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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 15.04.2014
LebenEin Tag in ...

Die Mäusestadt

Veröffentlicht
am 15.04.2014
Vor 500 Jahren wurde in Glurns Mäusen der Prozess gemacht. Aber sind die Nagetiere wirklich aus dem Städtchen verschwunden? BARFUSS auf Spurensuche.
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Sie ist die kleinste Stadt Italiens und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt: aufgrund ihres historischen Anmuts, dem Palabirabrot und den vielen Märkten. Nicht zu vergessen den berühmten Prozess gegen die Mäuse. 1519 fand im kleinen Vinschger Städtchen Glurns nämlich der wohl seltsamste Fall der Rechtsgeschichte statt. Ein Stilfser trat vor den Glurnser Richter und erhob Klage gegen die Feldmäuse, die der Ernte zu viel Schaden anrichten würden. Am 26. Oktober wurde das Verfahren eingeleitet und zog sich wie ein völlig normaler Streitfall mit richtigen Verhören und Zeugenaussagen bis zum 2. Mai des Folgejahres hin – mit dem Ergebnis, dass alle Mäuse innerhalb von zwei Wochen über eine eigens gebaute Brücke die Stadt verlassen mussten. Ausgenommen waren nur kranke oder schwangere Exemplare, denen eine Fristverlängerung gewährt wurde. Tja, wäre man nur ein bisschen strenger gewesen, vielleicht wäre das 700 Jahre alte Glurns heute sogar gänzlich mäusefrei?

Tourismus und Flora

Ich mache mich auf zu der Stadt auf 907 Metern Meereshöhe. Umgeben von einer noch komplett erhaltenen Ringmauer, gelange ich durch das Schludernser Tor ins Zentrum der Stadt. Über Pflastersteine vorbei an altertümlichen Häusern – Bürgerhäuser aus dem 16. Jahrhundert, wie ich später erfahre – durch kleine Gassen und Winkel, gelange ich nach kurzer Gehzeit auf den Stadtplatz. Eines sagt man mir hier als „Auswärtige“ sofort: „Sag ja niemals Dorfplatz.“ Für die Glurnser ist es „ihr Stadt'l“, da legen sie Wert drauf. Es wäre ein wahrer Fauxpas die Stadt als Dorf zu betiteln. Obwohl es einem, wenn wir ehrlich sind, durchaus herausrutschen kann. Schließlich hat sie nur knapp 900 Einwohner.
Unter einem großen Baum sitzen Eis schleckende Kinder, einige Arbeiter überqueren den Platz, der Rest sind Touristen. Jetzt gehe die Saison so langsam los, sagt man mir. Nicht zu übersehen der Souvenirshop am Rand des Areals. Glurns lebt vom Tourismus, und das sieht man auch.

Etwas weiter aufwärts gelangt man an das nächste Tor, das Tauferer Tor. Eine Brücke führt über den Fluss zur Pfarrkirche St. Pankratius, wo der Zeichner und Illustrator Paul Flora begraben liegt. Mit fünf Jahren bereits aus der Stadt weggezogen, sei es sein Wunsch gewesen, hier begraben zu werden, erzählt mir ein älterer Mann. Heute sei Flora Ehrenbürger der Marktstadt. Es gibt ein Museum sowie eine Ausstellung seiner Werke in den feinen, schwarzweißen Schraffurtechnik.

