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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 28.11.2016
MeinungFlorian Kronbichler über die Verfassungsreform

„Schlampig gemacht“

Veröffentlicht
am 28.11.2016
Am Sonntag stimmt Italien in einem Referendum über die Verfassungsreform ab. Der Abgeordnete Florian Kronbichler ist gegen die Reform. Es ist ein Nein mit vielen Vorbehalten.
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Die Regierung von Ministerpräsident Matteo Renzi hat eine Verfassungsreform auf den Weg gebracht, über die Italien am 4. Dezember abstimmen wird. Die Reform soll die Gesetzgebung vereinfachen, indem sie den Senat entmachtet. Ziel ist eine stärkere politische Stabilität. Florian Kronbichler zählt zu den Gegnern der Reform. Der Journalist, Kolumnist und Autor kandidierte 2013 für die Grünen und die SEL (Sinistra, ecologia e libertà) erfolgreich für die Abgeordnetenkammer.

Warum sind Sie gegen die Verfassungsreform?
Ich war ja schon bei allen Abstimmungen dagegen, ich bin aber kein fundamentalistischer Gegner. Wobei, ich bin fundamentalistisch in gar nichts, ich bin eher der Zweifler. Wenn das Nein gewinnt, werde ich keine Freudensprünge machen. Dass dann wieder nichts passiert, zum x-ten Mal, ist aber auch schwer erträglich.

Was gibt den Ausschlag zum Nein?
Ausschlaggebend ist die Verbindung der Verfassungsreform mit dem Wahlgesetz, dem Italicum. Das ist ein diabolisches Gemisch. Es führt zum zentralisierten Staat. Geographisch werden die Regionalautonomien ausgehöhlt, hierarchisch wird das Parlament noch mehr entmachtet und zu einer regierungshörigen Abstimmungsmaschinerie degradiert, die es heute ja schon weitgehend ist.

Was hat das Wahlgesetz mit der Verfassungsreform zu tun?
Keine Partei wird bei den Wahlen alleine auf 40 Prozent kommen. Koalitionen sind nicht vorgesehen. Also wird es eine Stichwahl geben. Am Ende kann dann etwa eine Partei mit 25 Prozent der Stimmen dank Mehrheitsbonus 55 Prozent der Sitze in der Abgeordnetenkammer bekommen. Noch dazu werden alle Spitzenkandidaten in den Wahlkreisen von den Parteien ernannt, die Vorzugsstimmen haben kaum Gewicht. Das ist schlimmer als ein Präsidialsystem. Es gibt kein Gegengewicht mehr. Auch die 2001 von Mitte-Links gewährte Föderalisierung und Regionalisierung wird total zurückgenommen.

Es ist Ausdruck politischer Unkultur in Italien, dass ein Vorschlag auf den Tisch kommt und dann jedem seine Abänderungen gewährt werden müssen, damit er zustimmt.

Der Titel des Gesetzes verheißt ja eigentlich Gutes …
Disposizioni per il superamento del bicameralismo paritario: Das wollen alle. La riduzione del numero dei parlamentari. Wer will das nicht? Wir haben vorgeschlagen, dass man auch die Abgeordnetenzahl reduziert. 200 statt 315 im Senat und 450 statt 630 in der Kammer.

Woran scheitert es dann?
Es ist Ausdruck politischer Unkultur in Italien, dass ein Vorschlag auf den Tisch kommt und dann erst jedem seine Abänderungen gewährt werden müssen, damit er zustimmt.

