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Veronika Ellecosta
Veröffentlicht
am 22.03.2021
LebenInterview mit Geologen

„Die Berge sind kein Disneyland“

Veröffentlicht
am 22.03.2021
Wo Permafrost schmilzt, werden Hangrutsche und Felsstürze wahrscheinlicher. Für Geologen wie Volkmar Mair sind die Folgen des Klimawandels schon Teil des Berufsalltags.
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Felssturz kleine Gaisl von unten.JPG
An der Kleinen Gaisl nahe Prags stürzten im August 2016 mehr als eine Million Kubikmeter Material in die Tiefe. Der Grund: abschmelzender Permafrost.

Volkmar Mair ist Chefgeologe beim Land Südtirol. Neben der Erstellung von geologischen Detailkarten und Risikomanagement bei Rutschungen und Steinschlägen kümmert er sich unter anderem auch um die Baustoffprüfungen und macht Südtirols Asphaltstraßen sicher. In internationalen Projekten forscht er ganz nebenbei noch zu Permafrost und den Auswirkungen des Klimawandels auf die Stabilität der Hänge im Hochgebirge. Über die Permafrostschmelze sagt Mair: Für eine Umkehr ist es nie zu spät.

Herr Mair, was genau versteht man unter Permafrost?
Permafrost hat eine interessante Definition. Ein Permafrostgebiet ist ein Areal, wo zwei Jahre in Folge die Jahresmitteltemperatur unter null Grad bleibt. Im Alpenraum trifft das auf alle Gebiete in einer Höhe ab 2.300 bis 2.500 Metern zu. Wir haben seit 2003 Untersuchungen zu Permafrostgebieten in Südtirol gemacht und Karten erstellt. Wir wissen relativ gut, wo wir hier Permafrost haben. In den Porenräumen der Böden und in den Klüften der Felsen ist Eis normal und auch zwischen den Blöcken der Schutthänge, genannt Blockgletscher, ist das Eis kein Grund zu Sorge. Es stabilisiert diese Böden sogar.

Volkmar Mair im Gelände.

Was passiert, wenn der Permafrost schmilzt?
Da kommt es beispielsweise zu einer deutlichen Beschleunigung der Kriechbewegungen von Blockgletschern und steilen Hängen. Erwärmen sich die Böden durch die starke Sonneneinstrahlung und vor allem, wenn in feuchten Sommern viel warmes Regenwasser in die Böden eindringt, dann wird das Eis plastischer und kriecht schneller. In manchen Fällen taut das Eis in großen Bereichen auf und es entstehen Pingen und Einbrüche, ähnlich wie im Karst. Wenn die Blockgletscherzungen an steilen Hängen liegen, kommt es dadurch auch zu Steinschlägen und Murabgängen.
In Hochgebirgsgebieten, die früher durchgehend gefroren waren, kommt es vor allem im Sommer durch die Klimaerwärmung zunehmend zu Frost-Tau-Wechsel. Wenn Eis schmilzt und dann das Wasser wieder gefriert, nimmt es an Volumen zu und die Oberfläche bewegt sich. In Gesteinsklüften führt dieser Prozess dazu, dass ganze Gesteinspartien zerlegt werden; man spricht treffend von Frostsprengung. Durch Temperatursensoren haben wir bei sonnigen Seiten von Felsen Temperaturwechsel von über 40 Grad in Tiefen bis zu zehn Metern gemessen. Durch diese großen Temperaturschwankungen in den Sommermonaten kommt es vermehrt und großflächig zu Steinschlag.


Wie gut kann man einen Steinschlag vorhersagen, wenn er durch das Auftauen von Permafrost ausgelöst wird?
Das ist sehr schwierig, weil wir Spannungszustände im Felsen selbst nicht messen können. Wir können zwar Bewegungen messen und das Schmelzen von Eis, aber großflächig, bei einer Fläche von 7400 Quadratkilometern, ist das nicht möglich. Wir kennen aber gefährdete Areale durch Beobachtungen und kontinuierliches Monitoring durch Satelliten, Laserscanaufnahmen von Hubschraubern, Drohnen oder fixe Messstationen und Temperaturmessungen.

Wie gefährlich sind die auftauenden Permafrostgebiete in Südtirol?
Das hängt vom Gelände ab. Tatsächlich haben wir wenige Gefahrenzonen auf unserer Permafrostverteilungskarte feststellen können. Anwesenheit von Permafrost heißt ja nicht, dass es zwingend zu Gefahren kommt. Auf Almen und sonnenbestrahlten Hängen zum Beispiel kommt es oft zu Einbruchstellen durch abschmelzendes Eis. Aber Gefahr geht hier meistens keine aus. Verallgemeinerungen funktionieren hier nicht.

