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Illustrations by Sarah
Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 02.01.2020
MeinungKommentar zu Politikerspesen

Die Abrechnung

Bestimmte Abgeordnete reisen gerne zu den "Leuten draußen", die enormen Spesen werden aber von den SteuerzahlerInnen getragen. Gute Politik sieht anders aus.
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Falls Sie als emsige ArbeitnehmerInnen noch nach einem geeigneten Neujahrsvorsatz für sich suchen, kommt dieser Tage ein Leitspruch für ein besseres Leben von ganz oben: „Wer viel reist, der arbeitet viel.“ Vielleicht haben sie es schon gehört, man hört es ja jedes Jahr und vergisst es dann aber wieder, weil einem die teuren Smartphones der MigrantInnen noch mehr auf die Nerven gehen, aber die Ladurner hat 11.283,84 Euro Spesen abgerechnet, um „draußen bei den Leuten“ sein zu können. Bei der aktuellen Kilometerpauschale von 0,47€ kommt man mit 11.000€ nach ganz weit draußen, beispielsweise von Bozen über Kasachstan und die Mongolei bis nach Wladiwostok und wieder retour, Autobahnspesen inklusive und sogar eine Handvoll Matrioschkas für die ParteikollegInnen gehen sich noch aus. Nun trifft das mit dem Viel-Reisen-viel-Arbeiten sicherlich zu. Auf Reiseführerinnen zum Beispiel, Teppichhändlerinnen, ArzneimittelvertreterInnen, PilotInnen und AstronautInnen.

Wenn unsere PolitikerInnen verreisen, dann arbeiten sie genau genommen nicht nur fürs Volk, sondern an ihrem nächsten Wahlkampf und der globalen C02-Belastung. Politik bedeutet, sich die Makroebene anzuschauen, die Gesellschaft im Ganzen – wenn man gerne wissen mag, was den Einzelnen so bewegt, hätte man SozialarbeiterIn oder PsychologIn werden können und wenn man gerne bei den „Leuten draußen“ ist, böten sich die Berufsbilder WaldpädagogIn oder SkilehrerIn an. Wann haben die hiesigen Lokalpolitiker eigentlich angefangen, demokratisches Mandat mit repräsentativer Monarchie zu verwechseln? Wenn gut gekleidete Leute mit Menschen mit Behinderungen Brezeln backen, mit Sportlern Sackhüpfen oder mit Grauvieh posieren – ist das dann eine lustige Ziergruppe oder eine klassische Giertruppe? Sachpolitik braucht keine Kate-Middleton-Momente, sie braucht genau genommen nicht mal einen Instagramkanal, sondern setzt voraus, dass man gesellschaftliche Notwendigkeiten, Bedürfnisse und Tendenzen erkennen, analysieren und auflösen kann. Ab und zu muss man auch fahren, ja klar, aber insgesamt ist das eher langweilige Denkarbeit als lustiger Maiausflug. In der Wissenschaft nennt man das Bei-den-Leuten-draußen-Rumgehänge übrigens fehlende Repräsentativität: Man kann nicht erkennen, was in der Gesamtheit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe vor sich geht und wo ihre Notwendigkeiten bestehen, nur weil man mit fünfen davon aufm Speckfest Polka tanzt.

Politik ist eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft und nicht gegenüber Einzelnen! Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich wähle PolitikerInnen dafür, dass sie sich Statistiken, Befunde und Gesellschaftsschichten anschauen, dass sie rechnen, antizipieren, analysieren und überlegen, dass sie ExpertInnen zu Rate ziehen, sich Wahrscheinlichkeiten und Schätzungen aufzeigen lassen und Lösungsvorschläge durchdenken, um wichtige und richtige Entscheidungen treffen zu können – und nicht, damit sie in Hintertupfing für ihren Instakanal ein Pony reiten. Hinsetzen sollen sie sich für ihren fürstlichen Lohn und ihr Hirn zermartern, wie sie die Gesellschaft fairer, sozialer, nachhaltiger, gesünder und zufriedener gestalten können – und nicht ihre Zeit und unser Geld nach Wladiwostok fahren! Und wenn sie es doch tun und lieber in ihren SUV steigen als ihren Südtirol-Pass zu suchen, dann sollen sie gefälligst für jeden Kilometer einen CO2-Ausgleich bezahlen, anstatt Geld zu kassieren.

…wie die Eskapaden eines verzogenen Sohnes, der einem nur auf der Tasche liegt und wenn er mal den Müll wegbringt, dann dafür auch noch Kilometergeld verlangt.

