BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
BARFUSS LogoSüdtiroler Onlinemagazin

Support Barfuss

Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus

BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 11.10.2016
LeuteBrigitte Foppa über Prostitution in Bozen

„Freier nicht bestrafen“

Veröffentlicht
am 11.10.2016
Im Kampf gegen die Prostitution in Bozen soll ein Halteverbot helfen. Absurd, meint die Grüne Brigitte Foppa. Sie würde das Thema ganz anders angehen.
Damit BARFUSS weiterhin hinterfragen, aufklären, erzählen und berühren kann, brauchen wir DEINE Unterstützung!
Werde Teil unserer Community.
Teile unsere Story
prostitution-DavidSifry.jpg

Zuhälterei und Bordelle sind in Italien verboten, Prostitution nicht. Zwischen 25.000 und 30.000 Frauen arbeiten hier als Prostituierte. Auch in Bozen stehen jede Nacht Frauen an der Straße und bieten Männern Sex für Geld an. Die Anwohner sind verärgert, Bozens Bürgermeister Renzo Caramaschi musste handeln. Er hat eine Verordnung erlassen, die das Anhalten von Autos von der Talstation der Rittner Seilbahn bis zum Landhaus für Soziales in der Schlachthofstraße verbietet. Am 19. September wurden die Verbotsschilder angebracht. Hält sich jemand nicht daran, droht eine Strafe in Höhe von 41 Euro. Mit diesem Verbot ist eine immer aktuelle Debatte wieder neu aufgeflammt.

Frau Foppa, wie sinnvoll ist das neue Halteverbot – kann es eine Lösung sein oder verlagert sich das Problem damit nur?
Es ist total absurd. Der Bürgermeister verschiebt den Straßenstrich in die Industriezone. Als ob damit etwas getan wäre. Das ist, als würde man die Thematik der Armut angehen, indem man in der Früh Äpfel verteilt. „Hauptsache nicht in der Wohngegend“, was ist denn das für ein Ansatz? Das ist sehr unbeholfen. Das sind lediglich Versuche, am letzten Glied der Kette etwas zu ändern. Man sieht immer nur die Frau, die unter der Laterne steht, das ist aber ein ganz kleiner Teil eines viel größeren Phänomens. Es gibt einmal die Sexarbeit, die tendenziell frei gewählt ist, der Rest ist aber Sklaverei und Menschenhandel mit Frauen. Das ist das Verbrechen, das begangen wird.

Brigitte Foppa findet das Halteverbot lächerlich.

Damit sich der Straßenstrich nicht nur verschiebt, fordert Armin Widmann, Präsident des Stadtviertelrates Zentrum-Bozner Boden-Rentsch, ein Halteverbot für den gesamten Bozner Boden. Ist das realisierbar?
Nein, das ist nicht realisierbar. Das hat man auch an dem Stück gesehen, in dem jetzt das Halteverbot gilt. Dann kommt halt ein – Puff kann man nicht sagen – Chaos heraus. Das ist lachhaft. Es ist ein komplexes Thema, das verstehe ich, aber man muss dem Phänomen an die Wurzel gehen.

Was wäre, wenn man Bordelle legalisieren würde?
Das klingt im ersten Moment plausibel. „Die von der Straße sollen alle in ein Haus gehen.“ Aber das stimmt mit dem Phänomen nicht überein. Das Bordell kann für die Sexarbeiterinnen eine Lösung sein, da habe ich auch nichts dagegen. Aber man soll nicht die Illusion haben, dass der Straßenstrich dadurch verschwindet. Die Männer, die die Frauen so ausbeuten, schließen sicher keinen Lizenzvertrag mit einem Bordell ab.

Caramaschi möchte die Prostitution „raus aus bewohnten Vierteln bekommen“. Wenn sich die Prostitution in unbelebtere Gebiete verlagern würde, was wäre dann mit der Sicherheit der Prostituierten?
Wenn man an die Frauen denkt, wäre das viel unsicherer. Außer das wären geschützte Gebiete, die überwacht werden. Aber ob da die Freier oder Kunden dann noch hinwollen – die meisten wollen ja nicht gesehen werden.

Die Abgeordnete Renate Gebhard ist gegen die Legalisierung der Prostitution und für die Bestrafung der Freier. Sie verweist darauf, dass Schweden, Norwegen, Island, Nordirland und Frankreich diese Straftat bereits mit Erfolg eingeführt haben. Was sagen Sie dazu?
Ich bin dagegen, die Freier zu bestrafen. Es nützt nichts, die Kunden pauschal zu kriminalisieren. Es sind ja meistens Männer von nebenan. Ich bin aber für die Bestrafung von Menschen- und Sklavenhandel und denke, da muss man intervenieren. Für uns Frauen ist es sicher nicht gut, wenn ein Mann eine Frau kauft wie eine Waschmaschine. Da kann man aber im praktischen Sinn wenig dagegen sagen, außer, dass es absurd ist, dass es das immer noch gibt und was die Kunden wohl für ein Frauenbild haben. Ich würde mir wünschen, dass wir das Thema praktisch angehen und auf die Frauen schauen, die das Phänomen betrifft. Das wird zu wenig gemacht.