Viele Autos durchqueren die Stadt, um durch das Tauferer Tor in Richtung Schweiz zu gelangen. Das bezeichnen die Bürger der Stadt als klaren Nachteil. An der Kirche vorbei führt sogar der von Innichen bis Taufers verlaufende „Südtiroler Jakobsweg“, von dem ich nicht mal wusste, dass es ihn hierzulande gibt. Als ich mich hier ein wenig umsehe, treffe ich auf einen weiteren Glurnser, der mir meine Frage, ob die Mäuse denn immer noch ein Thema in Glurns seien, mit einem Grinsen so beantwortet: „Na ja, ganz los geworden sind wir sie damals nicht.“

Nichts zum Feiern

Als ich etwas später im Stadtcafé meinen Stadtrundgang kurz unterbreche, frage ich auch die schwarzhaarige Kellnerin, ob es hier noch immer viele Mäuse gebe. „Ratten“, sagt sie und lacht. „Die Mäuse sind gewachsen.“ Immer noch seien sie eine Plage, verrät die Frau und stellt mir den Macchiato hin.

Ein weit größeres Problem als die „Mäuseplage“, haben die Jugendlichen in Glurns, erfahre ich im Gespräch mit einer jungen Frau. „Hier ist absolut gar nichts zum Ausgehen“, erzählt sie. Es gebe zwar einige Bars, wo man sich treffe, um etwas zu trinken, wolle man dann aber länger ausgehen, müsse man ins „Fix“ in Laas oder „Enzo“ in St. Valentin auf der Haide. Da viele Glurnser Jugendliche in Vereinen tätig seien, packen sie das Ausgehproblem auch oft einfach auf eigene Faust an und veranstalten selbst Feste. Ansonsten sei auch der dreimal wöchentlich geöffnete „City-Treff“ sehr beliebt. Hier treffen sich die Jugendlichen etwa zum gemeinsamen Billiard- oder Calcettospielen.

Nach dem Aufenthalt im Innenhof des Cafés sehe ich mich weiter in der kleinen Stadt um. An einer Ecke finde ich einen kleinen Secondhandladen – ich fühle mich wie im Paradies. Alte mit Blumen verzierte Teller und Tassen, antike Radios, Bücher und auch Sachen, die man vielleicht nicht braucht, aber dennoch unbedingt haben will. Dann bummle ich noch durch die Laubengänge. Das Gewölbe ist an manchen Stellen so niedrig, dass man sich ein wenig bücken muss. Das lässt die Stadt – wie oft beschrieben – durchaus einen gewissen Charme versprühen.

Katzen statt Mäuse

Was ich mir nicht entgehen lasse, ist ein Abstecher in die einzige Whiskydestillerie Italiens. Ja, Glurns ist außergewöhnlich. Außerhalb der Stadtmauern in den nicht übersehbaren roten Ziegel-Schachbrettmauern befindet sich die Brennerei PUNI. Sie macht es seit 2010 den Schotten nach, so lange steht der Kubus bereits. In Schottland geschmiedeten Kupferbrennblasen entsteht hier Whisky aus Vinschger Roggen, Gerste und Weizen. Dann kommt das Getränk in die umliegenden Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, verrät eine Mitarbeiterin. Da der Whisky drei Jahre in den Fässern lagern müsse, gebe es in einem Jahr die erste Kostprobe. Leider ist keiner der Chefitäten hier, zu gerne hätte ich sie gefragt, ob ihnen die Mäuse nicht doch vielleicht das ein oder andere Korn anknabbern.

Natürlich wird mit dem mittelalterlichen Charme vom „Stadt'l“ und mit der Mäuseprozess-Geschichte auch heute noch kräftig die Werbetrommel gerührt, um viele Gäste für das „architektonische Juwel“ zu begeistern. An den Haaren herbeigezogen ist das mit dem Juwel nicht. Glurns ist ein kleines Städtchen, welches durchaus ein bisschen märchenhaft anmutet und das man einmal gesehen haben muss.

Mäuse sind mir an meinem Tag in Glurns keine begegnet, dafür eine Katze. Und obwohl hier sicher nicht mehr Mäuse wohnen als andernorts, hätte ich eine Idee für alle, die sie doch noch als kleine Plage ansehen: Mehr Katzen, weniger Mäuse. Die Anschaffung weiterer Miezen könnte man vielleicht gerichtlich anordnen, oder? Einen Versuch wäre es Wert.

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