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Vera Mair am Tinkhof
Veröffentlicht
am 02.04.2014
MeinungOne Song One Story

Arbeit nervt

Veröffentlicht
am 02.04.2014
Nein, das richtige Leben ist kein Zuckerschlecken. Und auch kein Campus.
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Ich musste vor Kurzem auf ein Amt, etwas abgeben. Auf das Abzugebende sollte ein Schein geklebt werden, und weil ich nicht wusste, welcher Teil davon wo genau angebracht werden sollte, dachte ich, ich lass das den Menschen am Schalter machen. Ich wollte bloß nichts falsch machen, es ist ja meist sehr heikel bei offiziellen Angelegenheiten.

Ich gab also alles an der zuständigen Stelle ab und fragte, ob das so in Ordnung gehe. Mein Gegenüber antwortete: „Normalerweise kleben Sie das Ding drauf und nicht wir“, und ich versprach, dass ich das das nächste Mal ganz sicher tun würde. Der Mann sah mich genervt und leicht böse an, riss unter Ächzen und Stöhnen zwei Klebstreifen ab und brachte den Schein wie ein kleiner Herkules an der richtigen Stelle an. „Das nächste Mal wird das aber selbst gemacht“, gab er mir als Auftrag nochmal mit auf den Weg. „Danke“, sagte ich, und ich fragte mich, ob er jetzt eine Zulage bekommt.

Es tut mir leid, Klischees bedienen zu müssen, aber ich habe selten ein Gemeindeamt gesehen, in dem nach 17.01 Uhr noch ein Lichtchen brannte. Es sind wohl keine Knochenjobs, die da verrichtet werden, und zu denen ist natürlich kein Mensch verpflichtet. Interessanterweise sind es die Berufe, die aus dem Arbeitnehmer eine respektable Person machen: Man zieht einen Anzug oder etwas in der Art an und sitzt in einem Büro. Man geht pünktlich zur Arbeit und kommt pünktlich nach Hause. Unterbreitet man Eltern den Entschluss, dass man mal in den öffentlichen Dienst will, freuen die sich auch.

Auch ein Studium hat in etwa denselben Effekt. Manche Leute lassen sich davon gern beeindrucken. „Oh, ein Studierter“, sagen sie dann, und das klingt dann so, als hätte man was vollbracht. Dabei ist es, ehrlich gesagt, nicht besonders schwierig. Man setzt sich halt hinter Bücher und lernt. Manche tun sich da leichter, manchen fällt es schwer, aber es ist immer dieselbe Prozedur. Außer Fleiß und einer normalen Portion Verstand braucht es nicht viel mehr dazu. Man muss auch nicht besonders mutig sein.
Das Ganze variiert, natürlich: Bei manchen Studien muss man sich mehr eigene Gedanken machen, bei anderen sich nur merken, was auf 500 Seiten geschrieben steht, und das bei der Prüfung möglichst wortgenau wiedergeben. Und mit Medizin- und Bauingenieurstudenten will man nicht tauschen müssen. Gegen Psychologiestudenten habe ich nichts, aber seit mein Mitbewohner mal tiefentspannt von einem Seminar zurückkam, in dem er nur die Augen schließen und auf Anweisungen des Professors Muskeln anspannen und langsam lösen musste, würde ich seine Lehrveranstaltungen auch gern freiwillig besuchen.

Als ich für einen Monat an der Uni in Kapstadt war, wohnte ich in einem Studentenhaus am Campus. Morgens kam die Putzfrau, Frühstück gab's von sieben bis elf, das Geschirr mussten wir auch nicht selber machen. Wenn die bereitgestellten Handtücher dreckig waren, legte man sie auf den Boden, und wenig später lag ein neues gefaltet auf dem zurechtgemachten Bett. Meine Mitbewohner waren Jungakademiker, so nennt man das, die an Arbeiten schrieben, die später mal veröffentlicht werden sollten. Das waren talentierte Leute und natürlich auch sehr fleißig: Sie saßen den lieben langen Tag hinter ihren Büchern, oder waren im Labor drei Meter weiter. Dazwischen wurde gegessen, und abends gab's acht Stunden Schlaf.
Im Hostel, in dem ich bei Ankunft ein paar Tage lang gewesen war, war es anders. Der Chef und die zwei Angestellten hatten, soviel ich mitbekommen habe, an akademischer Laufbahn nicht viel vorzuweisen und mit Büchern nicht viel am Hut. Sie lasen nie und lernten nicht. Stattdessen begrüßten sie Leute von überall her, machten Betten, führten Buch, trugen Koffer, unterhielten abends und tranken auch, waren morgens trotzdem wach, wechselten Lampen aus, organisierten was, putzten manchmal, und waren trotz nerviger Gäste fast nie genervt. Ich dachte mir, wenn man die in den öffentlichen Dienst stellen würde, hätte Renzi seine Stellen dort bald eingespart.

Kundenaffin und organisatorisch sehr auf Zack, so könnte man das in einem Lebenslauf verkaufen. Will man aber an den gläsernen Decken vorbei, die man nur mit dem richtigen Abschluss durchbrechen kann, nützt all diese praktische Arbeitserfahrung wohl auch nicht viel. Im Englischen gibt es die gute Unterscheidung zwischen book-wise und street-smart. Book-wise macht sich gut auf Papier. Fünf Jahre gejobbt in einem Hostel dagegen – ich weiß nicht, inwieweit sich Leute im Human Resources-Bereich davon beeindrucken lassen. Karrieretechnisch gibt es mit solchen Referenzen wohl weniger Luft nach oben als mit einem Aufenthalt im Campus-Mikrokosmos, der mit dem richtigen Leben nicht viel zu tun hat, wo einem Geschirr gespült und Betten gemacht und Taxis gerufen werden, und Scheine ohne zu Murren an die richtige Stelle geklebt werden. Das muss man später dann aber schon selber machen, da kommt man nicht daran vorbei.

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