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Vera Mair am Tinkhof
Veröffentlicht
am 01.08.2014
LebenDas Land und die Liebe

Love Me Tinder

Veröffentlicht
am 01.08.2014
Tinder ist Flirten per App. BARFUSS hat den Selbstversuch gewagt, um herauszufinden, welche Personen und Absichten dahinter stecken.
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Tinder verspricht Abenteuer. Die neuen Gesichter auf dem Bildschirm, ein kurzer Herzsprung bei einem Match, vielleicht eine Nachricht. Und dann wer weiß was, zumindest bekommt man es so erzählt. Alles kann, nichts muss, der alte Swinger-Club-Spruch – Mantra für mobiles Dating.
Es gibt auf jeden Fall langweiligere Wege, sich einen Aufenthalt in einer Stadt zu vertreiben, in der man keinen Mensch kennt und doch einen halben Tag lang ausharren muss.

Außerdem ist die Entfernung von zu Hause auch vom strategischen Gesichtspunkt sehr klug. Wir haben das mal in Innsbruck ausprobiert, als wir zum ersten Mal von Tinder gehört hatten. Eine Freundin lud die App herunter, loggte sich mit ihrem Facebook-Account ein, und unter den ersten zehn Leuten im Umkreis waren ungefähr zwölf, die sie nicht nur vom Sehen kannte. So wie kaum jemand zugibt, Partnerbörsenkunde zu sein, will man nicht ertappt werden, wie man sich online auf den Markt wirft – wegen akutem Anschein, als ginge analog was schief. Das mag ein Grund sein, warum die App in der ländlichen Gegend weniger verbreitet ist. Die große Überraschung verbirgt sich hier im Umkreis von zehn Kilometern ja auch selten.

Rechtswischen, Linkswischen, Linkswischen, Rechtswischen

In einer Stadt mit Unmengen von Leuten gestaltet sich die Sachlage anders. Dort steckt hinter jeder Ecke Potential. Und weil man in der Fremde ja frei ist, geht es ohne Hemmungen los: Rechtswischen, Linkswischen, Linkswischen, Rechtswischen. Alles nötige sofort vor Augen: Foto, Alter, gemeinsame Freunde. Der Traum für pragmatische Socializer.

Es geht also los. Ich wische und wische und wische. Ich laufe fast gegen Straßenlaternen, weil ich nur auf den Bildschirm gucke, und die Stadt könnte aus dreiarmigen Affen bestehen, ich hätte davon nichts mitbekommen. Manchmal blicke ich doch hoch, Aha, so sieht das also aus, aber für Sightseeing bleibt keine Zeit, und vor meinem Auge geht die Parade weiter, fliegen wieder Bilder nach links und nach rechts, und irgendwann habe ich mich fast verlaufen. Alle Männer an ihren Smartphones werden verdächtigt, gerade dasselbe zu tun. Sieht der an der Haltestelle nicht aus wie der Vorschlag eben? Steht ein Match vielleicht gerade neben mir? Ich werde kurz paranoid. Ich checke meine Nachrichten, Aha, eine Reihe von simplen Hey und His und Ciaos, auf die geantwortet ja auch noch werden muss, und bevor ich mir überlegen kann, was man da großartig darauf antworten soll, ist der Akku auch schon leer. Ich bin fast erleichtert. Ich sehe die Häuserfassade gegenüber und die Läden und die Menschen, und fühle mich nicht mehr wie mein eigener Avatar. Ich habe mir mal vorgenommen, nicht zu schimpfen auf Social Media, weil man nicht alles erstmal scheiße finden muss, und früher doch nicht immer alles besser war. Trotzdem kann ich nichts dagegen tun, dass ich den Tag nun besser finde. Es ist warm, die Sonne scheint auf meine Schultern, an Marktstände unter den Arkaden werden Schmuck und Antiquitäten und 60s-Sonnenbrillen verkauft. Old-school deluxe – da bin ich nun gelandet ohne meine Dating-App.

