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Eva Schwienbacher
Veröffentlicht
am 19.12.2013
Leben

Süßer die Scherben nie klingen

Veröffentlicht
am 19.12.2013
Es ist Halbzeit auf dem Meraner Weihnachtsmarkt. Eine Verkäuferin blickt für BARFUSS auf den Ansturm.
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Maria kippt auf die Seite, dreht sich um ihre Schulter, steuert auf Joseph zu und droht ihn samt Schäfer mit Schäfchen, Kaspar, Melchior und Baltasar umzuwerfen. Im letzten Moment packe ich sie am Kopf und verhindere so ein Chaos in der Krippenabteilung im Häuschen vor dem Meraner Kurhaus. Bereits das vierte Jahr arbeite ich in diesem Stand am Christkindlmarkt und verkaufe glitzrigen Tand aus Menschenhand.

Landsleute aus dem Süden rufen „Wow, che meraviglia!“, wenn sie das Häuschen mit den zwei menschengroßen Nussknackern am Eingang betreten. Die Einheimischen: „Na, do drinn kreag i Plotzongst“, wenn sie an Wochenenden kopfschüttelnd an der Schlange davor vorbeigehen. Der Stand mit den drei roten Satteldächern steht seit neun Jahren auf der Passerpromenade auf Höhe des Thermenhotels. Es zählt zu den zwölf „Ausländern“ unter den 73 Ständen und zu den wenigen, die man betreten kann.

Im Inneren herrscht Einbahnverkehr: Wer wieder raus will, muss vorbei an Nussknacker, Holzpyramiden, Teddybären, bunt bemalten Glaskugeln, einem sich drehenden Christbaum und an der Krippenabteilung. Für die italienischen Gäste gehört ein Besuch darin dazu wie die crauti zum Würstel. Viele Südtiroler hingegen kennen den Stand nur von außen. Die Italiener machen 85 Prozent der Meraner Weihnachtsmarktbesucher aus. Der Rest sind Deutsche, Schweizer, ein paar Engländer und Russen. Am dritten Dezemberwochenende waren der Meraner Campingplatz sowie alle Parkplätze voll, was für viele Camper Grund war in die Handwerkerzone auszuweichen.

Der Gang durch die mit traditionell deutschem Weihnachtsschmuck und aus Fernost beladenen Regale ist eng. Mit der Dicke der Mäntel und Taschen der Besucher schwindet der letzte Zentimeter freien Platzes. Die hauchdünnen Christbaumkugeln werden ihnen regelmäßig zum Verhängnis. So schmal und klein wie möglich, sind wir Verkäuferinnen den Kunden zur Stelle, wenn sie ein preiswertes Geschenk für den zio , die maestra oder die dottoressa suchen.

„Senta, signorina, vorrei il puntale del vostro albero“, sagt eine Mailänder Dame flehend und schaut sehnsüchtig hoch zur glitzernden Christbaumspitze unseres Weihnachtsbaumes. Er ist der letzte dieser Serie. Ob es nicht möglich sei das Ding von dort runter zu holen. Sie verschiebe auch ihre Abreise und komme am darauffolgenden Tag wieder.

Erst einmal tief durchatmen und lächeln. Genauso machen wir es, wenn Kunden mit ihren Fingernägeln an den Christbaumkugeln ticken, um zu testen, ob sie auch wirklich aus Glas sind oder sie Würstchen essend den Stand betreten und uns dann das leere Papptellerchen in die Hände drücken.

Trotz des Casinos an den Wochenenden aber, arbeiten die meisten von uns schon seit mehreren Jahren in diesem Stand und freuen sich bereits im August auf die Weihnachtsmarktzeit. Was das Besondere dieser Arbeit ausmache? Gewiss nicht das Geld, meint meine Chefin, die das Häuschen mit so viel Liebe einrichtet, als wäre es ihr eigenes Zuhause, sondern strahlende und faszinierte Kunden und, „natürlich das Team“. Dieses besteht aus einem Lagerhalter, einem Portier und elf Frauen, die sich um alles andere kümmern. Wir machen uns den Stand vom 28. November bis zum 6. Jänner zur zweiten Heimat und die Kollegen zur Familie. Das restliche Jahr sind wir Studierende, Lehrerinnen, Kosmetikerinnen, Pensionistinnen, Bürogehilfen und Angestellte aus dem Gastgewerbe.