Die große Politikverdrossenheit kommt auch genau daher: Dass die Gesellschaftsfamilie ihre PolitikerInnen halt irgendwie mit durchfüttern muss und sie resigniert toleriert, ähnlich den Eskapaden eines verzogenen Sohnes, der einem nur auf der Tasche liegt und wenn er mal den Müll wegbringt, dann dafür auch noch Kilometergeld verlangt. Die Renten, die Spesen, die Gehälter, all die Fantasiebeträge, die sich die Obersten auf ihre Kontos schieben, kommen den Untersten in ihren Nachtschichten, Pendlerbahnen und bei der Heizkostenabrechnung wie ein schlechter Witz vor. „Es steht uns nunmal zu“, sagt Frau Ladurner. Ein Satz, der erstens immer alles nur noch schlimmer macht und zweitens eine gewagte Hypothese ist – denn was steht einem schon so zu? Eine philosophische Frage, die wir hier nicht erörtern können, ohne dass die Redaktion den Artikel wieder mindestens zweiteilt, es sei also vorausgegriffen: Es gibt kein Menschenrecht auf Bereicherung und nein, man hat auch keinen moralischen Anspruch auf Nebenspesen bei einem Bruttolohn von 10.500 Euro monatlich. Aber tatsächlich tun Ladurner und Co. nur das, was das selbstgebaute System ihnen zu tun erlaubt – ohne allerdings das System zu hinterfragen. Und bloß nichts zu hinterfragen, dafür hat man sie ja schließlich auch gewählt, nicht wahr? (Darüber kann man sich nun aufregen oder nicht – aber wenn man’s tut, sind sexistische, unsachliche und persönliche Kommentare gegenüber jeder Politikerin und jedem Politiker in jedem Fall daneben.)

Ihren älteren Parteikollegen unterläuft so ein ärgerlicher Anfängerfehler übrigens nicht mehr, weil sie wissen: Die paar Peanuts regen den Plebs auf und weil man den für die nächste Runde in der obersten Gehaltsebene braucht, casht man zwar ab, aber lieber dezent und außerdem über Gehalt, Funktionszulagen, Spesenpauschale – und richtet sich für die Landesräte einen Diesel-Fuhrpark mit Chauffeur ein, dann muss man erstens keine Kassenzettel aufbewahren und sich zweitens bei Fahrprüfungen nicht über schlecht übersetzte doppelte Verneinungen ärgern. Gegen die Unterhaltskosten des Fuhrparks wirkt Ladurners Abrechnung übrigens wie das Taschengeld einer Volksschülerin: Der kostete 2016 insgesamt 120.000 €. Während also auf die Junge eingeprügelt wird, sitzen die anderen hinter getönten Scheiben oder setzen im Spesen-Mittelfeld auf ihren Mauerblümchenbonus und das große Vergessen, wie etwa die Amhof, wenn sie jährlich dezent um die 5.000 Euro verrechnet. Sicherheitshalber erzählt sie in ihrer Antrittsrede für die ArbeitnehmerInnen (ausgerechnet!) dann aber trotzdem ein bisschen von Nachhaltigkeit. Diejenigen, an die die Rede gerichtet ist, bekommen übrigens nur Fahrtspesen, wenn sie nachweisen können, dass keine Öffis fahren – also beispielsweise gegen drei Uhr früh – oder wenn die Benutzung selbiger mehr als 60 min in Anspruch nimmt.

Ausbalanciert werden die Ausgaben auf der anderen Seite der Gesellschaft von tausenden Ehrenamtlichen, die Kranke zu Dialyse fahren, Muren wegschippen, Bibliotheksdienst machen, Keller freipumpen, Obdachlose bekochen, Selbsthilfegruppen leiten, Sterbende begleiten, Plastikmüll einsammeln…

