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Verena Walther
Veröffentlicht
am 09.04.2019
LebenFilm Festival Bozen

Flucht aus der Zuflucht

Veröffentlicht
am 09.04.2019
Extreme schweißen zusammen. Der Film „Exit“ zeigt, wie Menschen in Extremismen eine Heimat finden – und ihren Kampf, diese wieder hinter sich zu lassen.
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Am 10. April zeigt das Film Festival Bozen die Dokumentation Exit – leaving extremism behind (Originaltitel) der norwegischen Regisseurin Karen Winther. Der 2018 entstandene Film porträtiert Menschen, die aus verschiedenen – nicht nur rechten – extremistischen Bewegungen ausgestiegen sind, wie es dazu kam und mit welchen Problemen sie heute zu kämpfen haben. Eine der Besonderheiten dieses Films ist, dass die Regisseurin als „eine von ihnen“ mit ihren Interviewpartner*innen spricht. Auch sie war in ihrer Jugend nämlich zwei Jahre lang Teil der rechtsextremen Szene und man hat das Gefühl, dass der Film eine Art Innenperspektive zu einem sonst so schwer fassbaren Thema bietet. Exit ist ein berührender, sehr klarer Film, der den Menschen im System zu Wort kommen lässt und die ganze Bandbreite an Problematiken rund um Themen wie Radikalismus und Ausstieg anspricht. Ohne zu rechtfertigen, ohne zu verurteilen.

„Alles Dunkle, Gefährliche und Verbotene zog mich an.“

Die Ideologie sei ihr anfangs gar nicht wichtig gewesen, sagt Karen, erst mit der Zeit habe sie angefangen, alles zu glauben, was man ihr erzählte. Es sei ihr vielmehr darum gegangen, irgendwo dazuzugehören. Als Schülerin wurde sie gemobbt, fühlte sich nicht wertgeschätzt und unsichtbar. Im Eingangsmonolog zeichnet sie mit einfachen, ehrlichen Worten den inneren Konflikt nach, der als Teenager zu ihrer Radikalisierung führte. „Alles Dunkle, Gefährliche und Verbotene zog mich an“, sagt sie und unterstreicht damit einen Punkt, der in theoretischen Debatten zu Extremismus oft untergeht: Extreme Bewegungen haben oft Antworten auf übersehene Bedürfnisse von Jugendlichen, stiften Identität und sind nicht zuletzt eine Bühne für individuelle Rebellion. „Glaubst du, dass jede*r Extremist*in werden kann?“, fragt Karen eine ihrer Gesprächspartnerinnen, die im Laufe der Dreharbeiten auch zu einer Freundin geworden ist. „Unter den richtigen Umständen – ja“, antwortet diese. Der Weg dorthin ist jedoch oft ein Pendeln zwischen verschiedenen Extremismen. Auch Karens Entwicklung führte zunächst zur extremen Linken, bevor sie sich den Neonazis anschloss.

„Vielleicht hat mich der militante Extremismus angezogen, weil er am besten zu meinen Gefühlen passte.“ So fasst die Regisseurin ihre Gedanken nach einer der wohl intimsten und aussagekräftigsten Szenen im ganzen Film zusammen. Drei Frauen, alle mit Vergangenheit in der rechtsextremen Szene, teilen im Gespräch ihre Erfahrungen, die traumatischen Ereignisse und die Gedankengänge, die sie sich damals den Neonazis anschließen ließen. Die Erfahrung von Gewalt und die unsagbare Wut über die Machtlosigkeit dieser Gewalt gegenüber ist dabei ein zentrales Motiv. Die extremistischen Bewegungen, die das Leben der Betroffenen im Film so sehr geprägt hatten, haben nämlich eines gemeinsam: Sie konnten die Gefühle junger Menschen auffangen und kanalisieren. Egal, ob Angst, Scham, Hass oder Wut, die Extreme hatte eine Antwort darauf. Exit ist damit auch und vor allem ein Film über Gefühle, unschöne und verdrängte Gefühle, für die in unserer Gesellschaft oft kein Platz ist.

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Fast alle der Interviewten im Film können ein einschneidendes Ereignis nennen, das den Wendepunkt markierte. Eine Begegnung, die sie erschütterte und am eingeschlagenen Weg zweifeln ließ, bis sich alles im Gedanken „Ich will nicht mehr so sein“ konkretisierte. Nach dem Ausstieg kamen oft große Einsamkeit, Identitätskrisen und nicht selten Drohungen und Einschüchterungen vonseiten der ehemaligen Gruppe.

„Nichts ist für einen Menschen schwerer als die Erkenntnis, sich geirrt zu haben.”

„Nichts ist für einen Menschen schwerer als die Erkenntnis, sich geirrt zu haben.“ Der Mann, der diesen Satz sagt, hatte sich einer dschihadistischen Terrorzelle in Frankreich angeschlossen, bevor er im Gefängnis all seine alten Überzeugungen aufzugeben lernen musste. Ihm haben Bücher geholfen, griechische Klassiker. Für Karen war es eine alte Freundin aus der Antifa-Szene, für andere ein Mitinhaftierter im Gefängnis. Ingo Hasselbach, ein ehemaliger Neonazianführer in Deutschland, wurde von einem Reporter, der einen Film über ihn drehte, mit sich selbst konfrontiert. Am Ende seiner Ausstiegsgeschichte ist er Mitbegründer von „Exit Deutschland“, ein Netzwerk das diejenigen unterstützt, die aus rechtsextremen Kreisen ausbrechen wollen. Karen Winthers Film zeigt damit auch die enorme Wichtigkeit von Rehabilitationsprogrammen und Alternativen für die Betroffenen auf und beschreibt, wie Aussteiger auch noch Jahre danach unter ihrer Vergangenheit leiden. Durch eigene Schuldvorwürfe aber auch Vorurteile von anderen.

Exit beschönigt nichts. Die Personen, die im Film zu Wort kommen, erzählen von ihrer Brutalität, ihrer Verblendung und ihren Taten, ohne dass sie in eine verharmlosende Opferrolle rutschen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Thematisierung und Aufarbeitung des Phänomens Extremismus. Der sensible, persönliche Zugang bringt zum Ausdruck, wie sehr Radikalisierung immer mit der individuellen Lebensgeschichte verwoben ist. Das ist ein Aspekt, der in den politischen und wissenschaftlichen Debatten zum Thema oft außen vor bleibt. Neonazismus und andere extremistische Bewegungen werden oft sehr technisch und generalisierend diskutiert. Als wären sie unerfreuliche, zufällige Fehler im System und nicht Produkte des Systems selbst. Oder wie Pankaj Mishra, Autor des Buches „Zeitalter des Zorns” (Age of Anger) sagt: „Man macht es sich viel zu leicht, wenn man sich [den Faschismus] einfach als kollektive Geisteskrankheit erklärt.“

Der Film wird an folgenden Terminen gezeigt:

10.04.19 20:15 Bozen, Capitol 2
12.04.19 13:30 Bozen, Capitol 1

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