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Illustrations by Sarah
Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 23.10.2019
LeuteLinguistin Luise Pusch

„Frauenfeindliche Frauen sind die Norm“

Luise Pusch, heute eine Ikone der Sprachwissenschaft, wuchs im Adenauer-Deutschland als Lesbe auf. Der Feminismus, sagt sie, hat damals ihr Leben gerettet.
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Was, wenn die Medien nur noch das generische Femininum verwenden würden? Genau das forderte das Südtiroler Frauennetzwerk „Wnet-networking women“ und wurde dafür vom Österreichischen Journalistinnenkongress für den “MedienLöwen” 2019 nominiert. Doch die Forderung ist nicht neu. Eine, die sich schon seit Jahrzehnten für den Gebrauch des generischen Femininums einsetzt, ist die renommierte Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch. Unsere Autorin hat sie zu einem subversiven Gespräch über Auflehnung, Menschenrechte und die immerwiederkehrende Selbstsabotage von Frauen getroffen.

Liebe Frau Pusch, einiges ist besser geworden, vieles ist noch immer hochproblematisch für Frauen. Wo sehen Sie aktuell den größten Handlungsbedarf?
Nun, die Legislative stellt eine zentrale Problematik dar, denn die sogenannte Volksvertretung ist fast immer eine „Mannsvolksvertretung“. Frauen sind viel zu wenig in der Politik vertreten. Demokratisch wäre es, wenn wir 50% Frauen in den Parlamenten hätten, aber das haben wir eigentlich nirgendwo – selbst in den fortschrittlichen Staaten Skandinaviens nicht. Außerdem hat die UNO schon vor Jahrzehnten festgestellt, dass die Frauen den Großteil der Arbeit, ungefähr 70 bis 90 Prozent leisten, und dafür nur ein Zehntel des Lohns bekommen. Gleichzeitig wird immer noch vorwiegend über die männliche Linie vererbt; Frauen haben also insgesamt weniger Geld. Die für mich allerschlimmste und dringlichste Problematik ist jedoch die Müttersterblichkeit: Die ist weltweit dreißig mal so hoch wie sämtliche Kriegsopfer pro Jahr zusammen. Also alle Konflikte in der gesamten Welt haben haben dreißig mal weniger Opfer als Mütter im selben Jahr versterben müssen. Das ist aber in den Medien kein Thema – und zeigt uns damit vor allem, wie unwichtig diese Katastrophe in der Gesellschaft ist. Und das liegt eben daran, dass Frauen schlicht auf der ganzen Welt nicht so viel gelten wie Männer.

Aber wie kommt es, dass der Zusammenhalt der Männer, auf den letztlich der Erfolg des Patriarchats fußt, keinen Millimeter bröckelt, während der Zusammenhalt zwischen den Frauen, die doch eigentlich sogar ein bisschen in der Mehrheit sind, nicht übergreifend gelingt?

Luise Pusch

Frauenfeindliche Frau sind eigentlich die Norm. Das ist das, wozu wir erzogen werden – unsere eigenen Interessen nicht zu vertreten, sondern die Interessen der Männer. Ich seh das auch bei der Sprachfrage immer ganz deutlich: Wenn ich für die Verwendung des generischen Femininums plädiere – also einfach die Entsprechung des Maskulinums – dann stehen die Frauen und nicht so sehr die Männer auf und sagen: Das können wir den Männern doch nicht antun, dass die jetzt genauso schlecht behandelt werden, wie wir immer behandelt werden.

Aber wieso denn bloß?
Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie bei „Wohlverhalten“ eher einen kurzfristigen Erfolg bekommen: Nicht bestraft zu werden. Bei jungen Mädchen hat das Äußern von feministischen Überzeugungen – sofern es überhaupt möglich war, solche zu erwerben – etwa sofortige negative Folgen. Und das durchschauen ganz wenige, dass sie, indem sie so folgsam die Interessen der Männer vertreten, sich selber langfristig schaden. Ich habe das immer zusammengefasst in dem Satz: Die rebellische Sklavin ist keine gute Sklavin. Denn sie macht ihrem Herren Ärger und ihren Mitsklavinnen Angst.

