„Ich muss Schokolade essen, um meinen Text nicht zu vergessen“, begründet die Slammerin kurz vor ihrem Auftritt die Forderung, das letzte Schoko-Bon essen zu dürfen. Doch eine Mitstreiterin, die ja auch bald auf der Bühne stehen wird, kann das nicht so stehen lassen. „Macht sei mit dir, Schokolade mit mir!“ gibt sie zurück.

Was aus dem Schoko-Bon geworden ist, kann die 23-jährige Lipo-Gründerin Johanna Ortner heute nicht mehr genau sagen, doch aus diesem Battle kurz vor einem Poetry-Slam-Abend im Pippo Stage ist ein Gedicht entstanden, zusammengeschrieben von ihrer Mitgründerin Carla Thuile. Es ist Johannas Lieblingsgedicht, auch wenn es stilistisch gesehen bessere Texte auf ihrem Literaturportal Lipo gibt, wie sie sagt. Denn es ist Erinnerung, es war ein schöner Abend und gemeinsames Reimen. Und das ist der Keim ihres Projektes.

So wie Johanna das „Schoko-Bons-Battle“-Gedicht liebt, lieben auch andere junge Südtiroler ihre Texte, die lange Zeit nur von der besten Freundin oder den Eltern gelesen wurden, ohne echte Leser. Eine Plattform, auf der Poeten ihre Texte einfach und unkompliziert veröffentlichen können, hat es nicht gegeben. Johanna und Carla haben mit Sophie Jochberger und Markus Windegger diese Lücke mit dem Literaturportal Lipo gefüllt. Und darauf haben die Südtiroler bereits gewartet: Seit der Gründung 2011 haben sich rund 200 Autoren registriert und einen Text hochgeladen. „Das hätten wir niemals zu hoffen gewagt – 200 Südtiroler haben ihr Talent sichtbar gemacht. Denn beim Texte-Hochladen ist es ja nicht geblieben“, erzählt Johanna Ortner.

Anfänge

Bald war ihnen klar, dass die Homepage alleine nicht genug sein wird. Sie gründeten den Verein Lipo, um eine bessere Handlungsgrundlage zu haben, begannen mit dem Künstlerbund zusammenzuarbeiten und beschlossen, Südtirol diese talentierten Schreiber zu zeigen: Seit drei Jahren organisieren sie deshalb Mitte September „JugendFREIkultur“ (dieses Jahr am 18. September um 20.00 Uhr im Sudwerk Bozen). Junge Dichter tragen zum ersten Mal ihre Werke vor, eine junge Band untermalt den Abend mit Musik. „Wir wollen jungen Südtirolern dabei helfen, ihre Schreib-Träume zu verwirklichen – sich weiterzuentwickeln. Wir wollen ihnen Mut machen.“ Und das klappt: Einer ihrer Autoren, Michael Denzer, hat über ihre Veranstaltungen den Weg zu seiner Erstveröffentlichung gefunden. Im Dezember 2012 ist sein Gedichtband „Randnotizen“ im Weger-Verlag erschienen.

Dahinter

Heute arbeitet auch Michael Denzer, der in Innsbruck studiert, ehrenamtlich für den Verein Lipo. Im Vorstand sitzen nur mehr Johanna, Carla und Markus, Sophie unterstützt sie wegen des großen Zeitaufwandes nur mehr als Mitglied im Verein. Im „echten Leben“ arbeitet Markus (23) als Informatiker bei der SASA, Johanna (23) studiert Agrarwissenschaftin Bozen und Carla (23) Deutsch und Latein auf Lehramt in Salzburg. „Wir investieren schon einen Großteil unserer Freizeit in Lipo. Immerhin bekommen wir jede Woche neue Texte, die wir dann entweder in die Kategorie „Normale Texte“ oder die Kategorie „Empfohlene Texte“ ordnen. Oft diskutieren wir mehrere Wochen bis wir uns entscheiden können, lesen einen Text 15 Mal. Mit diesen Empfehlungen wollen wir den Poeten eine Rückmeldung geben: Welcher Text gefällt uns besser, welcher schlechter.“ Ursprünglich haben sich die Drei erhofft, dass sich die Poeten über die Kommentar-Funktion untereinander Tipps und Ratschläge geben. „Das wird leider nicht so sehr in Anspruch genommen. Man kritisiert halt ungern Texte von fremden Personen, von denen man weiß, dass viel Arbeit dahintersteckt.“

Mehr

Der Erfolg Lipos ist in Südtirol nicht unbeachtet geblieben. Bald hat die Carambolage um Zusammenarbeit, die Veranstalter des Poetry Slams in Südtirol um die Organisation einzelner Vorrunden und Festival-Veranstalter um die Gestaltung eines Slam-Abends bei den Konzerten gebeten. Die drei Unermüdlichen haben jedes Mal zugesagt, Finanzierungspläne aufgestellt und Autoren eingeladen – „Nicht zu unterschätzen, wie kompliziert es ist, mit Künstlern zusammenarbeiten!“, erzählt Johanna grinsend, „manchmal wissen wir bis fünf Minuten vor der Veranstaltung nicht, ob die Poeten und die Band auftauchen werden. Am Anfang habe ich Nächte vor den Veranstaltungen nicht mehr geschlafen, mittlerweile weiß ich: Die kommen.“

Im Januar dieses Jahres wurde ihnen außerdem das gesamte Poetry Slam-Projekt von den beiden Morgenstern-Gründern Martin Hanni und Thomas Rainer übergeben: Kurzerhand haben sie die drei Vorrunden auf die Beine gestellt und dazu noch Workshops mit bereits erfolgreichen Südtiroler Slamern organisiert. Diesen Sonntag findet auf Schloss Pienzenau bei Meran das Finale statt. Johanna freut sich schon darauf: „Heuer haben wir wieder super Slamer dabei, und es wird sicher einen neuen Gewinner geben, da die Gewinner der letzten Jahre nicht mehr antreten werden. Das heißt: Bühne frei für die Neuen!“