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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 03.07.2019
MeinungKommentar zur Seawatch-Affäre

Unversöhnlich

Heldin oder Kriminelle? Die Debatte, die Seawatch-Kapitänin Carola Rackete ausgelöst hat, wird zum Grabenkampf der Weltbilder.
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Über Carola Rackete gibt es nur wenig, was als gesicherte Information gelten kann. Sie ist 31 Jahre alt, wuchs als Tochter eines Raketenforschers der Bundeswehr im ländlichen Niedersachsen auf und wurde am 29. Juni auf Lampedusa verhaftet. Unter den Anklagepunkten zu finden: Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Widerstand und Gewalt gegen ein Kriegsschiff, Verletzung der italienischen Hoheitsgewässer. Hier endet aber auch schon das, worüber weitgehend Einigkeit besteht. Was den Rest angeht, ist Carola Rackete, die Kapitänin der Sea Watch 3, ein Fragezeichen. Ist diese junge Frau eine Heldin? Eine „freche Göre“, wie Innenminister Salvini sie nannte? Oder gar eine rücksichtslose Selbstdarstellerin, die auf Kosten der Migranten ihr Programm durchzieht?

Wer Carola Rackete wirklich ist, wurde zur europäischen Grundsatzfrage. Mit aller Verbissenheit und Humorlosigkeit, die solchen Grundsatzdebatten eigen ist, kämpft die Öffentlichkeit um die Deutungshoheit darüber, was der wahre Antrieb, die wahren Motive der jungen Kapitänin sind. Dabei sollte es niemanden überraschen, wie eine NGO-Mitarbeiterin, die kurz zuvor noch ein Leben in vollkommener Anonymität und Bedeutungslosigkeit führte, so viel Aufsehen erregen kann. Die reale Carola Rackete, die Frau in Fleisch und Blut, die bis vor Kurzem in Italien unter Hausarrest stand, ist in Wahrheit auch weiterhin ziemlich uninteressant. Im Grunde geht es gar nicht um Rackete als Person. Es geht eher um das, wofür sie steht. Noch genauer: Es geht um das, wofür ich selbst einstehe, wer ich eigentlich bin.

„Viel steht auf dem Spiel, vielleicht die Zukunft Europas, zumindest aber das eigene, liebgewonnene Welt- und Menschenbild. “

Egal, was es ist, ich habe mit dem, was ich bin, natürlich recht. Das ist der narzisstische Fundus, auf dem sich die krude Aggressivität dieser Debatte überhaupt entwickeln konnte. Die Frage, wer ich selbst bin und wer Millionen andere Europäer sind, ist freilich komplex. Sie spaltet die Gesellschaft nicht nur, weil sie sich zurzeit auf zwei konträre Weisen beantworten, sondern insbesondere, weil sie sich auch auf zweierlei Weise stellen lässt. Wer die Ankunft von Migranten eher gelassen sieht und sich der unmenschlichen Bedingungen in den libyschen Auffanglagern bewusst ist, wird die Frage so formulieren: „Verfüge ich noch über ein Mindestmaß an Empathie und Humanität oder bin ich ein skrupelloser Fremdenfeind?“ Ganz anders klingt die Frage bei denen, die Einwanderung vorwiegend als Bedrohung wahrnehmen: „Habe ich noch gesunden Menschenverstand oder bin ich ein verblendeter Idealist?“

Es handelt sich, wie gesagt, um eine Grundsatzdebatte, dazu noch um eine höchst persönliche. Viel steht auf dem Spiel, vielleicht die Zukunft Europas, zumindest aber das eigene, liebgewonnene Welt- und Menschenbild. Das will man auf keinen Fall aufgeben.