“Der Großteil der Sklavinnen haben den Pionierinnen der Antisklavereibewegung Steine in den Weg geworfen, weil sie fürchteten, das bringt erstmal nur Ärger. Das ist dasselbe Muster, das Feministinnen bis heute erleben.”

Diese Sklavinnen, die das patriarchale Narrativ vertreten und sich etwa nichts zu sagen trauen, wenn der Mitarbeiter sexistische Kommentare über die Kollegin ablässt – das kommt aber doch auch bei aufgeklärten Männern nicht immer gut an?
Nun, feministische Analysen haben ergeben: Wie frau es macht, macht sie es verkehrt. Wenn sie also mutig für Frauen eintritt und sich behauptet, ist sie zickig und nicht teamfähig und wenn sie alles so macht, wie der Chef will, dann ist sie unterwürfig und auch nicht so richtig das Wahre. Ich möchte aber noch etwas zum Begriff der Sklavin sagen: Das ist natürlich ein sehr krasses Bild, aber es deckt sich mit den Fakten der Sklavereigeschichte in den USA. Da haben nur ganz wenige Sklaven und Sklavinnen für die Abschaffung der Sklaverei ihren Kopf hingehalten und sind offen dafür aufgetreten. Der Großteil der Sklavinnen haben den Pionierinnen der Antisklavereibewegung Steine in den Weg geworfen, weil sie fürchteten, das bringt uns erstmal nur Ärger. Und erst nachdem die Ersten Erfolg hatten, da wagten es auch die anderen, allmählich hinterherzugehen. Das ist dasselbe Muster, das Feministinnen bis heute erleben. Und sie müssen sehr stark sein, um die andern hinter sich herzuziehen.

Aber es hat ja schon sehr viele Pionierinnen gegeben, Sie sind eine ganz wichtige davon…
…aber die Gegenpartei war auch nicht faul.

Wobei die sogar faul sein darf, sie muss ja nichts ändern, sie braucht nur den uralten Status quo erhalten.
Aber sobald eine Feministin auftritt und erfolgreich ist, formiert sich der Widerstand der Männer. Da wird sofort losgeschlagen und auch nicht zu knapp.

Sie sagten mal, Sie hätten „ein Leben im Widerstand“ geführt und dass der Feminismus Ihnen buchstäblich das Leben gerettet hat. Wie meinen Sie das?
Ich bin als lesbische Frau im Patriarchat mit der Botschaft aufgewachsen, ich wäre besser tot. In den Adenauer-Jahren, in den 50er und 60er Jahren, war es wirklich ein unerträgliches Leben, in Deutschland lesbisch zu sein. Es war ein Leben im Versteck. Und so ein Leben kann man eigentlich nicht aushalten. Ab Mitte der 80er Jahre war ich dann sehr viel in den USA, meinem Zufluchtsort, der vergleichsweise fortschrittlich war. Sieht heute wieder anders aus, heute weicht frau besser nach Deutschland aus. Das ist vielen jetzt vielleicht nicht mehr so bekannt, aber vorgestern in Meran, da kam eine 75-Jährige auf mich zu und sagte: Genauso war es damals, ich bin auch fast gestorben.

Und dann kam die Frauenbewegung…
…und drehte alle Werte um – und ich kam plötzlich vom allerletzten Dreck in die Führungsriege. Ich bekam immer mehr Resonanz für meine Thesen und Analysen. Das hat mich gestärkt, während ich die Universität, die ich vorher sehr hoch geschätzt hatte, weil ich dachte, es geht um Erkenntnis und Innovation, immer mehr verachtet habe. Denn das, was ich für meine wichtigsten Erkenntnisse in der Sprachwissenschaft hielt, wurde aus Machtstreben und männlichem Zusammenhalt innerhalb der Universität abgelehnt. „Emanzen wollen wir hier nicht“, wurde mir gesagt. Ab 1986 habe ich entschieden, mich nicht weiter an deutschen Universitäten zu bewerben, und letztlich war ich froh, aus dieser Institution raus zu sein und nicht weiter kaputtgemacht zu werden. Zehn Jahre später gab es dann erste feministische Professuren – aber in meinem total konservativen Fach noch lange nicht. Feministische Linguistik? Fehlanzeige, dafür brauchte es weitere Jahrzehnte. Genderforschung etablierte sich in den 1990er Jahren und wird jetzt – 20 Jahre später – wieder stark angegriffen von der AfD und den üblichen Verdächtigen.

