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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 06.11.2017
LebenBis ans Ende der Straße

Das Fremdsein

Keine Ahnung haben, nirgends Vertrautheit finden: Fremdsein ist schrecklich. Man muss es unbedingt erlebt haben.
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Der letzte Grenzpolizist checkt noch einmal rasch den Pass. Ein Auge im Dokument, das andere auf meinem Gesicht. Gründlichkeit sieht anders aus. Freundlichkeit auch. Auf ein Lächeln hofft man an Grenzposten meistens vergebens. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich es wieder einmal versäumt habe, rechtzeitig die wichtigsten Alltagsworte der Landessprache zu erlernen. Also bedanke ich mich und grüße unbeholfen mit einem „Thank you, bye“, was mich bestimmt nicht als besonders interessiert an der einheimischen Kultur ausweist.

Die Gewohnheit, sich bei Grenzkontrollen suspekt zu fühlen, ist schwer abzulegen. Irgendwie ist man ja doch verdächtig. Trotz aller Papiere, die in Ordnung sind. Trotz der westeuropäischen Herkunft, die einem das unverdiente Privileg gibt, in fast alle Länder der Erde reisen zu dürfen. Denn fremd ist man schließlich doch. Der legale Status gibt einem nur die offizielle Erlaubnis, fremd zu sein. Aber dann ist noch die inoffizielle Erlaubnis einzuholen. Fremdsein, das bedeutet nämlich, nicht dazu zu gehören. Ob man ins neue Land passt, ob man sich seine Gastfreundlichkeit verdient, ob man mit den Menschen hier klar kommt, all das muss man erst noch unter Beweis stellen. Und der Beweis muss erbracht werden – auch wenn es schon einmal um einiges einfacher ist, willkommen geheißen zu werden, wenn man aus dem geachteten und reichen Westen kommt.

Als unwürdigen Vertreter dieses reichen Westens – zerschlissenes T-Shirt, funktionaler Rucksack, wenig Geld in der Tasche – spuckt mich die Grenzkontrolle ins Innere des neuen Landes aus, sagen wir mal: Aserbaidschan. Aber um welches fremde Land es sich genau handelt, spielt eigentlich keine Rolle. Was jetzt kommt, folgt einem Muster, das sich auf Reisen, die durch mehrere Länder führen, regelmäßig wiederholt.

Als wäre ich nie zur Schule gegangen, um Lesen und Schreiben zu lernen, stehe ich plötzlich wieder vor Wörtern und Schriftzeichen, die ich nicht verstehe. Die wenigen Ausdrücke, die ich im vorherigen Land gelernt hatte, um zu kommunizieren, helfen nicht mehr weiter. Hoffentlich finde ich bald einen W-Lan-Anschluss, sage ich mir. Die entsprechenden Ausdrücke in der neuen Sprache sollte ich schleunigst googeln.

Auch die Menschen sind auf einmal ganz anders. Hier, in Aserbaidschan zum Beispiel, lachen sie nicht. Das ist umso seltsamer, wenn man gerade aus einem übertrieben extrovertierten Land wie dem Iran kommt. Dafür darf ich aber wieder den Daumen als Zeichen der Zustimmung nach oben recken, ohne dass es als Beleidigung gewertet werden könnte. Andererseits ist es hier wiederum geraten, nicht über Politik zu sprechen. Anders als im Iran mögen das die Aserbaidschaner nicht so. Und wie in der Türkei gerät man leicht an jemanden, der tatsächlich mit glühender Überzeugung hinter seinem Präsidenten beziehungsweise Diktator steht.

Jedes Land hat seine eigenen ungeschriebenen Gesetze des Zusammenlebens. Der Fremde steht vor ihnen wie vor einem Rätsel, als einziger Unwissender inmitten von lauter Eingeweihten, den Einheimischen. Diesem Rätsel ist der Fremde hilflos ausgeliefert. Kann er die Geheimschrift des neuen Landes nicht entziffern und verhält sich nicht entsprechend dessen unbekannten Gesetzen, so hat er im Grunde keinerlei Anrecht auf irgendetwas.

Doch bevor ich anfange, mich mehr und mehr als Figur eines Kafka-Romans zu fühlen, ist es das Rätsel selbst, das nicht länger kalt vor mir steht. Es wendet sich mir zu und versucht mich seinerseits zu verstehen: Die Menschen des neuen Landes sind neugierig, sie sprechen mich an, zeigen mir den Weg, bekunden mit Nachdruck, für welche italienische Fußballmannschaft ihr Herz schlägt (auf Reisen habe ich es immer bereut, mich mit Fußball kein bisschen auszukennen). Manchmal fühlen die Menschen sich auch geehrt, dass jemand von so weit hergekommen ist, um ihr Land und ihre Kultur kennenzulernen. Dann wird man zuweilen zu ihnen eingeladen, ein Zimmer wird extra für den Gast freigemacht, während die fünfköpfige Familie im Wohnzimmer schläft, zum Teil auch auf dem Boden. Ich verstehe: Für sie ist es Ehrensache, den Aufenthalt des Fremden in ihrem Zuhause so angenehm als möglich zu machen. Ein Konzept der Gastfreundschaft, das im Abendland schon lange verloren gegangen ist.

Das ist jener Moment, den ich irgendwann den „Augenblick der Aufnahme” nannte: Das Fremdsein ist plötzlich wunderschön. Ab diesem Moment fühlt man sich nicht mehr fremd im neuen Land, nur noch anders. Man fühlt sich frei – und gerade, weil man fremd ist, genießt man in manchen Ländern fast unbeschränkte Narrenfreiheit. Je länger man reist, desto früher erlebt man diesen Augenblick der Aufnahme. Irgendwann fühlte ich mich vom neuen Land bereits aufgenommen, sobald ich hinter der Grenze dem ersten Lächeln begegnete.

Als Fremder ist man unausweichlich auf das Entgegenkommen der Einheimischen angewiesen. Denn der Mut, als Fremder selbst auf sie zuzugehen, auf diese Menschen, die ins Rätsel eingeweiht sind, dieser Mut ist schnell verschwunden, wenn man auf abweisende Blicke und Schweigen trifft. Dann ist es, als spräche das Rätsel: Du gehörst nicht dazu und das soll auch so bleiben. Wenn jeder einmal in seinem Leben erfahren könnte, wie es sich anfühlt, fremd zu sein, wäre die Welt vielleicht anders. Und wenn jeder erfahren könnte, was es bedeutet, gerade dann dem Lächeln oder der Hilfsbereitschaft eines Einheimischen zu begegnen, dann wäre diese Welt ganz sicher anders.

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