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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 05.09.2017
LeuteLuigi Spagnolli im Gespräch

„Märchen eines wolfsfreien Südtirols“

Veröffentlicht
am 05.09.2017
Bauern fürchten um ihre Tiere, doch der Abschuss von Bär und Wolf ist gesetzlich schwer umsetzbar. Luigi Spagnolli will den Betroffenen keine Illusionen machen und redet Klartext.
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Tote Schafe, tote Kühe, tote Kälber – die Bilanz der von Wolf und Bär gerissenen Tiere dieses Sommers ist erschreckend. Bauern und Almwirtschafter gehen auf die Barrikaden. Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrat Arnold Schuler räumten vor Kurzem ein, die Wiederansiedlung von Bär und Wolf sei außer Kontrolle geraten. Sie wollen den Ausstieg des Landes aus dem von Altlandeshauptmann Luis Durnwalder unterzeichneten Bär- und Wolfsprojekten erreichen und sprechen sich für eine Senkung des Schutzstatus der Tiere aus. Doch wie schnell kann so etwas überhaupt geschehen? Und gibt es keine alternativen Lösungen? Luigi Spagnolli, geschäftsführender Direktor vom Amt für Jagd und Fischerei, nimmt sich im Interview dieser Fragen an.

Nach dem Gespräch sagt er klar: „Einige meiner Aussagen sind zwar hart und bis jetzt von niemandem so gesagt worden – es ist aber an der Zeit, Klartext zu sprechen. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, den Betroffenen keine Illusionen zu machen.“

Luigi Spagnolli, Direktor vom Amt für Jagd und Fischerei

Herr Spagnolli, erzürnte Bauern waren vorige Woche bei Ihnen, um Sie mit den vergangenen Vorfällen zu konfrontieren. Was sagen Sie dazu?
Die Gespräche haben bewiesen, wie emotional dieses Thema jeden einzelnen trifft. Mit Emotionen werden die Probleme aber nicht gelöst. Abgesehen davon habe ich aber volles Verständnis für die Bauern: Deshalb weigere ich mich auch, ihnen das Märchen eines wolfsfreien Südtirols zu erzählen.
Die Wolfspopulationen in ganz Europa sind derzeit in Aufschwung. Auch wenn es in Südtirol selbst keine Wölfe gäbe, würden einzelne Tiere immer wieder zu uns kommen. Die Natur tut, was sie will, sie nimmt auf uns Menschen keine Rücksicht.

„Die Gespräche haben bewiesen, wie emotional dieses Thema jeden einzelnen trifft. Mit Emotionen werden die Probleme aber nicht gelöst. “

Bislang war für Bär und Wolf das italienische Umweltministerium zuständig. Der Trentiner Landeshauptmann Ugo Rossi und die Südtiroler Landesregierung möchten aber, dass sich die Zuständigkeit verlagert. Wie ist die aktuelle Gesetzeslage?
Diese Aussage kann zu Missverständnissen führen. Mittels einer Durchführungsbestimmung wird die Kompetenz zukünftig den zwei Landeshauptleuten von Bozen und von Trient übergeben. Sie könnten dann den Umweltminister ersetzen, wenn die Entnahme von einem Großraubtier – also dessen Abschuss – ausnahmsweise zu entscheiden wäre. Dafür werden aber doch noch immer zwei Voraussetzungen notwendig sein: der ISPRA (technisches Beratungsorgan des Umweltministeriums) muss ein positives Gutachten abgegeben haben und es müssen die vom Staat vorgesehenen Vorbeugungsmaßnahmen getroffen werden – nicht die vom Land oder von den Betroffenen.

„Dass es die gesetzliche Möglichkeit geben wird, jedes auftauchende Großraubtier sofort zu schießen, wie sich manche Menschen in populistisch geprägten Äußerungen erwarten, ist reine Illusion!”

Was halten Sie von den aktuellen Äußerungen von Schuler und Kompatscher? Ist das der richtige Weg oder braucht es eine sachliche Diskussion, wie es die Grünen fordern?
Ich stehe zu ihnen. Das heißt: Sie geben mir Richtlinien und ein politisches Ziel – das ist nämlich ihre Aufgabe – und ich werde versuchen, sie im Rahmen der geltenden Bestimmungen zu erreichen.
Ich versuche aber auch, aus technischer Sicht Aspekte zu klären, die in dieser oft emotionalen Diskussion im Schatten bleiben, obwohl sie wichtig sind. Einige Punkte der Grünen sind aus technischer Sicht sicher zu teilen. Dass wir als Amt das Verhalten der in Südtirol auftauchenden Großraubtiere weiterhin wissenschaftlich verfolgen und vertiefen müssen, um künftige Situationen im Griff zu haben, sollte allen klar sein. Dass es aber die gesetzliche Möglichkeit geben wird, jedes auftauchende Großraubtier sofort zu schießen, wie sich manche Menschen in populistisch geprägten Äußerungen erwarten, ist reine Illusion!