“Merkel muss nicht nur in China, sondern auch in Saudi Arabien die Menschenrechte einfordern!”

Á propos übliche Verdächtige, die sonst eigentlich kein gleichberechtigtes Frauenbild fördern, aber letzthin das dringende Bedürfnis hatten, deutsche Frauen zu schützen: Stichwort „Kulturrelativismus“. Wie kann ich als Feministin damit umgehen, wenn andere Kulturen ein problematisches Frauenbild haben?
Ich finde, das ist relativ einfach zu beantworten: Wir haben das Grundgesetz. Und da steht das drinnen, von der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Und wenn nun Frauen, sagen wir mal, klitorisverstümmelt oder zwangsverheiratet werden sollen mit 13 Jahren, ist das nach unserem Grundgesetz verboten. Und es ist auch verboten, Frauen zu schlagen oder die Ehefrau zum Beischlaf zu zwingen. Da muss das Recht, das für alle gilt, befolgt und durchgesetzt werden – dann kommen wir schon ziemlich weit.

Aber das heißt auch, dass ich mich als Feministin dem legislativen Rahmen anpasse, in welchem ich mich befinde, und der ist in den unterschiedlichen Ländern nicht immer frauenfreundlich.
Nun, wenn wir jetzt von Flüchtlingen in unserem Verwaltungsbereich reden, will ich sagen: Keine Parallelgesellschaft akzeptieren, denn das Grundgesetz gilt für alle. Außerdem sollten in Asylverfahren Frauen und Kinder massiv bevorzugt werden, weil sie viel, viel mehr bedroht sind. Und was andere Länder angeht, so ist es Sache der Außenpolitik, Sanktionen auszusprechen, um Menschenrechte einzufordern. Ich erinnere mich an Jimmy Carter, der in Sachen Menschenrechte unterwegs war, und als in Saudi Arabien das Empfangskomitee ausschließlich männlich war, weil die Frauen das Haus nicht verlassen durften, verlor er darüber kein Wort – denn es ging ums Öl. Das ist eine Doppelmoral und ich finde, die muss aufhören. Merkel muss etwa nicht nur in China, sondern auch in Saudi Arabien die Menschenrechte einfordern. Unser deutscher Außenminister ist da nicht schlecht, der tut da auch den Mund auf. Kulturrelativismus finde ich für Frauen ungeheuer schädlich.

Was die akademischen Institutionen angeht – die sind nach wie vor sehr hierarchisch organisiert und zum Großteil männerdominiert…
Leider. Es ist forschungsmäßig belegt worden: Männer suchen jemanden, der die Innung stärkt, sie suchen ihresgleichen. Auch extrem gute männliche Professoren haben es nicht leicht. Ich habe damals bei Suhrkamp veröffentlicht, das hätten meine Kollegen auch gern getan – und waren allein schon deswegen sauer. Denn mittelmäßige Männer suchen das Mittelmaß, das sie selbst darstellen.

Frauen haben ebenso wie Männer ein Aggressionspotenzial, leben es aber in der Regel anders – nicht so impulsiv, sondern subtiler und perfider – aus. Sie hatten nach dem Germanwings-Unglück 9525 eine Frauenquote im Cockpit gefordert…
Die Quotierung wird ja inzwischen für viele Bereiche gefordert. Für die Parlamente, für die Aufsichtsräte und überall dort, wo der Staat Fördergelder vergibt, sollte er die Durchsetzung dieser Gerechtigkeitsforderung entsprechend verlangen. Die Vergabe der Gelder sollte an Bedingungen geknüpft sein. Und wenn nun, wie aktuell etwa bei Condor, unsere Steuergelder gefragt sind, damit sie weitermachen können, dann könnte das an Forderungen gebunden sein: Dass sie die Quote im Cockpit einführen oder sich dieser immerhin annähern.

“Im generischen Femininum sind das Weibliche und das Männliche und sämtliche anderen fünfzig Geschlechter mitgemeint.”