Allerdings gibt es ja noch Ladegeräte, Gott sei Dank. In einer Bar wird das Smartphone wieder zum Leben erweckt, die Dating-Pause ist bald vorbei. Drei Matchs finde ich gut, auf deren Nachricht wird geantwortet. Einer von ihnen heißt Kyle. Kyle studiert in Frankreich, seine Eltern sind auf Urlaub, zusammen gibt es nun zu Beginn der Semesterferien großes Sightseeing durch Italien. Ich weiß das, weil wir uns getroffen haben. Nach den ersten zögerlichem Tinder-Smalltalk war mir klar, dass da niemand böse Absichten hegt, sondern bloß ein wenig Ablenkung von den Erziehungsberechtigten braucht, die ihm sicher bei jedem Schritt sagen, dass er auf die Wertsachen Acht geben soll. So verabredeten wir uns bei einem Platz, der für beide in der Nähe lag. „Next to the statue“ schreibt er mir, und da steht auch schon jemand und hämmert in sein Smartphone. Wir begrüßen uns, es ist wirklich halb so schlimm. Wir holen uns ein Eis. Kyle erzählt, dass es auf Dauer mit den Eltern langweilig wird, deshalb tindert er sich gern durch die Gegend. Ohne Hintergedanken, sagt er, und grinst so, dass man es nicht ganz glauben will. In Paris habe er mit der App richtig gute Bekanntschaften gemacht, sagt er. Gute Gespräche waren dabei, manchmal auch mehr. Dass man sich aber eiskalt nur für Sex verabredet, sei ihm noch nicht passiert. „Es hängt auch davon ab, was du willst.“ Finden täte man alles. Es gibt gewisse Profilbilder, die mehr an Bereitschaft signalisieren, danach könnte man gezielt Ausschau halten, wenn man nur das Eine will.

Ein wenig oberflächlich sein

Den Nutzern der Dating-App Tinder eilt ja der Ruf der Oberflächlichkeit voraus. Da wird aufgrund von einem Profilbild gewertet und geurteilt und weggewischt, um die inneren Werte kümmert sich mal wieder niemand. Das ist natürlich eine Sauerei, aber als Unterstellung auch nicht ganz richtig. „Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach Äußerlichkeiten“, sagte Oscar Wilde mal vor langer Zeit, und weil der Mann sehr klug war, wollen wir das mal glauben. Das Äußere kann durchaus viel verraten. Schon die Wahl des Profilbilds lässt erkennen, was denn der Mensch so mag im Leben. Es sind ja keine reinen Passfotos. Foto im Club, auf der Bühne? Mit Sonnenbrille und Cote d’Azur-Flair? Ein Lachen? Vor einem fetten Wagen? Mit Hund? Mit einem dicken Grinsen, das man nicht sympathisch finden muss? Beim Durchsehen der Vorschläge beginne ich zu glauben, bei jedem Bild schon etwas mehr zu sehen als das, was es eigentlich zu sehen gibt. Zweimal wische ich rechts, obwohl der Mensch kaum zu erkennen, aber die Umgebung stimmig ist und einen glauben lässt, der Typ dahinter könnte ganz in Ordnung sein. Ich bilde mir ein, nur ein wenig oberflächlich zu sein.

Aber ich bin ja gar nicht nur zum Daten hier. Ich will euch ja was über Tinder erzählen, und da reicht es wohl nicht, mit einer netten Bekanntschaft ein Eis gegessen zu haben. Also like ich Bilder von Männern, die mir scheinen, als könnten sie mit Katie Price was anfangen. Ich habe die romantische Vorstellung, dass diese schneller zur Sache kommen wollen als Fans subtiler Sexiness, Tilda Swinton-Verehrer oder dergleichen. Aber das ist nur meine Meinung.
Die Strategie zeigt Wirkung. Einige Nachrichten, die nach einem Match nun eintrudeln, sind schon direkter. Sie enthalten auch mehr ganz verruchte Emoticons. Was ich denn so mache, wird gefragt. Ob ich Lust habe, fragt einer, und so hat er es natürlich nicht ausgedrückt. Der Orginal-Wortlaut sei euch hier mal vorenthalten. Am besten ist der, der nach einer Minute harmlosen Geplänkels ein Nacktfoto von sich schickt. Ich hatte beim harmlosen Smalltalk gefragt, welche Dinge ich mir in der Stadt noch ansehen sollte. Darauf kam ein Foto von seinem Penis. Das hätte ich kommen sehen sollen.

Fazit des Selbstversuchs: Tinder ist das, was es für einen sein soll. Weil man dort vermutlich alles findet, geht es bloß darum, nach was man Ausschau hält. Außerdem ist die App wirklich praktisch und pragmatisch – wer gefällt, der findet sich. Ein simpler digitaler Anfang. Vermutlich nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Sollte es unter den Lesern ein Pärchen geben, das sich durch Tinder oder ähnliche Apps gefunden hat, würden wir gern von euch hören – für Infos: redaktion@barfuss.it)

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