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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 24.02.2014
LeuteAuf a Glas'l

„Ich bin stolz auf euch“

Veröffentlicht
am 24.02.2014
Cehnita Lyubov ist Ukrainerin und lebt in Südtirol. Besorgt verfolgt sie die Ereignisse in ihrer krisengeschüttelten Heimat.
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Cehnita Lyubov

Cehnita Lyubov trägt eine Schleife in den ukrainischen Nationalfarben an ihrer Jacke. Sie ist immer noch Ukrainerin mit Leib und Seele, auch wenn sie nach Südtirol ausgewandert ist, um Arbeit zu finden. Sie lebt und arbeitet mittlerweile in Leifers. Die Entwicklungen in der Ukraine in den vergangenen drei Monaten hat sie besorgt mitverfolgt und beschlossen nicht nur tatenlos zuzusehen: Anfang Februar setzte sie mit einer Kundgebung am Bozner Mazzini-Platz ein Zeichen der Unterstützung. Ich treffe Cehnita Lyubov im Restaurant Grissino in Bozen, sie bestellt einen Macchiato, das Gespräch beginnt.

Vor zwei Wochen haben Sie am Mazzini-Platz eine Kundgebung organisiert. Warum?
Anfang Februar war die Situation in der Ukraine sehr kritisch. Wir wollten unsere Freunde und Verwandten in der Ukraine unterstützen, indem wir auf die Entwicklungen aufmerksam machen und uns solidarisch zeigen. Natürlich war unsere Situation an den zwei Protesttagen hier nicht vergleichbar, da wir sehr nette Unterstützung von der Polizei bekommen haben, es nicht so kalt war und wir nicht beschossen wurden. Dennoch wollten wir ein Zeichen setzen, was uns gelungen ist: Wir konnten ganze 150 Ukrainer aus Südtirol am Mazziniplatz versammeln.

Haben Freunde oder Verwandte von Ihnen am Maidan-Platz in Kiew mitgekämpft?
Ja, mein Bruder. Er ist Priester und ist extra aus seiner Heimatstadt nach Kiew gefahren, um die Rebellen zu unterstützen. Er hat uns von einem gigantischen Gefühl des Zusammenhaltes erzählt, wir Ukrainer kämpfen endlich gemeinsam gegen eine Diktatur und gegen die wuchernde Korruption. Sie haben zusammen Barrikaden aufgebaut und freiwillige Helfer haben Essen, Trinken und Medikamente gebracht. Viele Rebellen sind krank, weil sie schon seit Beginn der Revolution – das war vor drei Monaten – bei extremen Minusgraden auf dem Maidan-Platz leben und in Zelten schlafen. Außerdem gibt es mittlerweile um die 2.000 Verletzte.

Wie hat das alles eigentlich begonnen?
Grundsätzlich stört uns die anhaltende Korruption und extreme Armut, in die viele Familien gezwungen werden, schon lange. Wir Ukrainer haben gehofft, dass mit einem EU-Beitritt die Politik dazu gezwungen würde, gegen diese Probleme vorzugehen. Doch dann hat Janukowitsch Ende November verkündet, dass wir nicht in die EU eintreten werden, weil wir noch nicht dazu bereit sind. Er hat sich geweigert, einen Grund dafür anzugeben. In diesem Moment haben die ersten friedlichen Proteste am Maidan-Platz begonnen. Am 26. November hat Janukowitsch Spezialeinheiten zum Platz geschickt, die alle, die in dieser Nacht auf dem Maidan waren, festgenommen haben. Das hat dazu geführt, dass noch mehr Ukrainer dorthin sind, um zu protestieren. Vor zwei Wochen haben die Spezialeinheiten dann begonnen zu schießen und zu morden. Das Parlament hat immer absurdere Gesetze erlassen. Als die Rebellen begannen, als Schutz Helme zu tragen, wurde das per Gesetz vom Parlament verboten. Als die Rebellen begannen Masken gegen Gasattacken zu tragen, wurde das ebenfalls gesetzlich verboten. Doch je mehr die Regierung die Rebellen bekämpft hat, desto mehr Leute sind es geworden.

Der Osten der Ukraine wird ja eher als prorussisch beschrieben und hat Janukowitsch länger unterstützt. Es stehen also nicht alle Ukrainer hinter dieser Revolution?
Ja, das ist wahr. Man muss aber auch fragen, warum der Osten eher für Janukowitsch ist. Zum einen besitzt Janukowitsch im Osten viele Minen und Bergwerke, wo sehr viele Leute arbeiten. Er lockt sie mit sicheren Arbeitsplätzen. Und dann gibt es noch die Pseudo-Befürworter. Wir wissen mittlerweile, dass Janukowitsch Leute dafür bezahlt hat, am Maidan-Platz gegen die Rebellen und für Janukowitsch zu demonstrieren. Oft waren das sogar Kinder, denen 20 Euro in die Hand gedrückt wurden. Dementsprechend konnten sie auch nicht erkären, warum sie für Janukowitsch waren. Jetzt, nachdem er zurückgetreten ist und aus der Ukraine fliehen wollte, sieht man die wahre Unterstützung. Er wurde in der eigentlich regierungsfreundlichen Stadt Donezk im Osten aufgehalten; die dortigen Leute lassen ihn nicht fliehen.

Was passiert jetzt mit Janukowitsch?
Er befindet sich in Donezk mit seinen Autos (Sonntag, Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile kennt man seinen Aufenthaltsort nicht mehr), die vollgestopft sind mit Gemälden und teuren Einrichtungsgegenständen. Die waren schon seit Wochen zur Flucht bereit. Ihm wird jetzt der Prozess gemacht, der hoffentlich fair abläuft. Immerhin ist er für 150 Tote und 2000 Verletzte verantwortlich.

In den Medien wurde bis jetzt immer von 77 Toten gesprochen, warum 150?
Das Regime versucht die wahren Zahlen zu vertuschen, es verschwinden Leichname aus den Totenräumen und es gibt sehr viele Vermisste, die in den Statistiken noch gar nicht aufscheinen.

Sind Sie mit der jetzigen Situation zufrieden: Janukowitsch zurückgetreten, Timoschenko freigelassen, vorgezogene Neuwahlen am 25. Mai?
Am Tag nach dem Rücktritt (Samstag, A.d.R.) kann man noch nichts dazu sagen. Jetzt muss erst einmal aufgeklärt werden, was in den letzten Monaten passiert ist. Dann können wir weiterschauen.

Was halten Sie von Vitali Klitschko?
Ich finde es gut, wenn Leute versuchen zu verhandeln und mit der Gegenpartei zu sprechen; er hat das getan. Er ist intelligent, sorgt sich ums Volk und war von Anfang an auf dem Platz. Dasselbe gilt für Arseni Jazenjuk, er hat bis jetzt immer die Wahrheit gesagt. Auch Timoschenko finde ich gut, auch wenn viele sie umstritten sehen. Ich könnte gerade nicht entscheiden, wen ich wählen würde. Alle wollen gegen Korruption vorgehen, dem Volk Gutes tun. Es stellt sich nur die Frage, ob sie das können.

Wenn Sie den Ukrainern am Maidan-Platz etwas sagen könnten – was wäre das?
Ich bin so stolz Ukrainerin zu sein wie noch nie, und das ist der Verdienst dieser Rebellen. Ich habe nicht geglaubt, dass das Volk nach der Orangen Revolution vor zehn Jahren wieder aufsteht und sich gegen Korruption wehrt. Aber es gab wieder eine, und diese hier war noch viel stärker. Ich trauere um all die Toten, sie sind Helden und für uns gestorben.

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