Steinschläge wie dieser an der Latemar-Südseite ereignen sich meistens aufgrund von Temperaturschwankungen und Frostsprengung.

Wo gibt es Blockgletscherzungen in Südtirol?
Wir haben in Südtirol etwa 2.700 Blockgletscher. Aber nach Untersuchungen haben wir festgestellt, dass es ganz wenige gibt, die Siedlungen betreffen und etwa fünf bis sechs machen uns derzeit Schwierigkeiten. Dasselbe gilt für Murenabgänge in Siedlungsnähe. Anders ist das im Hochgebirge, wo Steige verlaufen. Dort sind Wanderer auf eigene Gefahr unterwegs. Die Berge sind ja nicht Disneyland, wo alle Strukturen mit Beton, Seilen, Treppen und Geländer gesichert sind oder aus Kunststoff bestehen. Wenn die Steige mit erhöhter Steinschlaggefahr viel begangen werden, und das besonders von Leuten, die keine alpinistische Ausbildung haben, warnen oft Schilder davor. Trotzdem muss jedem klar sein, dass er oder sie in der Natur unterwegs ist und niemand imstande ist, vorauszusehen, wann wo der nächste Stein fällt.

Haben sich die Permafrostgebiete in Südtirol seit 2003 verändert?
Wir beobachten schon Phänomene, die wir vorher nicht gesehen haben, etwa Blockgletscher, die von Jahr zu Jahr schneller talwärts fließen. In manchen Gebieten hat sich die Bewegungsrate verdoppelt: Blockgletscher im Schnalstal, welche im Jahr 2006 mit etwa 60 Zentimeter pro Jahr talwärts gekrochen sind, bewegen sich nun mit etwa 120 bis 150 Zentimeter pro Jahr. Manchmal lösen sich mächtige Schuttzungen von ihrer Wurzelzone und Eisschollen kommen zum Vorschein. Es kommt außerdem vermehrt zu Thermokarst, wo das Eis schmilzt und sich trichterförmige Einbuchtungen bilden. Es bilden sich neue Wasserquellen an der Stirn von Blockgletschern oder mitten in Schuttfeldern. Auch die Gletscher gehen zurück und der Steinschlag nimmt zu. Wenn die Sommer niederschlagsreich sind und durch den Regen viel Energie in den Boden eindringt, wird das Abschmelzen von Gletschereis beschleunigt und dieses Wasser wiederum erodiert die talwärts liegenden Schuttfelder der Permafrostbereiche. Nicht selten kommt es infolge von heftigen Sommergewittern dadurch zu Murabgängen aus diesen nun instabilen Gletschervorfeldern.

Warum beschleunigt Niederschlag das Abschmelzen?
Das kann man sich mit einem einfachen Versuch vorstellen: Wenn ich einen Eiswürfel anhauche, schmilzt er nicht, weil Luft kein guter Wärmeleiter ist. Wenn man aber Wasser darüber kippt, wird der Eiswürfel weitaus schneller schmelzen.

Wir werden zukünftig mehr Steinschlag im Hochgebirge haben.

Wie wird es mit dem Permafrost in den nächsten 20 Jahren weitergehen?
Blockgletscher wird es vermutlich nach wie vor geben. Die sind 10.000 bis 12.000 Jahre alt, die werden jetzt nicht gleich verschwinden, aber das Abschmelzen wird sich beschleunigen. Wir müssen sie im Blick behalten, aber was mir größere Sorgen bereitet, ist das Steilgelände, wo Moränen und Schuttmaterial von schmelzenden Gletschern abgehen können, wo es vermehrt zu Rutschungen und Steinschlag kommen wird. Wir werden zukünftig sicher mehr Steinschlag im Hochgebirge haben. Solange die Temperatur im Hochgebirge unter null Grad bleibt, wird es wenig Bewegung im Gestein geben. Aber wenn wir Felspartien haben, die klüftig sind und die sich bis in Höhen von 4.500 Meter zunehmend aufwärmen, gibt es, wie gesagt, einen starken Frost-Tau-Wechsel und in der Folge vermehrt Steinschlag und Felsstürze. Aber auch hier gilt: nicht verallgemeinern. Wir haben nicht überall solche Klüfte. Und wir haben auch Klüfte, die trocken sind, wo kein Wasser enthalten ist, und da wird nicht viel passieren.

