zwischen dem Staat und den Regionen wird mit der Reform neu definiert.
Neben diesen Kernpunkten gibt es noch sehr viel Grundsätzliches, etwa mehr Transparenz bei der öffentlichen Verwaltung, die ausgewogene Vertretung beider Geschlechter im Parlament, und ich begrüße auch die neuen Spielregeln für die partizipative und direkte Demokratie.
Mir gefällt vor allem die Idee, dass durch die Reform ein langer bevorstehender Weg der Erneuerung eröffnet wird.

Differenzierter betrachtet: Was finden Sie an der Reform gut, was weniger?
Mit der Reform wird das perfekte Zweikammersystem abgeschafft. Dieses Doppeldasein macht die Gesetzgebung schwerfällig. Dass dieser Schritt höchste Zeit ist, streiten auch die Oppositionsparteien nicht ab. Dem Senat würden in Zukunft zwar geringere gesetzgeberische Funktionen zustehen, aber in meinen Augen immer noch mehr als genug. Was mir nicht so sehr gefällt, war die Vorgangsweise in diesem Reformprozess. Als Mitglied des Verfassungsausschusses habe ich eine stärkere Einbindung der Opposition stets vermisst.
Für mich als Verfassungsrechtler war es eine besondere Erfahrung. Ich wage zu behaupten, dass die meisten meiner Universitätskollegen in wenigen Tagen rein theoretisch eine bessere Reform zu Papier bringen würden. Allerdings funktioniert Politik nicht so. Es ist wohl keiner zu hundert Prozent zufrieden mit dem Ergebnis, aber man darf nicht vergessen, dass es das Resultat eines jahrelangen demokratischen Kompromissprozesses ist.

Das Referendum wird als Abstimmung über Ministerpräsident Renzi dargestellt. Warum?
Daran, dass das Referendum personalisiert wird, ist der Ministerpräsident in erster Linie selbst schuld, schließlich hat er selbst mit seinem Rücktritt im Falle eines Nein „gedroht“. Dies hat er dann wieder zurückgezogen, aber die Personalisierung bleibt und die Oppositionsparteien machen sich dieses Argument auch zunutze. Hätte das Referendum vor zwei Jahren stattgefunden, hätte die klare Mehrheit noch dafür gestimmt. Jetzt ist es allerdings eine Abstimmung über die Regierung und wohl die wenigsten haben sich wirklich mit dem Inhalt auseinandergesetzt.

Und wie beurteilen Sie Renzis bisherige Regierungszeit?
Renzis Stil liegt mir nicht, aber er hat in den letzten knapp drei Jahren auch einige Reformen vorangebracht, die das Land modernisieren. Es ist ihm auch gelungen für Stabilität zu sorgen. Schließlich waren nur drei Regierungen länger im Amt als die aktuelle. Auch in Europa wird er ernst genommen, nicht nur in Anbetracht der Flüchtlingsproblematik. Die ständigen Vertrauensfragen finde ich aber unangemessen.

Im Ausland wird zum Teil der Teufel an die Wand gemalt. Verliert Renzi und stürzt die Regierung, treffe das den hochverschuldeten EU-Kernstaat in einem sehr heiklen Moment und es gehe noch weiter bergab. Sind diese Ängste berechtigt?
Es ist schwierig, politische und wirtschaftliche Prognosen anzustellen. Aber eine Regierungskrise ist nie förderlich. Nach halbwegs stabilen Jahren würde Italien ausgerechnet während des Haushaltsgesetzes in ein Loch fallen. Vor allem ist noch nicht klar, wen der Staatspräsident mit der Bildung der Übergangsregierung beauftragen würde und welche Prioritäten diese abgesehen vom Wahlgesetz setzen würde.
Gerade diese Ungewissheit ist Grund für Besorgnis. Wenn dann einige Oppositionen sagen, sie würden ein Referendum zum Austritt aus der Eurozone oder gar einen Italexit abhalten wollen, schürt das natürlich die Unsicherheit der europäischen Partner. Ich wünsche mir aber, dass sich die Italiener am 4. Dezember auf den Inhalt konzentrieren und sich weder von Prognosen noch von Angst schürenden Tricks beeinflussen lassen.

Der Abgeordnete Florian Kronbichler wird mit Nein stimmen, er sagt: „Alle, die zur sogenannten Schutzklausel Ja sagen, frage ich: Wie schlecht muss denn die neue Verfassung sein, wenn man sich vor ihr so schützen muss?“ Was antworten Sie ihm?
Die Reform ist nicht so schlecht wie ihr Ruf. Auch Florian Kronbichler weiß bestens um die Sonderstellung der autonomen Regionen und Provinzen. Die Schutzklausel hat eine doppelte Funktion. Zum einen bekräftigt sie die besondere Rolle und den besonderen Status der Sonderautonomien, zum anderen ist die Klausel ein „Sprungbrett“ für die Erarbeitung des Autonomiestatutes. Denn dadurch ist ziemlich sicher, dass es zu keinen einseitigen Entscheidungen von Rom kommen kann, wie es heute der Fall ist. Die Verfassung bleibt eine sehr gute, auch nach der Reform. Die Autonomie wird allerdings nicht in der Verfassung, sondern im Autonomiestatut geregelt. Nicht die Schutzklausel ist also die wahre Herausforderung für unsere Autonomie, sondern die Reform des Statutes.

