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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 22.05.2018
LebenLebensmittelexperte Luca D’Ambrosio im Interview

Sein täglich Brot

Veröffentlicht
am 22.05.2018
Verdorbene Lebensmittel fordern in Europa jährlich etwa 5000 Tote, kulinarische Skandale sorgen für Schlagzeilen. Aber wie gefährlich ist unser Essen wirklich?
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Wenn Todesfälle aufgrund verdorbener Nahrung bekannt werden, ist der Medienrummel in Europa meist groß. Wer erinnert sich nicht an den Gurken-Skandal 2011, als der Darmkeim Ehec 53 Menschen das Leben kostete? Luca D’Ambrosio aber meint: „Lebensmittel waren noch nie so kontrolliert und sicher wie heute“. Bereits sein halbes Leben hat der Experte in verschiedensten Südtiroler Labors verbracht und kontrolliert dort Tag für Tag Nahrungsmittelproben. Heute sitzt er im Labor für Lebensmittelanalysen im zweiten Stock der Amba-Alagi-Straße fünf, zwischen einem Stapel dicker Ordner und der Privatsammlung seiner skurrilsten Fälle.

Herr D’Ambrosio, wie gefährlich ist unser Essen heutzutage tatsächlich?
Wenn man bedenkt, dass Südtiroler Labors in den 60er-Jahren in manchen Produktkategorien zwanzig Prozent der Proben beanstandet haben, ist das Essen heutzutage sicher. Es sind nämlich nur noch drei Prozent, die heute beanstandet werden. Und davon sind die Hälfte Etikettierungsfehler. Wir riskieren also nicht unser Leben, wenn wir etwas essen.

Luca D’Ambrosio

War das früher der Fall?
Das Archiv unseres Labors existiert seit 1930. Früher waren es nur eine Handvoll Parameter, die man bestimmen konnte, heute sind es tausende. Die gefährlichen Substanzen, wie Schimmelgifte, kannte man früher gar nicht und konnte sie dadurch auch nicht bestimmen. Die Lebenserwartung ist enorm gestiegen, unter anderem, weil sich die Lebensmittelsicherheit stark verbessert hat und auch weil in jedem Haushalt ein Kühlschrank steht.

Haben wir deshalb bereits vergessen, dass in Lebensmitteln auch Gefahren lauern können?
Ich behaupte, dass bei den Verbrauchern grundsätzliche Kenntnisse in Bezug auf die Lebensmittelhygiene verloren gegangen sind. Wir entfernen uns immer mehr von der Produktion der Lebensmittel und durchschauen die Prozesse der Herstellung nicht mehr. Trotzdem möchten wir vermehrt zurück zum ursprünglichen Produkt und vergessen dabei, dass bestimmte Prozesse in der modernen Lebensmittelproduktion zu unserer Sicherheit erfunden wurden.

So zum Beispiel das Pasteurisieren von Milch.
Genau. Noch vor 50 Jahren sind viele Kinder an Durchfallerkrankungen gestorben, die auf leicht verdorbene Milch zurückzuführen waren. Auch heutzutage sterben noch Menschen an Rohmilchkonsum. Milch ist ein sehr empfindliches Nahrungsmittel, das wir heute wie ein herkömmliches Getränk in unseren Kühlschrank stellen. Weil sie Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate und Vitamine enthält und einen neutralen pH-Wert hat, ist sie der ideale Nährboden für fast alle pathogenen Keime. So ideal, dass man den Milch-Agar sogar als Nährboden im Mikrobiologielabor verwendet. Das sollte uns zu denken geben. Milch kommt aus dem Stall, wo die Kuh im Mist steht. Sobald sie aus dem Euter fließt, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Und den kann man auch verlieren.

„In Italien sterben zwischen zehn und zwanzig Personen jährlich durch hausgemachte Konserven.”