Gibt es Gestein, das diese Klüfte leichter bildet?
Das ist schwierig zu sagen, Granit kann genauso gut wie Kalk und Marmor durch die Bewegungen während der Gebirgsbildung zerlegt sein. Was wir beobachten, sind genau diese Partien, wir Geologen sagen Störungszonen dazu: Bänder, wo unterschiedliche Gesteine aufeinandertreffen zum Beispiel. Gefährlich sind ebenso steile Schieferzonen, wo Wasser gut eindringen kann. Aber die Geologie in Südtirol ist so feingliedrig, dass es unmöglich ist, alle diese Zonen genau abzugrenzen.

An welchen Felsstürzen der vergangenen Jahre war der abschmelzende Permafrost beteiligt?
Einen derartigen Steinschlag haben wir bei der Kleinen Gaisl 2016 dokumentiert, dort haben wir Eis in den Klüften eindeutig nachweisen können. Auch am Rosengarten haben wir gut dokumentierte Fälle, wo Eis sich in den Klüften befunden hat und auch der Felssturz an der Thurwieserspitze im Ortlergebiet ist auf abschmelzenden Permafrost zurückzuführen. Wir haben ein eigenes Rutschungskataster, wo wir alles sehr genau dokumentieren und sicher nachweisen können, an welchen Steinschlägen der abschmelzende Permafrost der Auslöser ist. Eine Generalisierung aber macht den Menschen Angst. Mir ist wichtig zu betonen: Unter 2.200 Meter gibt es in den Ostalpen keinen Permafrost. Es ist wichtig, die Felsstürze genau zu dokumentieren, sonst wird jeder Steinschlag dem Permafrost zugewiesen.

Ausgeprägter Blockgletscher am Langsee im Ultental: Unter dem Geröll ist Eis zu finden.

Werden im alpinen abschmelzenden Permafrost Treibhausgase, ähnlich wie in Sibirien, freigesetzt?
In Russland gibt es ausgedehnte Torf- und Sumpfgebiete in Tundra und Taiga und da wird Methan freigesetzt, das sich vor langer Zeit gebildet hatte. Aber im alpinen Hochgebirge spielen Moore und Feuchtgebiete flächenmäßig keine Rolle, Methan wird bei uns kaum gebildet. Wir haben andere Probleme: Bei uns finden sich immer häufiger Schwermetalle in den Quellen, Bächen und Seen, die von Blockgletschern gespeist werden.

Warum Schwermetalle?
Da gibt es zwei Möglichkeiten: In den über 10.000 Jahre alten Blockgletschern ist vermutlich Gesteinsmaterial verwittert, wo Sulfidminerale mit hohen Gehalten an Nickel, Kobalt, Mangan und anderen Elementen vorhanden waren. Diese Rückstände sind fein im Eis verteilt. Durch Bohrungen und detaillierte Analysen der Eiskerne haben wir festgestellt, dass Nickel im Eis gelöst vorkommt, erstaunlicherweise sehr oft in Lagen mit einem erhöhten Kohlenstoffgehalt. Das deutet auf frühere Waldbrände oder sogar Vulkanausbrüche hin.

Diese Rückstände erzählen uns also etwas über vergangene Zeiten?
Genau. Im Schnalstal sind die Nickelgehalte vor 3.400 Jahren entstanden, einer Zeit, wo der Alpenraum besiedelt worden ist und die ersten Brandrodungen stattgefunden haben. Diese Gehalte sind gerade in tieferen Schichten nachgewiesen worden, sie stammen also nicht aus Zeiten der industriellen Revolution. Das ist der Mehrwert unserer Untersuchungen: Es wird jetzt Eis geschmolzen, das schon einige tausend Jahre auf dem Buckel hat, das deutet darauf hin, das sich gerade etwas stark verändert.

Können wir den Trend zur Eisschmelze noch ändern?
Das kann man ganz einfach erklären: Wenn man einen Herd ausschaltet, wird die Platte noch länger warm bleiben, ich werde die Ergebnisse von aktuellen Klimaschutzmaßnahmen also erst in 20 Jahren sehen. Das müssten die Leute verstehen. Wir müssen aber trotzdem jetzt gleich handeln.

Sie glauben also, es ist für die Berge und Gletscher nicht zu spät?
Es ist entweder immer schon zu spät oder nie zu spät. Ich sage, je früher, desto besser. Dazu gibt es keine Alternative.

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