Was passt denn am neuen Senat nicht?
Es war ein mutiger Schritt, den Senat zu entmachten, ihn auf 100 zu reduzieren und ihm klar umgrenzte Kompetenzen zuzuweisen. Der Senat wird nicht mehr direkt gewählt, was ja in Ordnung ist. Das Gesetz ist aber so schlampig gemacht, dass ich wette, der Senat wird nie zustande kommen. Er soll aus 74 Vertretern der Regionalräte bestehen, die sehr ungerecht aufgeteilt sind. Südtirol und Trentino werden vier haben – bei einer Million Einwohner. Ligurien hat 1,5 Millionen Einwohner und bekommt nur zwei Senatoren. Klar, dass das böses Blut macht. Dazu kommen 21 Bürgermeister, wahrscheinlich der größeren Städte. Fünf Senatoren werden vom Staatspräsidenten ernannt. Die großen Regionen werden ein Übergewicht haben. Dabei weiß man nicht einmal, wie die Vertreter der Regionalräte ernannt werden. Bürgermeister und Regionalratsabgeordnete haben so schon genug zu tun. Das wird ein Feierabendsenat, ein Kommen und Gehen nach jeder Regionalratswahl. Die Senatoren bekommen kein Gehalt, da werden viele keine Zeit für den Senat finden.

Womit wird sich der Senat befassen?
Es hieß, der Senat sei für Fragen von regionaler Relevanz zuständig. Dann kamen die Europa-Agenden dazu und noch einiges mehr. Anstatt dass die Gesetzgebung vereinfacht wird – aktuell muss ja jede Kammer jedem Gesetz in identischer Form zustimmen – wird es noch komplizierter. Alle Gesetze, die die Regionen betreffen, müssen durch beide Kammern, ebenso wenn es um Europarecht, Minderheitenrechte oder allgemein Menschenrechte geht. Mit allen Gesetzen darf der Senat sich befassen, wenn soundsoviele Senatoren es wollen. Wie das gehen soll, weiß man nicht.

Die Reform soll die Gesetzgebung beschleunigen. Gelingt das?
In den dreieinhalb Jahren, die diese Legislatur jetzt hinter sich hat, hat das Parlament 256 Gesetze genehmigt. Das sind 200 zu viel, wenn man mich fragt. Was soll da noch schneller gehen?

SVP und PD sind für das „Ja“, sonst eigentlich niemand. Die SVP befürwortet die Reform, weil es darin eine Schutzklausel für Südtirol gibt. Wie bewerten Sie die Schutzklausel?
Die Schutzklausel gilt für Regionen mit Sonderstatut und nicht nur für Südtirol. Das klingt schon weniger spektakulär, doch wir wollen Karl Zeller für seine Arbeit loben! Nun wird nur noch über diese sogenannte Schutzklausel geredet. Als ob wir darüber abstimmen würden und nicht über die Verfassungsreform im Allgemeinen. Wenn man diese sogenannte Schutzklausel so hochstilisiert, als handle es sich um eine Unabhängigkeits-Charta für Südtirol, macht man sich schuldig. Weil sie das nicht ist. In der Klausel steht geschrieben: Bis zur Überarbeitung der Autonomiestatute gilt der neue Titel V der Verfassung – also die Beschränkung der Kompetenzen – für die Regionen mit Sonderstatut nicht. Daraus folgern manche: Wenn wir das Statut nicht überarbeiten, tritt die Reform für uns eben nicht in Kraft. Das ist naiv zu glauben. Es gibt inzwischen bereits den Entwurf eines „Tavolo Bressa“. Demzufolge wird letztlich das Parlament entscheiden, sollte es zu keiner Einigung kommen – wie bei jedem Verfassungsgesetz. Es ist also keine Schutzklausel, bestenfalls eine Aufschubsklausel.

Alle, die zur sogenannten Schutzklausel Ja sagen, frage ich: Wie schlecht muss denn die neue Verfassung sein, wenn man sich vor ihr so schützen muss?

