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Irina Ladurner
Veröffentlicht
am 23.05.2017
LeuteSüdtirols Start-up-Szene

Land der Mutlosen?

Veröffentlicht
am 23.05.2017
Gründer, Investoren, Initiativen: Eigentlich alles da für eine Südtiroler Start-up-Szene. Was fehlt, ist die richtige Mentalität.
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Der Bozner Patrick Pedevilla bei seinem Auftritt in der Start-up-Sendung „2 Minuten 2 Millionen“.

Der Bozner: Wie ein verrückter Professor. Die Erfindung: Genial – oder Wahnsinn?

Es geht um alles für Patrick Pedevilla. Drei Jahre lang hat er getüftelt, 360.000 Euro in seine Idee gesteckt. Seine Idee, das ist ein faltbarer Fahrradhelm aus einer Wabenstruktur. 1,5 Tonnen wirken bei einem Sturz auf den menschlichen Kopf. Pedevillas Erfindung halbiert diesen Wert. Der Bozner hat den sichersten Sturzhelm der Welt entwickelt. Doch davon muss er die Investoren im Studio erst überzeugen – und dafür hat er zwei Minuten.

Top oder Flop? Nach diesem Motto funktioniert die TV-Show „2 Minuten 2 Millionen“ des österreichischen Privatsenders Puls4. 230.000 Fernsehzuschauer verfolgen vom Wohnzimmer aus, wie Pedevilla um ein Investment kämpft. 400.000 Euro sollen die Investoren locker machen, 10 Prozent Unternehmensanteile bietet er ihnen dafür an.

Pedevilla, 38, halblanges, angegrautes Haar, randlose Brille, ist sich des Risikos seines Auftritts bewusst. Entweder holt er sich für sein Projekt seventwenty ein Investment und wird gefeiert – oder er hat in den Augen des Publikums versagt. „Der Bozner: Wie ein verrückter Professor. Die Erfindung: Genial – oder Wahnsinn?“, so die dramatische Zwischenbilanz des Fernsehmoderators. „500.000 Euro für 26 Prozent. Take it or leave it“, bietet Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner dem Gründer schließlich an.

Start-ups wie das von Patrick Pedevilla werden immer mehr. In Europa mausern sich Metropolen wie Wien, Berlin, London oder Paris zu Hotspots der Start-up-Szene. Aber auch in Südtirol nimmt der Gründer-Hype zu. Das beobachtet Hubert Hofer. Im Gründerzentrum der IDM, dem Wirtschaftsdienstleister von Land und Handelskammer, betreut er seit 1998 Start-ups. Und auch der italienische Staat fördert seit 2012 innovative Unternehmen, indem er Investoren steuerlich begünstigt oder zinsfreie Darlehen vergibt.

Eine Untersuchung der „European Startup Initiative“ zeigt aber, dass die Szene in Italien schrumpft. Im Ausland sind Investoren offener, ist das Netzwerk größer und das Gründen einfacher. Immer mehr Gründer versuchen ihr Glück deshalb fern der Heimat. Ein Brain-Drain, mit dem auch Südtirol zu kämpfen hat.

„Unser Fokus ist international. Südtirol nehmen wir halt so mit“, sagt CEO Manuel Bruschi. Insgesamt 80 Länder bedient sein Start-up Timeular. Zusammen mit zwei weiteren Südtirolern und einem Münchner hat er einen Würfel entwickelt, der die Zeiterfassung vereinfachen soll. Gerade war das ganze Team noch in Spanien, jetzt ist Bruschi zurück in Innsbruck. Alle drei Monate trifft man sich zum Strategiemeeting an unterschiedlichen Orten, denn die Teammitglieder wohnen in Graz, München, Stuttgart oder London.

Ein Brain-Drain, mit dem auch Südtirol zu kämpfen hat.

„Die Südtiroler Gründerszene steckt gegenüber dem Trentino oder Nordtirol extrem in den Kinderschuhen.“

Harald Oberrauch

Arbeiten wo, wann und wie man will, das ist den Gründern von Timeular wichtig. Eine Freiheit, die ein Dienstverhältnis nicht bietet. Der Preis, den sie dafür zahlen: Hundert und mehr Arbeitsstunden die Woche und ein Jahr lang kein Verdienst. Erst seit September zahlen sie sich ein Gehalt aus. Zuvor finanzierten sie ihre Idee über Nebenjobs, Preisgelder und Förderungen. Mittlerweile hat das Start-up Timeular zwei Investoren an Bord und über eine Kickstarter-Kampagne über 300.000 Euro lukriert. Damit war die Produktion der ersten paar tausend Würfel finanziert. Ohne das richtige Team hätten es die Jungunternehmer wohl nicht bis hierhin geschafft. „Das ist wie bei einem Marathon. Wenn du zu viert läufst, schafft du es eher als allein“, sagt Manuel Bruschi.

Start-ups arbeiten motiviert an einer Mission und agieren schneller als etablierte Unternehmen, die das operative Tagesgeschäft bremst. Das schätzt auch Harald Oberrauch, Gründer der Tyrolean Business Angel GmbH (TBA). Als Business Angel unterstützt der Inhaber der Unternehmen Durst und Alupress vielversprechende Start-ups mit Smart Money – also mit Erfahrung, Know-how und Kontakten. In neun Start-ups ist die TBA mittlerweile investiert, darunter Unternehmen aus Israel, Spanien, Österreich und dem Trentino. Südtiroler Start-up ist keines dabei. „Die Südtiroler Gründerszene steckt gegenüber dem Trentino oder Nordtirol extrem in den Kinderschuhen“, resümiert Oberrauch.

