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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 29.08.2017
MeinungKommentar zum Zeitgeschehen

Das Ende der Freiheit

Freiheit bedeutet Eigenverantwortung. Die wird den Menschen immer mehr zur Last. Sie sehen die Probleme, aber finden kaum Antworten. Populisten liefern sie ihnen.
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Wer die Freiheit liebt, ist ein unglücklicher Liebhaber. Denn in der äußersten Konsequenz bedeutet das: Kein Gott, kein Herr, keine Ideologie. Was richtig und was falsch ist, muss jeder für sich entscheiden. Auch den armen Teufeln, die sich an den Sinn des Lebens nicht mehr erinnern können, fehlt der Souffleur. Findet man den Sinn nicht selbst – Pech gehabt. Gleichzeitig ist gerade dieser karge Boden des Zweifels die Basis, auf der unser vielgerühmter Pluralismus gedeihen konnte. Nichts ist sicher, alles ist möglich. Deswegen toleriert der Pluralist alles, solange es nicht selbst Toleranz und Freiheit bedroht: weil er weiß, dass der Anspruch auf absolute Wahrheit lächerlich ist – egal, von welcher Seite er proklamiert wird. Und wenn es schon keine Orientierung gibt, keine letztgültige Ordnung, kein vorgefertigtes Wertesystem, dann möchte man sich wenigstens die eigene Würde bewahren. In anderen Worten: Man vermeidet es sorgfältig, lächerlich zu sein.

Die unglückliche Liebe zur Freiheit ist von Zweifeln und einer enormen Last der Eigenverantwortung geprägt. Hält der Mensch das aus? Wer heute als Politiker erfolgreich sein will, macht sich die Freiheit lieber zur Geliebten. Nach einer wollüstigen Liebesnacht, in der viele große Worte gesprochen werden, verlässt er sie am nächsten Morgen. Das, was die großen Worte nicht vollbringen konnten, übernimmt nun die Realität der Knechtschaft. Sie erlaubt keine Fragen, gibt dafür aber Antworten. Die Strategie heißt Populismus.

Donald Trump hat es vorgemacht: Die Machtverhältnisse können schnell kippen.

Zum „point of no return“ kam es noch nicht. Europa ist immer noch pluralistisch. Aber wie lange? Denn der Gürtel der Despoten oder Halbdespoten um Europa wird enger. Russland, Polen, Ungarn, nicht zuletzt auch die Türkei. Zugegeben, das überraschte kaum jemanden. Den sowjetischen Reliktstaaten aus dem Osten hatte man vielleicht noch nie richtig vertraut. Von einem muslimischen Land wie der Türkei ganz zu schweigen. Aber jetzt auch noch die transatlantischen Freunde? Donald Trump hat es vorgemacht: Die Machtverhältnisse können schnell kippen.

In Europa stehen die Autoritären schon in den Startlöchern. Le Pen, Petry, Strache, um nur einige zu nennen. Und natürlich kann man fragen: Warum sind diese Populisten autoritär? Schließlich reden sie ständig von Freiheit. Doch die ist ein Vorwand. Was Populisten gemeinsam haben, sind scheinbar einfache Lösungen und vorgefertigte Weltbilder. Aus der Geschichte weiß man, dass daraus Entwicklungen hervorgehen können, die im Totalitarismus münden. Wenn nur genügend Menschen an das eine Weltbild glauben.

Ein weiteres Merkmal der neuen Politik sind die einzelnen Gesichter. Charismatische Einzelkämpfer, die allein mit ihrem Gesicht eine ganze Weltanschauung verkörpern. Die Funktion, für etwas zu stehen, übernahm einst eine ganze Partei. Doch wenn einfache Lösungen gefragt sind, rücken Parteien in den Hintergrund. Die Geschichte, die verschiedenen Flügel, die Leitsätze und natürlich auch die Widersprüche einer Partei zu kennen? Viel zu kompliziert. Vor allem in Zeiten, in denen sich Links und Rechts scheinbar ohnehin nur noch dadurch unterscheiden, wer das politisch korrekte Binnen-I benutzt und wer sich mit Haut und Haar dagegen sträubt.

Der Mensch des Westens ist inzwischen voll damit beschäftigt, sich in seiner Freiheit zu verlieren. Seine Eigenverantwortung ist eine Last.

Beispiele für dieses Gesichts-Phänomen gibt es genug: Am 7. Mai etwa hat in Frankreich nicht die Bewegung „En marche“ die Präsidentschaftswahlen gewonnen, sondern Emmanuel Macron. Wer kannte schon die Inhalte und Richtlinien von Macrons Bewegung? Außerhalb Frankreichs wissen die wenigsten überhaupt ihren Namen. Aber den 39-jährigen, energischen, nach Front-National-Manier brüllenden Kandidaten zu übersehen, das wäre schwierig gewesen. Mit seinem Gesicht verkörperte er die Antithese zum Nationalismus von Le Pen. Wer für Europa war, musste für Macron sein.

Und die bevorstehenden Nationalratswahlen in Österreich? Hier wird es sehr wahrscheinlich zum Duell zwischen Christian Kern von der SPÖ und Sebastian Kurz von der ÖVP kommen. Doch Kurz ist schlau. Er tritt nicht wie Kern als Kandidat seiner Partei unter ihrem gewöhnlichen Namen an, sondern als Kandidat der „Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei (ÖVP)“. Er hat erkannt, dass seine Wähler ihre Stimme nicht der ÖVP geben, sondern ihm. Oder vielleicht sollte man lieber sagen: seinem Gesicht. Denn dieses steht inzwischen für eine scheinbar einfache Lösung des Flüchtlingsproblems und für einige vereinfachte Antworten mehr.

Der Mensch des Westens ist inzwischen voll damit beschäftigt, sich in seiner Freiheit zu verlieren. Seine Eigenverantwortung ist eine Last. Die komplexen Probleme, die es gibt, sieht er zwar, aber er findet kaum Lösungen – kaum Antworten. Die Populisten aber beherrschen die Kunst, durch vorgefertigte Weltbilder und simple Schlagworte diese Antworten zu liefern. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem statt Antworten plötzlich Befehle kommen – und der Mensch sich das Recht nimmt, ihnen zu gehorchen.

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