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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 08.08.2016
LeuteEin Flüchtling, der das Tanzen lehrt

„Dancing can unite people“

Veröffentlicht
am 08.08.2016
Vor einem Jahr kam John Chuwke als Flüchtling nach Italien. In einem Workshop lernt er den Menschen in Südtirol den Tanz seiner Heimat.
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John Chuwke

John wischt sich mit einer blauen Bandana den Schweiß von der Stirn. Es ist heiß heute Nachmittag. Sogar in der Gaulschlucht in Lana. Das scheint nicht nur uns etwas auszumachen, sondern auch dem jungen afrikanischen Mann, der die Hitze eigentlich gewohnt sein sollte. John Chuwke stammt aus einem kleinen Ort im Norden Nigerias. Hier herrschen um diese Zeit konstant um die 30 Grad.

Seit einem Jahr lebt John in Italien und hat alle Jahreszeiten bereits einmal mitgemacht. „I prefer the colder days here in Italy“, sagt er, grinst und wischt gleich noch einmal nach. Trotzdem trägt er heute eine lange, eng geschnittene Jeans, dazu ein kariertes Hemd über einem weißen T-Shirt. Das gehört einfach zum Style. John ist Tänzer und Musiker und ist heute in der Gaudi Bar, um den Leuten etwas von seinen Kenntnissen weiterzugeben. „Back in Nigeria I was a dancer“, erzählt er, „and I love music.“ Zuhause hat er sich nicht nur Breakdance, sondern auch afrikanische Tänze selbst beigebracht. In Südtirol macht er mit einer Gruppe von Flüchtlingen im Haus Noah in Prissian Musik und bringt ihnen ein paar Tanzschritte bei.

Den Tanz, den er heute unterrichtet, nennt man Azonto. Eine Form der Bewegung, die ihren Ursprung in traditionellen Tänzen wie dem Kpanlogo aus Ghana hat. Von dort aus habe sich der Tanz wie ein Virus über ganz Afrika ausgebreitet, erzählt John. „Everybody knows Azonto dance“, erzählt er über die Menschen in Nigeria, „from small children to old ladies.“ John hat das erste Mal mit 13 Jahren auf seiner ersten Party Azonto getanzt. Das ist nun genau sieben Jahre her.

Johns Asylantrag wurde vor einiger Zeit abgelehnt. Er würde gerne arbeiten, findet aber niemanden, der ihn einstellt. „That’s why I decided to teach people dancing. I can show them something that I know and they don’t“, sagt er, scrollt mit dem Daumen über sein Smartphone und klickt. Laute Musik tönt aus der großen Box, die ihm das Jugendzentrum Jux in Lana für seinen Kurs zur Verfügung gestellt hat. Die Musik klingt anders als erwartet. Keine afrikanischen Rhythmen, sondern moderne beats bringen John zum Tanzen. „I just came back from Ghana and I want to share this dance that everybody was doing over there“ singt Fuse Tiffany im Lied. „Watch me do my Azonto, Azonto, Azonto“, singt John und bewegt seinen rechten Fuß im Rhythmus mit. Sein Knie wackelt schnell von links nach rechts. Mit seinen Armen ahmt er gleichzeitig eine Boxbewegung nach – typisch für den Azonto Style – und fordert uns auf, mitzumachen. „Das ist ganz schön schwierig“, meint Denise, die heute extra für Johns Tanzstunde in die Gaulschlucht gekommen ist. So einfach wie es bei ihm aussieht, ist Azonto für uns nicht. Bei John bewegt sich jeder Körperteil mit der Musik. Uns, die wir ihn zu kopieren versuchen, kostet es hingegen ganz schön viel Mühe, unsere Schultern im Takt mit den Knien zu bewegen und dabei nicht starr auszusehen. „You can dance how you want“, sagt John, „it’s about feeling the music.“