Ist der Topf leer, bezahlen sich andere Landesbedienstete wie etwa LehrerInnen die Fahrt zu verpflichtenden Schulung selbst. Steht denen halt einfach nicht zu. Dabei ist Ladurner beileibe kein Ausreißer, Hochgruber Kuenzer verrechnete vor einigen Jahren noch 12.000 Euro, sie musste halt oft nach St. Georgen zur Sprechstunde und nahm den Abstecher über Wladiwostok. Inzwischen hat sie wie die anderen Landesräte einen Fahrer, rechnet aber sicherheitshalber trotzdem noch kleinliche 150 Euro ab – weil wo kämen wir denn da hin, wenn man das, was einem zusteht, nicht nimmt? Man kommt überraschenderweise trotzdem zum Arbeitsplatz und wieder zurück, wie die Grünen und das Team K in einem riskanten Selbstversuch nachweisen konnten: Sie gehören geschlossen zu den steten Nullnummern unter den Abzockern und verrechnen nichts. Man fahre Zug und da, wo das nicht geht, zahle man selbst. So bleibt die Spesenabrechnung ein jährliches Zeugnis für Engagement oder Kalkül oder naivem Narzissmus: Der eine nimmt nichts aus ideeller Überzeugung, der andere braucht nichts, weil er gefahren wird (ist auch besser so für die anderen VerkehrsteilnehmerInnen) und der andere nimmt’s, weil er überzeugt ist, dass es ihm in seiner Position nun mal zusteht.

Ausbalanciert werden die Ausgaben auf der anderen Seite der Gesellschaft von tausenden Ehrenamtlichen, die Kranke zu Dialyse fahren, Muren wegschippen, Bibliotheksdienst machen, Keller freipumpen, Obdachlose bekochen, Selbsthilfegruppen leiten, Sterbende begleiten, Plastikmüll einsammeln – und am Ende des Jahres weder Leistung noch Fahrt abrechnen, dafür aber das Wörtchen „Ehre“ im Ehrenamt noch fehlerfrei buchstabieren können. Ja, schon klar, Politik ist kein Ehrenamt, und das ist auch gut so, denn sonst bliebe sie das Privileg einiger Weniger. Aber politisches Engagement gegenüber der Gesellschaft setzt mehr als das akribische Einkleben von Kassenbons voraus.

Wer nicht versteht, warum das den kleinen Mann zwischen Brenner und Salurn brüskiert, der hat „den Leuten draußen“ offenbar gar nicht richtig zugehört.

Und kommt mir bitte nicht mit der „gleiches Recht für alle“-Leier: Wenn Bestverdienende Fahrtkosten abrechnen, sind sie Nutznießer einer Einrichtung, die eigentlich in den unteren Gehaltsklassen Auslagen kompensieren sollte, die über den Lohn nicht kompensiert werden können. Nein, es ist nicht dasselbe, wenn eine Lehrerin bei einem Gehalt von 1800 € im Monat Fahrtkosten abrechnet oder wenn Politiker wie Amhof, Ladurner, Lanz, Locher, Noggler, Renzler, Tauber, Urzí und Vettori mehrere tausend Euro Nebenspesen in einem System abrechnen, das ihnen sowieso Arbeitsplatz, Geräte, Materialen und einen Fantasielohn zur Verfügung stellt. Und wo wir schon von „Zugestehen“ und damit implizit von der Wichtigkeit des eigenen beruflichen Daseins reden: Wenn sämtliche der obgenannten Entscheidungsträgerinnen von A. bis V. sich, sagen wir, über Neujahr mit dem ganzen Kaviar den Magen verdorben hätten und morgen nicht zur Arbeit gehen könnten, was glauben Sie, was dann passiert? Steht das Gesellschaftsrädchen still, bricht das System ein, bleiben Leute unterversorgt, Kinder unbeaufsichtigt, Infusionen leer, Städte zugemüllt, der Linienverkehr stehen und die Kühe ungemolken? Genau, rhetorische Frage.

Und weil es mir zusteht, schiebe ich gleich noch eine zweite hinterher: Was passiert, wenn eine Handvoll Tagesmütter, KindergärtnerInnen, Nachtschwestern, Hebammen, BäuerInnen ausfallen? Genau. Und was steht denen eigentlich zu? Bei den KindergärtnerInnen in der 6. Gehaltsebene – also mit dem Ausbildungsniveau des Parteiobmanns – die in Teilzeit arbeiten, weil sie beispielsweise zuhause ein kleines Kind haben, kann ich es Ihnen ziemlich genau sagen: Denen steht im ganzen Jahr etwa der Nettobetrag zu, den die Ladurner so nebenbei nach Wladiwostok fährt. Die mediale Aufregung wegen der paar Euro kann sie trotzdem „nicht nachvollziehen“, sagt sie, und damit war das Rumgefahre dann nicht nur teuer, sondern auch noch umsonst: Wer nicht versteht, warum das den kleinen Mann zwischen Brenner und Salurn brüskiert, der hat „den Leuten draußen“ offenbar gar nicht richtig zugehört.

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