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Veröffentlicht
am 13.02.2018
PRLeuteBuch-Tipp

Erlebnisse eines Optantenkindes

Veröffentlicht
am 13.02.2018
Die sogenannte Option stellte die deutschsprachigen Südtiroler 1939 vor die Wahl, ins Deutsche Reich auszuwandern oder in einer faschistisch unterdrückten Heimat zu bleiben. Josef Feichtinger schildert in „Flucht zurück“ eindrücklich seine Kindheitserlebnisse aus dieser Zeit.
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Kindheitsfotos von Josef Feichtinger

Die Familie Feichtinger entscheidet sich in der Südtiroler Optionsfrage 1939 für das Auswandern ins Deutsche Reich. Literarisch verdichtet und doch in scharfen, ungeschönten Erinnerungs-Bruchstücken, blickt Josef Feichtinger (Jahrgang 1938) heute im Buch „Flucht zurück“ auf seine Auswandererkindheit der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahre zurück. So stark im Buch die Bindung zu seiner Mutter zum Ausdruck kommt, so schemenhaft bleibt der Vater: Er ist fort, an der Front, und wird von dort, bis auf einen kurzen Heimaturlaub, nicht zurückkehren. In Oberösterreich findet Mutter Feichtinger noch während des Krieges eine Anstellung bei einem Großbauern – einem überzeugten Nazionalsozialisten. Das lässt er seine Untergebenen täglich spüren. Feichtinger erinnert sich in „Flucht zurück“ an einen beinahe fatalen Zwischenfall:

Im Hakenkreuzparadies

Mutter hatte im Dienste nobler Meraner Kurgäste etwas Englisch gelernt, deshalb war sie dem Nazibauern Lettner zugeteilt worden: Sie war „Einsatzleiterin“ für zehn Zwangsarbeiter, über die er verfügte. Freie Wohnung und Holzbezug waren damit verbunden. Dass die zehn „Polacken“, wie sie von uns allen genannt wurden, Polen waren, war niemandem bewusst. Da einer von ihnen, ein Lehrer, ein bisschen englisch stotterte, war eine Verständigung möglich. Die zehn hausten in einem Nebengebäude, einem aufgelassenen Stall mit einem alten Eisenofen und einer zerbeulten Badewanne, schliefen auf Strohballen mit rauen Decken und bekamen ihre Mahlzeiten in einem großen Holzbottich, den eine Küchenhilfe zu besorgen hatte.

Mutters Stellung war seltsam: Eine Frau der „Herrenrasse“ beherrschte zehn männliche versklavte „Untermenschen“. Sie hatte keine Probleme mit der Autorität, obwohl sie keine Waffe trug. Die Gefangenen hatten im zentralen Lager in Linz erfahren, dass Fluchtversuch oder Arbeitsverweigerung tödlich waren und hatten, wie aus Gesprächsbrocken zu kombinieren war, deutsche Grausamkeit gekostet. Da Mutter manchmal, mit Hilfe der Bäuerin, eine „Zusatzfütterung“ organisierte, genoss sie geradezu Verehrung unter den armen Kerlen.

So stellte sich der damals fünfjährige Pepi Feichtinger 1943 die Alpenländer vor.

Hierher gehört die Geschichte von der Armbinde: Der Lettner, der gerne den Vorgesetzten spielte, verpflichtete die „Polenpolizistin“ eine rote Armbinde mit Hakenkreuz zu tragen, wenn sie vor den Gefangenen auftrat. Sie verabscheute den Blutstreifen mit dem Schandkreuz, wie sie sagte, und steckte das Stoffstück in eine Außentasche ihrer Arbeitsjacke, was dem Bauern wochenlang entging. Bis eines Tages eine Parteikappe aus Linz einen Besuch machte, zu einem „Arbeitsessen“, das immer in einem Mostrausch endete. Da entdeckte der Chef Mutters bloßen Arm und brüllte. Sie zog seelenruhig den schön gefalteten Streifen aus der Tasche: „Auch das kleinste Sinnbild unserer verehrungswürdigen Nation vor Witterungsunbilden zu schützen, ist Pflicht eines echten Nationalsozialisten.“ Als alte Frau zitierte sie den Satz theatralisch aus dem Gedächtnis. Damals brachte der Mann aus Linz zuerst seinen Mund nicht auf, umarmte dann die Überraschte und gratulierte dem Bauern zu einer solchen Genossin. Er versprach, dieses Beispiel ungewöhnlicher Sorgfalt in der Lokalzeitung zu veröffentlichen.

Das geschah nicht, trotzdem hatte Mutter ihren Spaß beim Erzählen. Und immer folgte die Nutzanwendung: „Übertreibung klingt in hohlen Köpfen wie Blechmusik.“

(Auszug aus: Josef Feichtinger, „Flucht zurück“, Edition Raetia 2017)

Zum Buch:
Josef Feichtinger
Flucht zurück
Eine Auswandererkindheit
Edition Raetia 2017
Euro 17,90

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