Die SVP hat ein Positionspapier zur Verfassungsreform erarbeitet. Darin steht geschrieben, dass es noch nie eine Form des Einvernehmens in der Verfassung gab und das Parlament auch gegen den Willen des Landtags das Autonomiestatut abändern kann. Damit sei diese Schutzklausel ein wesentlicher Fortschritt, wird argumentiert …
Die Anpassung des Statuts muss aufgrund von Abmachungen erfolgen. Wörtlich: sulla base di intese. Nicht d’intesa, also nicht „im Einvernehmen“! Das ist sehr schwammig, von Vetorecht ist keine Rede. Nicht nur Oskar Peterlini sagt, das sei schwächer als Berlusconis Reformvorschlag von 2005. Der wurde auch von der SVP abgelehnt, enthielt aber eine Art Vetorecht. Philipp Achammer sagt, wir müssen nur auf Südtirol schauen, alles andere hat Südtirol nicht zu interessieren. Das ist naiv. Mit neidenden Nachbarn ist nicht gut leben. Wir zahlen ja jetzt schon an die Nachbarregionen, damit sie Ruhe geben. Wir schützen unsere „Außengrenzen“. Alle, die zur sogenannten Schutzklausel „ja“ sagen, frage ich: Wie schlecht muss denn die neue Verfassung sein, wenn man sich vor ihr so schützen muss? Da ist es zynisch, für sie zu stimmen. Wenn wir später das Autonomiestatut reformieren müssen, unseren Kopf nicht durchsetzen können und wie üblich nach Wien pilgern, um uns zu beklagen, werden die Wiener sagen: Ihr habt ja für die Reform gestimmt, was wollt ihr denn jetzt?

Ihr Fazit zur Reform?
Die Politik wird in den Dienst der Wirtschaft gestellt, das Parlament zugunsten einer Regierung und eines Regierungschefs entmachtet. Region ist ein Schimpfwort geworden, gleichbedeutend mit Verschwendung. Renzi holt sich alle Kompetenzen zurück. Die Regierbarkeit muss Ziel eines Wahlgesetzes bleiben, sicher. Doch die meisten der bislang 63 Regierungen Italiens sind wegen innerparteilicher Querelen zerbrochen und nicht, weil es keine Mehrheit im Parlament gegeben hätte. Es ist eine Abstimmung über Renzi geworden, und daran ist er selber schuld. Es geht jetzt nach dem Motto „O la va o la spacca“. Und ich glaube, „spacca“. Wenn Renzi gewinnt, ist er der King und wird in der Partei aufräumen.

Was ist, wenn das Nein gewinnt?
Da bin ich ein wenig überfragt. Ich denke, Renzi wird sein Amt zur Verfügung stellen und der Staatspräsident wird sagen, mach weiter. Das Wahlgesetz Italicum gilt ja nur für die Abgeordnetenkammer, der Senat würde nach dem alten Porcellum gewählt, wir hätten unterschiedliche Mehrheiten und de facto Unregierbarkeit. Man müsste zumindest ein neues Wahlgesetz machen, und dann eine ordentliche Verfassungsreform.

Und was, wenn Renzi gewinnt?
Die Italiener wählen gern Stabilität. Jeder hat halt doch etwas zu verlieren, und Stabilität ist in diesem Fall das „Ja“. Es gibt keine Katastrophenstimmung im Land. Renzi würde die Legislatur zu Ende bringen und bald den Senat noch einmal reformieren, damit er funktioniert. Es wird in Zukunft sowieso der Verfassungsgerichtshof entscheiden, wofür der Senat zuständig ist und wofür nicht.

Was passiert nach dem Referendum mit Südtirol?
Südtirol hat in den vergangen zehn Jahren im Einvernehmen mit der Regierung gut gehandelt. Kommen die Grillini an die Macht, dürften wir weniger zu lachen haben.

Wie wird Südtirol abstimmen?
Wenn das Nein gewinnt, wird auch Kompatscher Schwierigkeiten bekommen. Er hat dann beide Referenden in diesem Jahr verloren. An seinem Stuhl wird sowieso schon gesägt. Ich glaube, die SVP will, dass alles bleibt, wie es ist. Sie will keine Regierungskrise.

Sollte Renzi verlieren, könnte es Neuwahlen geben. Wird es dann wieder einen Onorevole Kronbichler im Parlament geben?
Nein. Meine Karriere ging schon viel weiter als jemals gedacht. Ich bin jetzt schon einer der Ältesten im Parlament. Es war eine schöne, interessante Zeit. Im Februar wird die Legislatur vier Jahre alt. So oder so, vor kommendem Herbst sind Neuwahlen schwer möglich.

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