„Senta signora, me lo impacchetti bene che devo viaggiare“, ist wohl der meist ausgesprochene Satz in unserem Stand, wenn Kunden sich beim Bezahlen an meine Kollegin wenden, die alles in sacchettini und scatoline einpackt. Anders sieht es da beim Nachbarn direkt nebenan aus: Hungrige Mercatini-Besucher könn en ihr vor fett triefendes Dinnede nicht schnell genug haben. Genauso eilig habe ich es in meiner hal bstündigen Mittagspause. Der Teig für die schwäbische Spezialität wird direkt am Stand gerührt und das mit Schmand, Zwiebeln, Kartoffeln, Käse oder Speck belegte Brötchen vor Ort in den Ofen geschoben. Elf Leute arbeiten dort. Die meisten Bäcker sind aus Polen. Zwei Südtiroler und zwei Deutsche kümmern sich um den Verkauf. Das deftige, aber leckere Gericht ist teils Schuld für oft übelste Gerüche in unserem Stand. Dennoch sind die Schwaben unsere Retter, wenn sie nach einem zwölfstündigen Arbeitstag ihre letzten Brötchen verschenken.

Auf Nachbarbesuch in der Mittagspause

Ruhiger geht es bei einer Nachbarin ein paar Häuschen weiter zu. Sie arbeitet an einem Bozner Stand und verkauft Holz- und Keramikprodukte. Verkaufsrenner sei eine Minikrippe um einen Euro. Als eine Bettlerin vorbeikommt, sagt die Pensionistin: „Die hat am Abend wohl mehr Geld als wir beide zusammen.“ Besonders glücklich wirkt die Alleinangestellte, die den ganzen Tag über nie zur Pause abgelöst wird, an ihrem Stand nicht. Sie ärgere sich vor allem, wenn Besucher Sachen umschmeißen ohne sich zu entschuldigen. In solchen Momenten bewährt sich wahrscheinlich ihr Humor: „Zum Pinkeln müsste ich mir ein Töpfchen aufstellen“, schmunzelt sie. Seit seiner Gründung vor 21 Jahren arbeitet sie am Weihnachtsmarkt. Sie sei gern unter Leuten und meint damit vor allem die anderen Marktarbeiter. Zur Marktzeit kehrt sie eigens von ihrer Wahlheimat Kreuzlingen am Bodensee nach Meran zurück. Sie habe sich sehr über die Unterhaltung gefreut, meint sie, als ich sie gegen Ende meiner Mittagspause wieder allein am Stand zurücklasse.

Kaum zu Wort komme ich hingegen im Gespräch mit einer Frau, die Socken aus Alpaka-, Schaf- und Angorawolle verkauft. Zwischen zwei riesen Wollschafen als Dekoration, lugt sie hinter dem Sockenberg hervor. Schwungvoll streckt sie ihr Bein in die Luft, um den Besuchern zu zeigen, wie sehr sie von ihrem Produkt überzeugt ist. Selbst zum Berggehen ziehe sie die Alpakasocken an. Um zu wissen, wo sie hergestellt werden, greift sie zum Handy. „Chef, die Socken werden wohl in Südtirol hergestellt, oder?“ Oberitalien, heißt es dann nach ein paar Sekunden. „Immerhin nicht in China“, lächelt sie. Die Hausfrau Mitte vierzig liebt das Marktleben: Bis am Donnerstag arbeitet sie in Meran und am Wochenende verkauft sie Südtiroler Spezialitäten am Weihnachtsmarkt in Konstanz. Nur das öffentliche Klo in Meran finde sie fürchterlich: „Dafür bräuchte ich extra Gummistiefel.“ Dieses meiden auch wir Frauen an unserem Stand.

Dorthin zurück geht es am Ende der Mittagspause. Der Portier lässt mich durch den Ausgang in das Häuschen rein. „Permesso, permesso“, winde ich mich durch die Besuchermenge. Maria steht immer noch an ihrem Platz neben dem Wiegelein. Hoffentlich nicht mehr lange, denke ich.
Nach Feierabend holt unsere Chefin die Leiter aus dem Schrank, stoppt den Motor, der den Christbaum in Bewegung setzt und lässt die größte Kollegin hochklettern zur letzten weißgoldenen Christbaumspitze. „Fast jeder Wunsch wird hier erfüllt“, lautet ihr Motto, das mir das Gefühl gibt, irgendwie Teil dieses Großereignisses Weihnachten zu sein.

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