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Magdalena Jöchler
Veröffentlicht
am 08.10.2019
LeuteInterview mit Lorenz Gallmetzer

„Salvini entfesselt dumpfste Instinkte“

Veröffentlicht
am 08.10.2019
Der Journalist Lorenz Gallmetzer setzt sich in seinem neuen Buch mit Matteo Salvini auseinander. Er geht dafür zurück in die Zeit Mussolinis und des Kalten Kriegs.
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Wenn Matteo Salvini für den 19. Oktober zum Marsch auf Rom aufruft, ist das nicht die einzige Parallele zu Benito Mussolini. Beide Karrieren – Salvinis und Mussolinis – sind nämlich in einer völlig anderen politischen Ecke losgegangen: bei den Kommunisten. Trotz dieser und vieler anderer Widersprüchlichkeiten war und ist Italien Vorreiter und Blaupause für Nationalpopulisten weltweit.

15 Monate lang tourte Matteo Salvini als Innenminister durch das Land. Seine Amtsperiode glich einem Dauerwahlkampf, seine Parolen und Inszenierungen haben in Italien eine Faschismusdebatte ausgelöst. Lorenz Gallmetzer nimmt in seinem neuen Buch Salvinis Propaganda unter die Lupe und geht dafür zurück bis zu Mussolinis Anfängen.

Als Salvini im August die Koalition mit der 5 Sterne Bewegung sprengte, war dein Buch gerade in Druck, das Ende also nicht absehbar. Deine Prognose für den Fall eines Bruchs lautet damals: „Die wahrscheinlichste Alternative zur Lega/5 Sterne-Regierung ist eine ultrarechte, autokratische Regierung mit extremistischen Tendenzen, angeführt von Matteo Salvini.“ Wagst du heute nochmal eine Prognose?
Das war eine Fehlprognose. Dass die 5 Sterne einen fliegenden Wechsel von der Salvini-Lega zum PD machen und der PD da mitspielt, war absolut nicht absehbar. Es war eine „estate pazza“ wie es die Medien nennen.

Das heißt Prognosen sind nicht mehr möglich?
Doch, sehr wohl! Im Moment hängt alles von der EU ab. Die traditionellen Volksparteien haben befürchtet, dass bei der EU-Wahl im Mai ein derart starker Block von EU-Feinden zustande kommt, dass die Arbeit so gut wie blockiert wird. Das hat so nicht stattgefunden. Vor allem auch, weil Ungarn letztlich doch unter der Bettdecke der EVP geblieben ist und sich nicht Orban, Le Pen, Salvini und Co angeschlossen hat.

Lorenz Gallmetzer

Was müsste die EU also tun?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula Van der Leyen muss der sehr widersprüchlichen, intern auch zerrütteten Regierung aus 5 Sterne und PD jetzt kräftig unter die Arme greifen. Die Italiener müssen bis zum nächsten Sommer spüren, dass sich für sie wirklich etwas verändert. An erster Stelle steht die Flüchtlingsfrage: Hier wurde vor zwei Wochen auf Malta ein Minimalkompromiss zur Verteilung der Flüchtlinge gefunden. Das darf nicht nur ein Versprechen bleiben und in sechs Monaten sind sie immer noch da. Dasselbe gilt für die Budgetpolitik. Hier muss die EU etwas elastischer werden und nicht wieder mit Trojka und Strafverfahren drohen. Wie Premier Giuseppe Conte schon vorgeschlagen hat, muss es möglich sein Spesen von Naturkatastrophen oder Investitionen im Umweltbereich aus dem Budget abzuziehen, damit es kleiner ausfällt. Gelingt es der EU nicht, den Italienern das Gefühl zu geben, dass sie gehört werden, dann steht Salvini im nächsten Sommer stärker denn je vor der Tür. Und dann haben wir eine rechts-rechte Regierung.

Die 5 Sterne waren das Feindbild des Partito Democratico und umgekehrt. Wie viele Monate gibts du diesem Bündnis?
Viele Faktoren sprechen dafür, dass sie sich eineinhalb Jahre lang zumindest durchwursteln. Wenn einige Reformen angepackt werden – halbwegs vernünftige soziale Maßnahmen etwa – dann werden diese eineinhalb Jahre für Salvini zur Durststrecke. In der Folge wird es auch innerhalb der Lega zu Spannungen kommen.

