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Valentina Gianera
Veröffentlicht
am 30.09.2022
Leben

Vögel im Untergrund

Veröffentlicht
am 30.09.2022
„Aus Sicherheitsgründen mussten einige Namen der mitwirkenden Schauspieler:innen geändert werden“, schreiben die Vereinigten Bühnen Bozen über ihr neues Stück. BARFUSS hat sich angesehen, was dahintersteckt.
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HQ-underground-birds©Luca-Guadagnini-_Y0A4724.jpg

Zu den Proben dieses außergewöhnlichen VBB-Stücks geht es nach unten, in den untersten Teil des Stadttheaters Bozen. Aber das passt zum Titel dieser Produktion: „Underground Birds“. Hier – ich fühle mich, als sei ich irgendwo ganz tief unter der Erde – blicken mir jäh die Augen von fünf afghanischen Frauen aus der Theaterdämmerung entgegen: Per Video werden ihre Gesichter auf die Leinwand projiziert. Sie sind die „Underground Birds“, die Vögel im Untergrund, allesamt Frauen, Hazara und Schauspielerinnen des afghanischen Simorgh Theaters in Herat. Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan sind sie gezwungen, im Untergrund abzutauchen: „In der Diskriminierungspyramide der Taliban sind sie in der untersten Kategorie”, erklärt der Regisseur des Stücks Robert Schuster. Seit Monaten versucht er sie zusammen mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten aus der Gefahrenzone herauszuholen. Nur eine von ihnen hat es inzwischen nach Deutschland geschafft. Die anderen können Europa aus ihren jeweiligen Verstecken nur mit digitalen Kommunikationsmitteln erreichen.

„Wenn man Vögel unter die Erde macht, dann sind sie tot”, sagt Robert Schuster. „Und wenn sie nicht tot sind und wie diese Frauen die Kraft haben, im Untergrund ihre Flügel zu schwingen, dann kommt der Boden ins Wanken.” So kommt der Boden auch für den Protagonisten des Stücks, das am 1. Oktober Premiere feiert, ins Wanken: Ausgehend von London im Jahr 1517 macht sich der Protagonist Rover auf eine Reise bis ins Herat der Gegenwart. Am Beginn des Stücks will Rover das Haus der flämischen Gastarbeiten in Brand stecken – just am Evil-May-Day 1517, dem Tag, an dem sich Arbeiter in London gewaltsam gegen die zugezogenen Gastarbeiter wehrten. Aber er wendet sich, ermutigt vom Schutzvogel Simorgh, von der Gewalt ab und macht sich auf eine Reise durch Zeit und Raum. Dort treten die fünf Afghaninnen per Video mit ihm in Kontakt und krempeln seine Weltanschauungen und Sehnsüchte nochmals um.

Die unterschiedlichen kulturellen Kontexte, denen der Protagonist auf seiner Reise begegnet, werden dabei durch die Schauspielerinnen und Schauspieler sowie die sprachliche Variation auf der Bühne unterstrichen. Das ist das Spannende dieser länder- und kulturübergreifende Stückentwicklung: Die Co-Produktion der KULA Compagnie, dem Hålogaland Teater Tromsø und dem Simorgh Theater Herat bringt Künstlerinnen und Künstler aus Norwegen, Frankreich, Israel, Italien und Afghanistan auf, vor und hinter die Bühne, die an einem gemeinsamen Schaffensprozess arbeiten.

Ein Großteil der Stückentwicklung fand dabei über WhatsApp statt: „Ich habe hunderte Meter an WhatsApp-Nachrichten mit den afghanischen Frauen auf meinem Handy”, so der Regisseur. „Auf diese Weise haben wir versucht, Ereignisse zu identifizieren, die für sie wichtig sind. Aber faktisch habe ich die Frauen noch nie gesehen.” So entsteht ein Gewirr aus Szenen, die geschichtliche Meilensteine aus Ost und West gleichermaßen festhalten und sich einmal schwer, einmal leicht um den narrativen Strang ranken. Auch eine Beach-Party fehlt dabei nicht – gefordert wurde sie von der Tochter eines Zusehers, die das Stück kritisch von Außen betrachtet und es nicht schafft, eine emotionale Beziehung zur Situation der afghanischen Frauen aufzubauen: „Why don’t you do a scene on the beach without all these conflicts which we can’t fully appreciate anyway? Let’s do a scene on the beach!”, fordert sie die Schauspielerinnen und Schauspieler auf, die ihren Anweisungen prompt folgen.

So schwirrt das Stück auf einer Vielzahl von Ebenen zwischen Außen- und Innenperspektive, zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Vergangenheit und Zukunft, Ost und West. Das Streben des Protagonisten nach seinem Sehnsuchtsort bleibt dabei zentral: Warum sich auf eine Reise zu einem Sehnsuchtsort, zu einer U-topie (nach Thomas Morus: keinem Ort) begeben? Worauf ist die eigene Hoffnung gerichtet?

„Wir setzen uns im Stück damit auseinander, dass die multikulturelle Utopie, die vor 30 Jahren vielleicht noch ein Ideal darstellte, heute vielleicht gar nicht mehr existiert. Auf etwas zu hoffen scheint beinahe absurd. Und trotzdem tun wir es in unserem Handeln”, so Robert Schuster. Dabei schwingt sowohl im Stück als auch in den Aussagen des Regisseurs seine ganz eigene Art zu hoffen mit: zu wissen, dass er global gesehen rein gar nichts zum Besseren verändern kann, es aber trotzdem zu versuchen. So schafft das Theater einen “umzäunten Raum der menschlichen Tat. Ein Bewusstsein dafür, dass wir nicht ganz global denken können. Aber wir können Schutzräume für Menschen schaffen, in denen wir miteinander handeln und die verschiedenen Sprachen und Kulturen gemeinsam aushalten”, zitiert Robert Schuster Hannah Arendt.

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