Es ist bezeichnend, dass in dieser radikalen Debatte, in der es um nichts weniger als um Gut oder Böse geht, ausgerechnet die Grenzen zwischen Gut und Böse zunehmend verschwimmen. Ein paar Beispiele sind schnell genannt. Heiko Maas, Deutschlands Außenminister, kritisierte die Festnahme Racketes mit harten Worten. In einem Tweet erinnerte er daran, dass Seenotrettung nicht kriminalisiert werden dürfe. Gutes Deutschland, schlechtes Italien? Maas‘ Amtskollege, der Innenminister Horst Seehofer, ignorierte unterdessen sämtliche deutschen Städte, die lautstark ihre Bereitschaft verkündeten, die 42 Seawatch-Geflüchteten aufzunehmen. Ohne Seehofers Veto hätte Italien ein Ausschiffen der Menschen erlaubt und die Seawatch hätte legal anlegen können. Damit hat das wasserpredigende Deutschland bewiesen, dass seine Regierung dem harten Rechtskurs von Salvini in nichts nachsteht.

„Die Wahrheit ist ein kostbares Gut, und wer schlau ist, erhebt schnell Anspruch darauf, ohne zuerst lästige Einzelheiten zu prüfen. “

Um über solche Widersprüche nachzudenken, ist aber offenbar zu wenig Zeit. Die Wahrheit ist ein kostbares Gut, und wer schlau ist, erhebt schnell Anspruch darauf, ohne zuerst lästige Einzelheiten zu prüfen. Auf der einen Seite stehen die Kritiker Salvinis. Sie werden auch weiterhin Zahlen nennen, wie viele Geflüchteten in den letzten fünf Jahren im Mittelmeer ertrunken sind (ca. 20.000), um damit die Notwendigkeit der Seenotrettung zu unterstreichen. Regelmäßig aber wird von dieser Seite das Detail ausgespart, dass die absolute Zahl der Ertrunkenen in den letzten beiden Jahren drastisch gesunken ist, weil aufgrund des harten Kurses gegen illegale Immigration tatsächlich weniger Menschen die Flucht übers Mittelmeer wagen.

Auf der anderen Seite stehen die Befürworter Salvinis. Sie werden auch weiterhin geflissentlich die menschenunwürdigen Zustände in den libyschen Auffanglagern ignorieren, auch weiterhin einen Ort „sicher“ nennen, wo erst vor wenigen Tagen wieder mehrere Geflüchtete in einem Camp an Hunger und Durst gestorben sind.

Auch Carola Rackete selbst findet im Katalog der Widersprüche ihren ganz persönlichen Platz. Sie darf mit ihren 31 Jahren schon auf eine respektable Biographie des freiwilligen Einsatzes für die gute Sache zurückblicken. Sie hat einen Abschluss in Umweltschutz und arbeitete, noch vor ihrer Seawatch-Zeit, als Brückenoffizierin für ein Polarforschungsinstitut und für Greenpeace, genauer, auf dem Greenpeace-Schiff „Arctic Sunrise“. Es ist ein trauriger Zufall, dass ausgerechnet dieses Greenpeace-Schiff nicht nur wegen seines Einsatzes gegen die kommerzielle Robben- und Waljagd, sondern auch gegen die eingeborenen Inuit bekannt ist. Diese wurden auf ihren wackligen Kajaks und Kleinbooten bedrängt, zum Teil so lange, bis sie die Robbenjagd, die ihr Überleben sicherte, aufgaben.

Ob Carola Rackete, die heute ihrerseits Menschen aus wackligen Kleinbooten rettet, damals von dieser Geschichte wusste, ist nicht bekannt. Man müsste sie irgendwann, wenn die Zeiten ruhiger sind und sie nicht mehr mit Polizeiverhören beschäftigt ist, einfach fragen (auch, wenn es dann niemanden mehr interessiert).

Drängender ist einstweilen die Frage, ob sie im vorliegenden Fall richtig gehandelt hat. Das Völkerseerecht besagt: Seenotgerettete müssen „innerhalb eines angemessenen Zeitraums an einen sicheren Ort“ gebracht werden. Für Carola Rackete kam angesichts des psychischen und physischen Zustands der Geflüchteten nur der nächstgelegene Hafen Lampedusa infrage. Es ist eine verständliche und, ja, auch kritisierbare Entscheidung.

Eines ist der jungen Seawatch-Kapitänin aber – ganz unabhängig davon, was sie wirklich ist und will – hoch anzurechnen. Sie hat eine brutale Realität, die Europa hinter den hohen Mauern lybischer Konzentrationslager versteckt hat, wieder zurück in unsere Wohnzimmer gebracht.

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