Ist Milch also das gefährlichste Lebensmittel in unseren Haushalten?
Das ist bestimmt zu scharf formuliert. Aber die Verbraucher haben heute den gesunden Respekt vor der Milch und generell vor der Natur verloren. Zu den gefährlichsten Giften überhaupt gehören vollkommen natürliche Substanzen. Viele Gifte können wir Menschen synthetisieren, aber manche seltenen, natürlichen Gifte sind bedeutend wirksamer als die Gifte, die der Mensch herstellen kann.

Könnten Sie ein Beispiel nennen?
In Italien sterben zwischen zehn und zwanzig Personen jährlich durch hausgemachte Konserven. Eine Gefahrenquelle dabei ist das Bakterium Clostridium botolinum. Es kommt hauptsächlich im Erdreich vor und kann in Lebensmitteln ein Toxin bilden, das zu den stärksten Giften weltweit gehört. Man stirbt durch Lähmungen des Herzmuskels oder der Atemmuskulatur, und das relativ schnell. Weil die Symptome anfangs einer Grippe ähneln, erkennt man die durch das Bakterium ausgelösten Symptome jedoch meistens erst zu spät. Um zu wachsen braucht Clostridium botolinum eine Umgebung ohne Sauerstoff und ohne Säure. Tomatenkonserven, Marmeladen, Wein oder Apfelsaft sind somit ungefährlich. In Öl konserviertes Gemüse ist hingegen der perfekte Nährboden für das Bakterium. Deshalb sollte man es, ganz nach Art traditioneller Rezepte, auch in Essig blanchieren und dann erst in Öl einlegen.

Ist Säure also die beste Lösung, um Lebensmittel sicher zu machen?
Nein. Im Allgemeinen kann man sagen, dass man Bakterien und Viren am besten durch Erhitzen tötet. Einfrieren verzögert lediglich ihr Wachstum. Die meisten Parasiten wiederum sterben auch schon durch das Einfrieren ab. Manche Menschen glauben auch, dass Marinieren hilft, um Lebensmittel sicher zu machen. Auch das ist ein Irrtum. Parasiten in rohem Fleisch oder Fisch überleben dabei länger als man denkt. So zum Beispiel der Fadenwurm Anisakis, der den Menschen als Wirt nutzt.

„Eier vertragen Temperaturschwankungen nicht, deshalb sollten sie erst zuhause im Kühlschrank landen und dann auch dort bleiben. Verstauen sollte man sie aber nicht im dafür vorgesehenen Fach in der Kühlschranktür.”

Also ist der Verzehr von medium gebratenem Fleisch immer gefährlich?
Im Prinzip ja. Es gibt allerdings Fleischsorten, die sehr gut kontrolliert werden. Dazu gehört zum Beispiel Schweinefleisch. Dort ist auch die Kontamination mit Parasiten eher unwahrscheinlich, weil sie in Ställen leben und kontrolliertes Futter bekommen. Bei einem wilden Tier sieht das ganz anders aus. Wildschweinfleisch kann zum Beispiel auch radioaktive Isotope enthalten. Weil Wild vielfach importiert wird, muss man dann eben den Kontrollorganen anderer Länder vertrauen.

Wie kann man sich hingegen vor Salmonellen schützen? Diese sind ja nach wie vor mikrobiologischer Beanstandungsgrund Nummer eins im Lebensmittelbereich.
Da sie meist auf Eiern vorkommen, sollte man Produkte aus frischen Eiern generell so schnell wie möglich verspeisen. Eier vertragen Temperaturschwankungen nicht, deshalb sollten sie erst zuhause im Kühlschrank landen und dann auch dort bleiben. Verstauen sollte man sie aber nicht im dafür vorgesehenen Fach in der Kühlschranktür. Jede Erschütterung kann in der Eierschale kleine Risse verursachen, durch die die Salmonellen ins Innere des Eis eindringen können. Unmittelbar vor dem Aufschlagen sollte man die Eier außerdem waschen. Besonders wichtig ist auch eine gute Personal- und Küchenhygiene, um sogenannte Kreuzkontaminationen zu vermeiden: Hände, Messer, Oberflächen, die in Kontakt mit rohen Lebensmitteln waren, sollten vor dem Kontakt mit gekochten Lebensmitteln gut gereinigt werden.