Das täte vielen Bereichen gut, aber kürzlich wurde hier in Südtirol ein Gesetzesantrag versenkt, der zumindest eine (!) Frau in den Gemeinderatskommissionen garantieren sollte – und sogar nur dort, wo das überhaupt möglich ist, weil Frauen zur Verfügung stehen. Da reden wir noch nicht mal von Quote und sogar dieses Minimalzugeständnis ist hierzulande nicht möglich. So etwas macht ziemlich ratlos – wie sollen wir bloß damit umgehen?
Ich würde da nach Möglichkeit nach Brüssel gehen und zusehen, ob da nach dem Antidiskriminierungsgesetz nicht irgendetwas durchgesetzt werden kann. Das ist ja eine ganz starke Diskriminierung von Frauen, die sogar Frauen selbst mit herbeigeführt haben. Aber das ist ja nichts Neues, das erklärt sich mit der Sklavinnenmentalität.

Wir haben in Italien ein sehr großes Femizid-Problem mit jährlich ca. 150 Opfern – wenn es ein Virus wäre, würde es bei so vielen Todesfällen eine Massenpanik geben. Dieses Problem wird aber hingenommen, in den Medien wird die Täterschaft bagatellisiert, ja oft sogar entschuldigt…
Es ist himmelschreiend, dass Täter oft als Opfer beschrieben werden, denen die Frauen so viel Ärger gemacht haben, dass sie einfach zustechen mussten. Ja, was ist dagegen zu tun? Ich weiß es auch nicht. Die Unfähigkeit, gegen die physischen und familienrechtlichen Verwundungen der Frau vorzugehen, hat letztlich natürlich auch damit zu tun, dass Frauen in der Legislative einfach nicht ausreichend vertreten sind. Für die Berichterstattung denke ich, wäre Parität in den Medien ein erster Ansatz.

Kurz zum sprachlichen “Gendern”: Wie sollte man und frau denn nun – mit Binnen-I, Sternchen, Unterstrich?
Ich plädiere ja immer schon für das generische Femininum, also den durchgehenden Gebrauch des Femininums – genau wie wir jetzt den durchgehenden Gebrauch des Maskulinums haben. Das ist insgesamt am einfachsten, weil damit die ganzen Verdopplungen in den unteren Bereichen wie bei Adjektiven usw. wegfallen. Außerdem ist damit die ganze Transgender-Debatte gelöst, denn das Maskulinum soll ja neutral sein und wir sagen: Das Femininum ist genauso neutral. Da ist das Weibliche und das Männliche und sämtliche anderen fünfzig Geschlechter gemeint. Und die müssen das mal akzeptieren, wie wir Frauen es die letzten 2000 Jahren akzeptieren mussten und die brauchen es vielleicht nur für die nächsten zehn Jahre zu akzeptieren. Denn dann würden die Assoziationen inzwischen automatisch weiblich und damit mehr an Frauen gedacht werden – aktuell sind die Assoziationen ja männlich. Das generische Femininum würde also viele Probleme mit einem Schlag lösen. Es hat aber den Nachteil, dass es den Männern nicht gefällt. Deswegen gefällt es auch vielen Frauen nicht.

Ok, ich verwende jetzt durchgehend das generische Femininum.
Ja, das wäre hilfreich. Und das ganze Rumeiern, also Schrägstrich undichweißnichtwas, entfällt.

Eine letzte Frage: Greta Thunberg – jung, verhasst und vor allem weiblich. Das verbale Sodom und Ghomorra gegen diese junge Frau und auch gegen Carola Rackete machten jeden anständigen Menschen sprachlos: Wie viele Heldinnen brauchen wir noch, bis die Leute begreifen und ertragen können, dass Frauen die Welt verändern?
Was ich wahrnehme, ist viel weniger die Häme in den Sozialmedien, sondern der Riesenerfolg, den diese Frauen haben – auch medial. Sie haben nicht so viele Verfolger wie Anhänger. Das war bei mir auch so: Auf der einen Seite hat mich die Uni regelrecht gekreuzigt, auf der anderen Seite ist meine Anhängerinnenschaft gewachsen und ich war plötzlich in aller Munde. Und das ist die andere Seite, die für mich überwiegt: Die Verfolger hatten keinen Erfolg. Und bei Greta und Carola ist das genauso, und deswegen blähen sich die Verfolger auch so: Weil sie sehen, dass sie überrollt werden.

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