Fünfzehn Monate lang saßen Matteo Salvini und seine Partei an Schlüsselstellen im Regierungs- und Verwaltungsappart. Wie viel Schaden kann man dort in so kurzer Zeit anrichten?
Enormen Schaden! Aber weniger in der Realpolitik. Silvio Berlusconi hat in vier Amtsperioden als Ministerpräsident in der Gesetzgebung auch wenig angerichtet. Aber er hat eine Non-Kultur des öffentlichen Diskurses eingeführt. Ohne seine bewusste Diskreditierung des Parlaments, des senso civico, der Steuermoral oder der politischen Korrektheit wären weder ein Renzi noch ein Salvini möglich gewesen. Berlusconi hat ihnen den Boden bereitet. Salvini hat den nächsten Schritt gemacht: Er hat die dumpfsten menschlichen Instinkte wachgerufen und entfesselt. Plötzlich darf man öffentlich sagen, wofür man sich sonst geschämt hätte – gegen die „Zigeuner“, die „Neger“, die Frauen oder die „Schwulen“. Das alles kann man nicht so schnell wieder in die Flasche zurückdrücken. Mit der Zusammenarbeit von 5 Sterne und dem PD ist es nicht getan.

Die Lega von Salvini ist eine neue Rechte, wie wir sie in der Form in der Nachkriegszeit noch nicht gesehen haben.

In einem Land, in dem die Enkelin von Mussolini jedem mit Anzeige droht, der oder die ihren Großvater beleidigt, ist das doch nichts Besonderes?
Nicht vergessen: Zum ersten Mal seit 1945 hat in diesem Jahr ein Innenminister und Vizepremier am 25. April – der an die Befreiung vom Faschismus erinnern soll – seine Anhänger dazu aufgerufen, nicht an den Gedenkfeiern teilzunehmen, weil es ihn nicht interessiert. Das ist der offene Bruch mit dem demokratischen Konsens seit 1945 in ganz Europa, wo man gesagt hat: „Nie wieder Faschismus!“

Was unterscheidet Salvinis Lega von den neofaschistischen Parteien, die es in Italien seit der Nachkriegszeit gibt?
Die Lega von Salvini ist eine neue Rechte, wie wir sie in der Form in der Nachkriegszeit noch nicht gesehen haben. Der Philosoph Massimo Cacciari nennt sie im Interview für mein Buch „la destra sociale”. Die rechten Parteien der Nachkriegszeit wie zum Beispiel der Movimento Sociale Italiano (MSI) hatten zwar faschistische Ideologien, aber in der Realpolitik waren sie wirtschaftsliberal. Für die Legawähler hingegen sind die internationale Finanzindustrie, die multinationalen Konzerne, die EU, George Soros und so weiter die großen Feinde. Das ist eine Mischung aus Rassismus, Antisemitismus und linken Parolen. In Kombination mit den Forderungen nach Lohnerhöhungen, sozialer Sicherheit und dem sehr konservativen Familienbild deckt man potenziell 80 Prozent der Wähler ab.

Ist das die radikale Wende, von der du schreibst?
Die Wende besteht darin, dass man anstelle neuer internationaler Kooperationen in Fragen des Klimas, der Migration oder der sozialen Gerechtigkeit den Wählern verspricht, ohne Einfluss von außen eine wirklich soziale Politik für das Land machen zu können. Außerdem werden demokratische Prinzipien pro Forma beibehalten, deren Sinn aber wird ausgehöhlt. Gesehen haben wir das etwa an Salvinis Forderung, regierungskritische Äußerungen von Staatsanwälten und Richtern zu registrieren.

Ist das Faschismus?
Die faschistische Kultur war immer ein Kaleidoskop von Widersprüchlichkeiten ohne wirkliche Philosophie. Der Nationalsozialismus war viel systematischer. Dieses Widersprüchliche ist auch typisch für Matteo Salvini: Er hat als Kommunist begonnen. Das gibt er auch offen zu. In seiner Schulzeit ist er in Italiens berühmtestem Centro Sociale ein und aus gegangen – dem Leoncavallo. Dort trifft sich alles von links bis Anarchoszene. Selbst als er schon für die Lega Nord im Mailänder Gemeinderat saß, hat er die Leute vom Leoncavallo verteidigt.

Warum verzeihen ihm die Wähler das?
Die Menschen sind durch die Folgen der völlig unkontrollierten Globalisierung und der digitalen Revolution schwer verunsichert. Und sie haben das nicht unberechtigte Gefühl, dass sämtliche Parteien angesichts der rasanten Entwicklungen keine Lösungen hatten. Das nährt die Sehnsucht nach dem „starken Mann” und einfachen Schwarz-Weiß-Slogans.