167 Gründerunternehmen verzeichnet die Nachbarprovinz Trient laut einer Datenbank der Handelskammer. In Südtirol sind es 72 und damit weniger als die Hälfte. An den politischen Rahmenbedingungen kann das nicht liegen, denn sie sind in beiden Provinzen gleich. Harald Oberrauch sieht die Schuld bei der Mentalität der Südtiroler Investoren: „Es wird alles im Hinterhof abgewickelt, niemand soll mir in die Karten schauen. Investoren schließen sich nicht zusammen.“ Es brauche eine neue Kultur, eine Öffnung und ein Netzwerk, um die hiesige Start-up-Kultur zu fördern. Sein Ratschlag an Gründer, die auf der Suche nach einem Investor sind: „Auch außerhalb Südtirols suchen.“

Ein Weg, den Armin Oberhollenzer wählte. Auch er stellte sein Solar-E-Bike in der Show „2 Minuten 2 Millionen” vor. Und auch für ihn gab es ein Investment von Baulöwe Hans Peter Haselsteiner. „Die Anerkennung in Südtirol bekommt man erst, wenn man im Ausland Erfolg hatte“, sagt Oberhollenzer. Weil er an seine Idee glaubte, beendete er sein Angestelltenverhältnis und gründete LEAOS. Das Umfeld war für ihn während der ersten Zeit die größte Herausforderung. Immer wieder bekam er zu hören: Das klappt nicht. „Das sind Sicherheitsdenker, die so etwas nie machen würden. Die wollen kein Risiko haben“, sagt der Unternehmer.

„Die Anerkennung in Südtirol bekommt man erst, wenn man im Ausland Erfolg hatte.“

Armin Oberhollenzer

Start-ups haben das Scheitern in ihrer DNA.

Start-ups haben das Scheitern in ihrer DNA. Für Investoren wie Harald Oberrauch oder Hans Peter Haselsteiner gilt die Faustregel: Nur zwei von zehn Start-ups haben Erfolg. Und noch so ein Silicon-Valley-Mantra: In den USA bekommt man keinen guten CEO-Posten, wenn man nicht bereits eine Firma gegen die Wand gefahren hat. „Wenn man in Südtirol eine Firma an die Wand fährt, ist man der Loser. Man zeigt mit dem Finger auf dich. Das ist unsere Mentalität“, sagt Oberrauch.

Dass das Sicherheitsdenken hierzulande groß ist, zeigt die Überlebensrate von Start-ups. Die ist in Südtirol mit 87 Prozent weit höher als in den Nachbarländern. Das mag auch daran liegen, dass ihre Gründer nicht so schnell wachsen wollen. „Viele Unternehmen leben das ‚klein ist fein’“, sagt Hubert Hofer. Lieber zögerlich wachsen statt loslegen, hinfallen, aufstehen und von vorne anfangen.

Und noch etwas unterscheidet die hiesige Mentalität von Start-up Metropolen. Es fehlt am Vertrauen, am Erfahrungsaustausch – am Netzwerk. Timeular-CEO Manuel Bruschi erfährt das bei seinen Besuchen in London, München oder Wien: „Dort erzählt einem jeder sofort, sobald er eine Idee hat.“ Im Gegenzug bekommt man kritisches Feedback, bestenfalls stellt das Gegenüber auch gleich einen Kontakt her, zapft sein Netzwerk an. „Man freut sich, wenn der andere Erfolg hat. Auch wenn man selbst gerade keinen hat“, erklärt Bruschi.

Bruschi ist vor Kurzem nach Innsbruck gezogen, um näher an den Bergen zu sein. Als er noch in Graz wohnte, fuhr er zweimal im Jahr in die Heimat. Das wird sich in Zukunft wohl ändern. „Wir sind attraktiv für junge Südtiroler, die sich ihrer Heimat besinnen“, sagt Hubert Hofer von IDM Südtirol. Doch das genügt nicht: „Es fließt uns noch viel junger Geist ab.“ Denn für eine Start-up-Szene braucht es eine kritische Masse an Fachkräften und Talenten. Und die finden in Südtirol oft nicht, was sie suchen.

Als Patrick Pedevilla zur besten Sendezeit vor den Investoren steht, hat er einen langen Weg hinter sich gebracht. Er brauchte einen Ingenieur, der auf seinem Gebiet spezialisiert war und wusste nicht, wo er suchen sollte. Er suchte einen Investor und konnte nicht wissen, was der hören wollte. Er lernte viele interessante Projekte kennen und musste erkennen, dass sie es nicht schafften, sich zu vernetzen.

„Wir brauchen keine Glaspaläste. Wir brauchen konkrete Hilfe. Man muss uns helfen, Türen aufzumachen“, sagt Armin Oberhollenzer. Und das geht nur, wenn sich Investoren vernetzen, Unternehmen mit Start-ups zusammenarbeiten und sich einzelne Initiativen zusammentun. Hätte sich Oberhollenzer leichter getan, wenn er sein Start-up woanders gegründet hätte? „Es wäre eine Ausrede zu sagen, irgendwo anders geht es und hier nicht“, resümiert er. Da spricht eben ganz der Unternehmer aus ihm.

„Es fließt uns noch viel junger Geist ab.“

Hubert Hofer

Fotos

2 Minuten 2 Millionen: Gerry Frank
Harald Oberrauch

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