In der EU gibt es auch private Kontrollstellen. Können diese durch ihre private Finanzierung nicht beeinflusst werden?
Eigentlich nicht. Diese Kontrollstellen müssen nämlich auch bei den jeweiligen Ministerien registriert sein und werden von diesen regelmäßig kontrolliert. Es kam schon vor, dass eine Kontrollstelle, die den Kriterien nicht entsprach, geschlossen wurde.

Sie arbeiten seit 15 Jahren in diesem Labor. Was war denn das Verrückteste, dem Sie auf die Spur gekommen sind?
Das war sicherlich die Fälschung von Lebensmitteln mit modifizierten Arzneimitteln. Verschiedene Nahrungsergänzungsmittel wurden dabei mit Arzneimitteln versetzt, obwohl das absolut verboten ist. Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass man einem scheinbar zu 100% natürlichen Nahrungsergänzungsmittel auf Basis von getrockneten Früchten und Nüssen, krebserregende Abführmittel und einen Appetitblocker hinzugefügt hat, um einen Gewichtsverlust zu erzielen. Dadurch wurde der Stoffwechsel der Menschen auf Zellebene verändert, was bis zum Hungertod führen kann, obwohl man sich normal ernährt. Hinter solchen Fälschungen stehen international tätige, kriminelle Organisationen. Diese lassen ihr Produkt zum Beispiel in Asien produzieren und bringen es über bestimmte EU-Länder zu uns, um es zu verkaufen.

„So viel wir auch kontrollieren, als Teil der Natur lebt man immer mit einem gewissen Restrisiko.”

Haben Sie abschließend noch ein paar Tipps, wie man den Umgang mit Lebensmitteln zuhause sicherer machen kann?
Obwohl es jedes Kind weiß, waschen sich viele Menschen nach dem Toilettenbesuch und vor der Verarbeitung oder dem Verzehr von Lebensmitteln immer noch nicht die Hände. Auch Obst und Gemüse sollte man unter starkem Rubbeln mit Wasser waschen, bevor man es konsumiert. Die Waschlappen in der Küche sollte man ab und an in der Sonne trocknen lassen, ansonsten sind diese ein Paradies für Keime. Das ist meistens die größte Kontaminationsquelle im Haushalt. Was die Teller betrifft, ist das mechanische Bearbeiten, also das Reiben beim Abspülen, am wichtigsten: Mit dem Spülmittel viel Schaum zu produzieren ist vergleichsweise wirkungslos. Auch kommt es nicht auf die Menge des Spülmittels an, sondern auf seine Konzentration: Es ist deshalb besser, das Spülmittel in wenig Wasser aufzulösen, statt das ganze Waschbecken zu füllen. Nach dem Kauf von leicht verderblichen Lebensmitteln sollte man so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren, um die Kühlkette nicht zu durchbrechen – und frischen Fisch natürlich gleich zubereiten.

Dann kann uns jetzt ja praktisch nichts mehr passieren.
Naja, Salmonellen, Mykotoxine (Schimmelpilzgifte, Anm. d. Red.), Schwermetalle, Bakterien und Viren wird es in tausend Jahren auch noch geben, so wie es sie auch vor uns gegeben hat. Und wenn sich Menschen, die mit Lebensmitteln hantieren, in einer Million Jahren noch nicht die Hände waschen, werden sie die Lebensmittel eben kontaminieren, so wie sie das auch jetzt tun. Auch wenn wir dann vielleicht die modernsten Technologien haben werden, passieren wird immer etwas. So viel wir auch kontrollieren, als Teil der Natur lebt man immer mit einem gewissen Restrisiko.

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