„So wie früher die Sklaven zum Arbeiten nach Übersee geschifft wurden, kommen heute Frauen für sexuelle Ausbeutung nach Europa.”

Wer sind diese Frauen? Woher kommen sie?
Man weiß nichts über sie. Obwohl diese Frauen auf der Straße stehen, läuft alles im Verborgenen ab. Deswegen weiß zum Beispiel niemand, wie viele von ihnen Sexarbeiterinnen sind und wie viele Sklavinnen. Man weiß nicht woher sie kommen, weil sie ständig woanders hingebracht werden. Sie sind an einem Tag in einer Stadt, am nächsten wieder woanders. Das ganze System wird ziemlich mobil gehalten, damit die Frauen keine Freundschaften schließen können. Das ist Menschenhandel des dritten Jahrtausends. So wie früher die Sklaven zum Arbeiten nach Übersee geschifft wurden, kommen heute Frauen für sexuelle Ausbeutung nach Europa.

Unter welchen Bedingungen arbeiten und leben sie?
Die Frauen wissen zum Teil nicht, an welchem Ort sie wohnen. Sie müssen alles abgeben, jeden Tag bestimmte Geldsummen einbringen. Sie haben die meiste Zeit ungeschützten Sex, viel Analsex. Sie werden bestimmt regelmäßig zu Abtreibungen gezwungen. Sie leben unter brutalen Bedingungen, haben kein soziales Umfeld und null Sozialabsicherung. Werden sie abgeschoben, wenn sie älter sind? Ich weiß es nicht. Sie haben eine traurige Perspektive.

Es gibt auch Minderjährige, die sich prostituieren. Wie bekommt man das Problem in den Griff, dass auch Jugendliche ausgebeutet werden?
Das ist noch einmal eine Steigerung des Problems. Da müssen Polizei, Streetworker, Sozialdienste und die internationale Fahndung einen Aktionsplan festlegen. Das darf einfach nicht sein, das zerstört ihr ganzes Leben. Von denen weiß doch niemand. Sie kommen in andere Länder, wer weiß wie viele von ihnen auch verschwinden. Das ist hart.

Wäre es sinnvoll, die Frauen selbst zu fragen, was ihrer Meinung nach die beste Lösung wäre?
Die Prostituieren werden nie befragt. Man muss dazu sagen, dass sie sich nicht gerne befragen lassen. Aber es gibt auch keine Versuche in diese Richtung. Unser Anliegen wäre es, dass man auf Initiative der öffentlichen Hand versucht, die Frauen in Bozen zu befragen. Streetworkerinnen müssten dazu aber ein gewisses Vertrauen aufbauen. Die Frauen wissen schließlich, dass sie sozial geächtet sind. In größeren Metropolen, wo bereits interveniert wurde, sagten die Frauen ziemlich deutlich, was es am Straßenstrich bräuchte: Gute Beleuchtung, fixe Stellplätze, Wärme, Plätze, an denen sie geschützt ihren Sex verkaufen können, ein Klo. Über das denkt man auch nie nach.

„Das Problem lässt sich nicht verschieben, auch wenn man Freier bestraft oder den Strich verschiebt.”

Nun würden Kritiker sagen, dass dadurch die Sexarbeit gefördert würde …
Ja, das könnte man auch sagen. Aber das Problem ganz an seinem Ende anzugehen ist sicher auch nicht gewinnbringend. Denn wenn der Menschenhandel nicht aufhört, wird immer Nachschub kommen.

Welche Lösung müsste also her?
Das ist sehr schwierig. Zuerst müsste das Phänomen gut untersucht und man sich einen Überblick verschaffen. Der Sklaven- und Menschenhandel muss polizeilich geahndet werden. Dass es das überhaupt noch gibt, ist schon brutal. Für die Sexarbeit kann man sich etwas überlegen. Man muss aber wissen, dass man den Straßenstrich dadurch nicht weg bekommt. Wenn man auf das Phänomen einwirkt, das sichtbar ist, muss man versuchen, es den Frauen so erträglich wie möglich zu machen. Das Ziel muss sein, dass sie weniger Gewalt erleben, eine hygienische Versorgung haben und eine Anlaufstelle, wo sie betreut werden. Damit könnten sie sich zumindest etwas emanzipieren.

Und was könnte man für die Anwohner tun? Müssen sie damit leben, dass in ihrer Siedlung Prostituierte arbeiten?
Die Anwohner müssen damit leben, dass es Kunden gibt. Ich verstehe sie schon. Wir hatten vor 20 Jahren im Unterland einen Straßenstrich, als meine Kinder klein waren. Erkläre mal einem Kind, dass die Männer Sex kaufen ohne, dass du die Frauen oder Männer beleidigst. Das ist schon ein Problem. Ich war froh, als es den Straßenstrich dort nicht mehr gab, deswegen haben die Anwohner mein vollstes Verständnis. Aber das Problem lässt sich nicht verschieben, auch wenn man Freier bestraft oder den Strich verschiebt.

Dienste

  • News
  • Wetter
  • Verkehrsbericht

BARFUSS


Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support

© 2023 SuTi GmbH
© 2023 SuTi GmbH . Rennstallweg 8 . 39012 Meran . MwSt: 02797340219
DatenschutzCookiesImpressum