Wölfe und Bären gehörten zur heimischen Fauna, bis sie ausgerottet wurden. Aber können sich Bären und Wölfe überhaupt wieder in unser Ökosystem, in unsere Wälder eingliedern? Wie soll das funktionieren?
Ob sie können oder nicht, darüber kann sich jeder seine eigene Meinung bilden. Die europäischen Gesetze sehen aber vor, dass Bären und Wölfe überall geschützt werden müssen. Ein Großraubtier zu töten, ist eine Straftat, die für den Täter eine lebenslange Waffenpass- und Jagdsperre bedeuten kann, bis hin zu Geldstrafen, Verlust des Arbeitsplatzes für einen öffentlichen Angestellten und sogar Gefängnis.
Es bräuchte allerdings eine Obergrenze der Gesamtzahl der Großraubtiere und eine Bestimmung der Gebiete, wo sie sich aufhalten dürfen. Und es sollte auch für Südtirol möglich sein, sie schießen zu dürfen. Aber es wird einige Zeit dauern, bis das genehmigt wird.
Inzwischen sind Bären und Wölfe unter uns und es werden immer mehr. Daher ist es sehr wichtig, dass in allen das Bewusstsein entsteht, dass sie sich auf die Großraubtierschäden einstellen müssen. Auch der Tourismus in den Bergen wird sich einigermaßen anpassen müssen. Die einzige Alternative wäre sonst das Auflassen der Almbewirtschaftung und der traditionellen Berglandwirtschaftstätigkeiten.

Wie viele Wölfe und Bären leben zurzeit überhaupt in Südtirol?
Es gibt keine fixe Präsenz von Bären und Wölfen in Südtirol. Seit rund 20 Jahren hat die Provinz Trient die historische Bärenpopulation rund um die Brenta-Gruppe, die eigentlich nie komplett ausgerottet wurde, mit einigen aus Slowenien kommenden Jungbären ergänzt, die für Nachwuchs sorgten. Wölfe hingegen wurden nicht angesiedelt, sie kamen aus den Westalpen und aus dem Osten. Bären und Wölfe können mehr als 50 Kilometer an einem Tag bewältigen: Daher passiert es immer wieder, dass einzelne Individuen in Südtirol auftauchen und sich hier für eine gewisse Zeit aufhalten.
An der Grenze zwischen Mendelkamm und Fennberg hat man heuer vier Bären auf Südtiroler Seite gesichtet. Ein Bär wurde auf dem Ritten gesichtet, dessen Anwesenheit wurde aber nicht mehr bestätigt. Ein Bär ist in den letzten Tagen im Nationalpark Stilfser Joch aufgetaucht. Fünf verschiedene Wölfe haben sich seit 2010 zwischen Nonsberg und Ulten aufgehalten, zwei von ihnen sollen voriges Jahr ein Paar gebildet haben. Vor wenigen Tagen wurde nämlich ein Kleinwolf von einem Bauern in der Gemeinde Sankt Felix gesichtet. Ein weiteres Paar wurde ab diesem Winter in der Zone zwischen Fassatal, Buchenstein und Gadertal (Corvara) mehrmals gesichtet. Dazu gibt es dieses Jahr ein oder zwei einzelne junge Individuen, vermutlich aus der Schweiz kommend, die in den letzten Wochen Schafe im Münstertal und in Trafoi gerissen haben.

Der Bezirkssprecher der Süd-Tiroler Freiheit im Burggrafenamt Dietmar Weithaler sagt: „Wir müssen über die bisherigen Schutzmaßnahmen hinausgehen. Wenn Herdenschutzhunde oder Einzäunungen nicht mehr ausreichen, darf auch die Bejagung von zu Problemfällen gewordener Tiere kein Tabu sein“. Was wird darüber im Amt für Jagd und Fischerei diskutiert?
Im Amt diskutiert man nicht. Es ist Aufgabe der Politik, die Gesetze zu ändern, damit das Amt in der Lage ist, etwas zu unternehmen. Da es hier um ein europäisches und zusätzlich um ein staatliches Gesetz geht, schätze ich – wie bereits gesagt – dass das Zeit braucht. Deshalb halte ich das Treffen der Vorbeugungsmaßnahmen für unverzichtbar.