Warum ist diese Verunsicherung gerade in Italien so groß?
Italien hat nach dem Ventennio Fascista (1925–1945) eine amputierte Demokratie erlebt. 50 Jahre lang regierte mit der Democrazia Cristiana (DC) eine Staatspartei das Land. Zwar haben kleine Satellitenparteien mitregiert, aber im Grunde war es eine von außen verhinderte demokratische Kultur. Die USA unterstützten die DC aus Angst vor einer Einflussnahme Stalins schon im ersten Parlamentswahlkampf 1946 – mit Geld, Hollywoodstars, Filmen und Musik. Während des gesamten Kalten Krieges verhinderten die USA und die NATO mit allen Mitteln und großem Druck, dass die italienische Linke an die Regierung kommt oder auch nur eingebunden würde. Das hat natürlich nicht zur Entfaltung des Bürgersinns und zur Emanzipation der Bürger beigetragen. Politische Auseinandersetzungen wurden entweder durch Korruption, Vetternwirtschaft oder durch harte Konfrontation erledigt.

Salvini hat ein gutes Gespür für die Ängste, Frustrationen und den Zorn der Menschen. Er weiß, wie er das in eine Welle verwandeln kann, auf der er surft

Im Vergleich zu Deutschland gab es wenig oder gar keine Auseinandersetzung mit der eigenen faschistischen Vergangenheit. Warum eigentlich?
1943 haben der König, die Industriellen und Teile der faschistischen Partei gesehen, dass der Hitlerkrieg in eine schlechte Richtung geht. Ihr Ziel war es, möglichst schnell einen Separatfrieden mit den Alliierten zu schließen. Der Preis dafür: Mussolini muss weg. Also hat ihn der König zu sich gerufen und ihn sehr zivil abgesetzt. Dann haben sie ihn zwar auf den Gran Sasso hinauf, wo ihn die Deutschen befreit haben, aber der Schuldige war gefunden. Bei der Befreiung Italiens durch die amerikanischen und britischen Truppen vom Süden her hat die gesamte Bevölkerung gejubelt. Die hatten nie das Gefühl, Faschisten zu sein. Als ich klein war, sind im Fernsehen wöchentlich Spielfilme gelaufen, in denen die Deutschen die Bösen waren und die Italiener die Helden. Jemand, der gegen den Faschismus kämpft, habe ich in meiner Jugend nie gesehen. Der eigene Faschismus war ein „fascismo straccione”, Lumpenfaschismus. Wobei Massimo Cacciari seine unromantische Vision hat und sagt: Die Kommunisten haben auf einen Nürnberger Prozess verzichtet, weil sie das Land befrieden wollten. Sie haben gewusst, dass ein Großteil der Mitläufer und Bewunderer des Faschismus auch ihre Wähler sind. In der Tat: Wo der Partito Nazionale Fascista (PNF) die meisten Aktivisten hatte, sind daraus rote Hochburgen geworden.

Womit wir wieder bei Salvini und seinem flatterhaften Wesen wären.
Salvini hat ein gutes Gespür für die Ängste, Frustrationen und den Zorn der Menschen. Er weiß, wie er das in eine Welle verwandeln kann, auf der er surft.

Du nennst Italien im Untertitel deines Buches „den Vorreiter des modernen Nationalpopulismus”. Warum nicht Frankreich oder Ungarn?
Italien ist zusammen mit Griechenland die große Gründungskultur der westlichen Zivilisation und Gründungsmitglied der EU.

Das ist lange her.
Italien hat die drittstärkste Volkswirtschaft der Eurozone. Ohne Italien gibt es keine EU, ohne Frankreich auch nicht. In Frankreich war ich mir aber immer sicher, dass Le Pen nie Präsidentin werden wird. In Italien bin ich mir dessen nie sicher. Wenn Heinz Christian Strache in Österreich Kanzler geworden wäre, wäre das für Österreich schlimm, für Europa aber verkraftbar. Wenn aber in Italien eine Form von Totalitarismus entsteht, erschüttert das das ganze europäische Gebilde oder bringt es gar zum Einbruch.

Zum Buchautor:

Der gebürtige Südtiroler Lorenz Gallmetzer war jahrelang als Korrespondent für den ORF in Paris und Washington und leitete den legendären „Club 2”. Vor drei Jahren machte er mit seinem Buch „Süchtig” seine Alkoholsucht öffentlich. Mit seinem aktuellen Buch kehrt er zu seinen journalistischen Wurzeln zurück.

Buchpräsentationen:

  • 7. Oktober im Treibhaus, Innsbruck
  • 10. Oktober Gärtnerei Schullian, Bozen

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