„Dass in Südtirol die positiven Aspekte der Schutzklausel in Frage gestellt werden, ist für mich völlig unverständlich. Wahrscheinlich sind die Südtiroler einfach nur zu verwöhnt.”

Schützt diese Schutzklausel tatsächlich die Sonderautonomien wie jene in Südtirol? Oder ist es so, dass je zentralistischer der Staat wird, desto stärker er diese Autonomien beschneiden wird?
Formell gesehen ist die Autonomie nicht von der Reform betroffen. Die Schutzklausel sagt, dass sich die Bestimmungen von Absatz vier der Reform bis zur Überarbeitung der entsprechenden Autonomiestatute nicht anwenden lassen. Diese Bestimmungen werden auch in Zukunft nie angewendet werden, da durch die Überarbeitung der Autonomiestatute die Kompetenzen der autonomen Regionen und Provinzen in den jeweiligen neuen Statuten definiert werden. Diese Überarbeitung kann nur einvernehmlich zwischen Regierung und autonomer Provinz erfolgen. Das Parlament kann den Text nur annehmen oder ablehnen, aber nicht ändern.
Im Falle Südtirols bleibt zudem die internationale Verankerung aufrecht, das heißt ohne Einverständnis Österreichs können die Grundpfeiler des Minderheitenschutzes im Autonomiestatut nicht abgeändert werden. Auf alle Fälle darf man nicht vergessen, dass es derzeit keine Schutzklausel gibt, das heißt, der Staat kann mit absoluter Mehrheit eingreifen.
Es hängt davon ab, was im Rahmen des Autonomiekonvents beziehungsweise bei der „consulta“ im Trentino aus der Chance der Überarbeitung des Autonomiestatutes gemacht wird. Dass in Südtirol die positiven Aspekte der Schutzklausel in Frage gestellt werden, ist für mich völlig unverständlich. Wahrscheinlich sind die Südtiroler einfach nur zu verwöhnt.

Warum sollen die Menschen am Sonntag wählen gehen?
Weil jede Wahl ein Recht ist. Beim Referendum am Sonntag gibt es außerdem kein Quorum, das heißt, dass das Ergebnis unabhängig davon gilt, ob ein oder 99 Prozent der Italiener zu den Urnen gehen. Das Ergebnis wird laut Prognosen nicht eindeutig sein. Die Ausrede, dass „meine Stimme eh nicht entscheidend ist“, gilt also nicht. Wichtig ist es allerdings, dass sich die Wähler im Vorfeld auch informieren und nicht aus dem Bauch heraus entscheiden.

Was passiert, wenn das Nein gewinnt?
Wenn das Nein überwiegt, gab es viel Lärm um Nichts und es bleibt alles beim Alten. Die Regierung wird wohl wie angekündigt zurücktreten und eine Übergangsregierung wird zumindest ein neues Wahlgesetz für den Senat schreiben müssen. Es wird sicher kein Kinderspiel sein, vor allem bei der aufgeheizten Stimmung, die sich in den letzten Wochen ins Unerträgliche zugespitzt hat. Für Südtirol ändert sich paradoxerweise noch weniger: Egal ob ja oder nein gewinnt, bleibt für uns der jetzige Titel V – jener Teil der Verfassung, in dem die Kompetenzen von Staat und Regionen bestimmt werden – in Kraft. Die einzige Frage ist, ob mit oder ohne Schutzklausel.

Und wenn das Ja gewinnt?
Bei einem Ja tritt die Reform in Kraft und viele noch unbeschriebene Seiten der Reform müssen gefüllt werden. Von den angestrebten Zielen werden einige gut funktionieren, andere weniger. Allenfalls ist keine Reform die endgültige und auch diese wird, sollte sie durchgehen, in einiger Zeit neu umgestaltet und der Zeit angepasst werden.

Und was wird gewinnen: Das Ja oder das Nein? Was ist Ihre Prognose?
Die Meinungsforscher sahen in der letzten Erhebung das Nein vorne. Wie genau solche Prognosen sind, haben wir bei den letzten Abstimmungen gesehen. Sicher ist, dass viele Leute dagegen sind. Meine Prognose ist ein knapper Nein-Sieg mit etwa 52 bis 53 Prozent. Ich hoffe aber, wie gesagt, dass nicht emotionale, populistische Sprüche ausschlaggebend für die Entscheidung sind, sondern Vertiefungen der Materie. Aber ich weiß, dass ich ein Utopist bin.

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