„Derzeit leben Dutzende von Bären und Wölfe in unmittelbarer Nähe zu Südtirol. Zwischenlösungen, das heißt Präventionsmaßnahmen, sind einfach unweigerlich.“

Müssen die Menschen hierzulande einfach lernen, mit Bär und Wolf zu leben?
Wie gesagt: Auch wenn die gesetzlichen Voraussetzungen geändert würden, leben derzeit Dutzende von Bären und Wölfe, die sich in den nächsten Jahren vermehren werden, in unmittelbarer Nähe zu Südtirol. Zwischenlösungen, das heißt Präventionsmaßnahmen, sind einfach unweigerlich.
Auf der Alm muss ein Hirte 24 Stunden pro Tag und sieben Tage pro Woche anwesend sein, also immer. In der Nacht muss die Herde zusammengetrieben werden und mit E-Zäunen geschützt werden, auch über Herdenschutzhunde muss man nachdenken.
Für Touristen gilt: Örtliche und zeitliche Abgrenzung mancher Tätigkeiten, zum Beispiel Mountainbike-Fahren und Nachtwanderungen usw. Das heißt, einige Gewohnheiten der Leute müssen wesentlich geändert werden. Das öffentliche Interesse besteht darin, dass die Almen weiterhin bewirtschaftet werden. Die Landesverwaltung wird sich also dafür einsetzen. Die Betroffenen dürfen aber nicht stehenbleiben und warten, bis etwas passiert. Sie müssen ab sofort mitrudern.

„Heuer hielten sich am Fedaia-Pass drei Schafherden auf, zwei (von Nicht-Südtiroler Hirten geführt) wurden nächtlich immer in E-Zäune zusammengetrieben und von Herdenschutzhunden begleitet, die dritte (mit einem Südtiroler Hirten) wurde in der Nacht einfach freigelassen. Die ersten zwei hatten keine Verluste, die dritte Herde hat mehr als 20 Schafen verloren.”

Sie sagen, Hirten sollen ihre Herde mit E-Zäunen schützen, aber wie soll das auf weitläufigen Almen, wie beispielsweise die Kirchbergalm im Ultental, funktionieren?
Niemand hat je gesagt, dass ganze Almen zu umzäunen sind! Die E-Zäune beziehen sich nur auf die Übernachtungsflächen der Herden, höchstens 200 bis 300 Quadratmeter. Sie können den ganzen Sommer am gleichen Standort bleiben oder mehrmals umgestellt werden. Klarerweise braucht es einen Hirten samt Hunden, der jeden Tag die Herde morgens auflöst und abends zusammenbringt.
Das Land Trentino stellt E-Zäune gratis zur Verfügung. Dass diese Herden auch wirklich schützen können, zeigt etwa dieses anschauliche Beispiel: Heuer hielten sich am Fedaia-Pass drei Schafherden auf, zwei (von Nicht-Südtiroler Hirten geführt) wurden nächtlich immer in E-Zäune zusammengetrieben und von Herdenschutzhunden begleitet, die dritte (mit einem Südtiroler Hirten) wurde in der Nacht einfach freigelassen. Die ersten zwei hatten keine Verluste, die dritte Herde hat mehr als 20 Schafen verloren. Diese Tatsache wurde nicht von allen Medien berichtet.
Es geht einerseits um Zusatzkosten, die die Landesverwaltung unterstützen könnte, aber andererseits auch um eine wesentliche Änderung der Weideart, die die Bergzüchter heftig ablehnen, allerdings ohne sachliche Begründung. Überall in den Alpen, die Schweiz inbegriffen, werden ähnliche Maßnahmen schon seit Jahren getroffen.

Aktuell häufen sich die Vorfälle von Angriffen auf Weidetieren. Die Bauern bekommen zwar Geld vom Staat, das ersetzt ihnen aber nicht die Tiere.
Nach europäischen Richtlinien wird in Zukunft die Entschädigung für die getöteten Nutztiere nur mehr ausbezahlt, wenn zuvor Vorbeugungsmaßnahmen getroffen wurden. Es tut mir leid, aber ich habe die institutionelle Aufgabe, klar zu reden.

Wie soll man sich verhalten, wenn man beim Wandern auf einen Bären oder einen Wolf trifft? Sind sie gefährlich für Menschen?
Wolf und Bär sind für Menschen nicht gefährlich, außer sie erschrecken oder fühlen sich bedroht. Wenn man Statistiken liest, sind freilaufende Hunde wesentlich gefährlicher und Kühe verursachen auf europäischer Ebene mehr Menschentode als jedes andere Tier. Wie man sich verhalten soll, wenn man auf einen Bären oder einen Wolf trifft, kann man detailliert auf der Internetseite der Provinz nachlesen.

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