Beim Azonto hört man vor allem auf die Musik. Man ahmt nach, was der Sänger in seine Texte packt. So reibt sich John einmal den Bauch, als wäre er hungrig und tut ein anderes Mal so, als würde er sich schminken. Wir müssen lachen und John lacht mit. Dann wechselt die Musik. John beugt seinen Oberkörper leicht nach vorne und streckt seinen Hintern nach hinten. Er wackelt mit den Hüften und bewegt die Hände abwechselnd, so als würde er jemanden antippen. „This is how old ladies dance in Nigeria“, sagt er und schwingt grinsend die Hüfte weiter im Takt. „You are ladies, you can move your hips“, ruft er uns zu und fordert uns mit einer Handbewegung dazu auf, unser Hüften mehr zu kreisen. Hüfte und Knie werden besonders in Anspruch genommen, was bei afrikanischen Tänzen wohl öfter vorkommt. Das sei auch der Sinn von Azonto, meint John. „It helps to keep the body fit“, schwärmt er von seinem Lieblingstanz.

„Dancing makes me happy and gives me motivation.“

Über seine Flucht spricht John nicht gerne. „It’s a long story, maybe too long“, sagt er und wird plötzlich nachdenklich. Einen Monat lang war er unterwegs. Alleine. „We were just running for our lives“, erzählt John von der Zeit, in der er Libyen passierte. Er erzählt von Bomben und Panzern und vergleicht das Leben dort mit einer Szene aus einem Kriegsfilm.

Ursprünglich wollte er in Libyen bleiben, weil er Arbeit gefunden hatte, doch die Kriegssituation ließ das nicht zu. Von Lampedusa wurde er schließlich nach Bozen gebracht, wo er einige Zeit lebte. Dann kam er nach Meran, wo John zwei Monate lang die Schule besuchte. Er mag Italien, möchte gerne besser Italienisch sprechen, um endlich mehr Leute kennen zu lernen. „It’s very difficult for me, because I’m not used to learn languages“, sagt er.

In Nigeria hatte er keine Möglichkeit zur Schule zu gehen, weil sein Vater es ihm verboten hatte. Englisch brachte er sich selbst bei, indem er sich Musiktexte anhörte und Filme schaute. Wenn er italienische Kinder sieht, sei er glücklich, erzählt John. Er bewundere sie, weil sie von klein auf Dinge lernen dürfen und erzogen werden. In Nigeria gebe es so etwas nicht. Wenn die Eltern dort entscheiden, dass die Kinder nicht in die Schule dürfen, dann ist es ihnen verboten.

Nigeria habe viele Probleme, meint John. Er erzählt von Familienkonflikten, Drogen und von Boko Haram, der islamistischen Terror-Gruppierung im Norden Nigerias. „This people are destroying our country“, sagt er, „I am scared about Nigeria, my life is in danger there“. Er wolle nie wieder zurück in seine Heimat und wisse nicht, wie es weiter gehen soll, wenn er nicht bleiben darf. Fragt man ihn nach seiner Familie, sagt er nur: „There is just me.“ John scheint seine Vergangenheit vergessen zu wollen. Wie er das Leben meistern soll, weiß er selbst nicht.

Weil er keine Arbeit hat, macht er entweder Musik oder tanzt. „Dancing can unite people. We could be one love through dancing“, sagt er. Irgendwann würde John gerne Musiker werden oder Tanzlehrer. Als nächstes lässt uns der Nigerianer einen seiner eigenen Songs hören und wir versuchen, dazu zu improvisieren. Barfuß tanzen wir auf dem warmen Beton der Gaulschlucht und finden auf dem Rhythmus, den John geschrieben hat, zusammen.

Wer Azonto ausprobieren will, hat am 10. August die Gelegenheit dazu. John unterrichtet von 16–18 Uhr in der Gaudi Bar in der Gaulschlucht in Lana. Der Workshop ist kostenlos, eine Anmeldung ist nicht nötig.

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