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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 18.07.2016
LeuteAuf Glas'l mit einer Kindergärtnerin

„Zeit, sich zu wehren“

Seit Monaten kämpft das Kindergartenpersonal für bessere Arbeitsbedingungen, Evelyn Oberrauch ist eine davon. Auch sie leidet unter der Arbeitsbelastung und dem Stellenmangel.
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Evelyn Oberrauch ist 26 Jahre alt und hat in Brixen Bildungswissenschaften studiert. Bevor sie vergangenes Jahr aussetzte, um eine Weltreise zu unternehmen, arbeitete sie drei Jahre lang als Kindergärtnerin in Bozen. Da sie nicht in der Landeshauptstadt wohnt, musste sie pendeln. Freie Stellen gab es für sie aber nur in Bozen – auch eine Folge der Missstände, die sich über Jahrzehnte in ihrem Berufsfeld angesammelt haben.

Wann ist dir aufgefallen, dass Kindergärtnerin dein Wunschberuf ist?
Mit 15 oder 16 Jahren habe ich das erste Mal auf andere Kinder aufgepasst. Das Arbeiten mit Kindern hat mir gleich großen Spaß gemacht und deswegen habe ich im darauffolgenden Sommer schon im Sommerkindergarten gearbeitet. Außerdem habe ich drei kleine Brüder und war deswegen schon früh als Aufsicht gefragt. So hat es angefangen.

Was ist das Schönste an deinem Beruf?
Man ist über neun Monate im Jahr mit diesen Kindern zusammen und in diesem Zeitraum kann man oft eine riesige Entwicklung beobachten: Wie sie am ersten Tag ankommen und oft noch ganz schüchtern sind, wie sie dann selbständig werden, sich öffnen; die Freude, die sie am Lernen und Spielen haben, die Neugierde und die Offenheit für Neues. Die Kinder sind untereinander alle gleich und haben auch noch nicht gewisse Vorurteile, die man bei Erwachsenen antrifft.

War der Alltag im Kindergarten so, wie du ihn dir vorgestellt hast, als du dich für diesen Beruf entschieden hast?
Die Praktika hab ich zuerst in den Dörfern und in der Stadt Brixen gemacht. Inzwischen arbeite ich in Bozen und da gibt es dann doch ein Unterschied, habe ich gemerkt. Die Situation in Bozen ist eine andere, es gibt mehr italienische Kinder, auch ausländische Kinder. Und die Gruppen sind auch etwas gröβer.

Gerade in Bozen ist der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund am Größten. Gibt es zuweilen auch Kommunikationsschwierigkeiten mit den Eltern oder den Kindern selbst?
Wenn wir den Bedarf haben, können wir Mediatoren anfordern, beispielsweise als Übersetzer beim Erstgespräch mit den Eltern. Aber bisher ging es meistens ohne – irgendwie verständigt man sich doch immer, auf Italienisch oder auch auf Englisch. Bei mir ging es immer auf diese Weise, aber ich kenne auch Fälle, wo man Mediatoren holen musste.

Evelyn Oberrauch mit Kindern in Kambodscha

Wie gehen die Kinder selbst mit Multikulturalismus um?
Die Kinder machen keine Unterschiede, es sind eher die Eltern, die den Kindern ihre Vorurteile weitergeben. Aber das kommt meistens auch erst später bei den Kindern an. Im Kindergartenalter sind sie alle gleich und so gehen sie auch gegenseitig miteinander um.

Bilden sich beim Spielen auch keine Gruppen?
Ob ein Kind dunkelhäutig oder einheimisch ist, spielt keine Rolle. Eher ist es so, dass die Italienischsprachigen sich mehr mit anderen Italienischsprachigen aufhalten und Deutschsprachige mit anderen Deutschsprachigen. Viele Eltern schicken ihre Kinder in einen Kindergarten, in dem nicht deren Muttersprache gesprochen wird, damit die Kinder früh mit der jeweils anderen Sprache vertraut sind. Wir im deutschsprachigen Kindergarten haben deswegen auch viele Kinder aus einem italienischen Umfeld. Diese Kinder sprechen dann aber auch im Kindergarten Italienisch untereinander und bilden eigene Gruppen.

„Die Gesellschaft und die Arbeitsverhältnisse haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt, während in den Kindergärten gar nichts passiert ist.“

Heute ist es notwendig, ein Studium zu absolvieren, um Kindergärtnerin oder Kindergärtner zu werden. Ist das wirklich notwendig, um seinen Beruf gut auszuüben, oder muss man das schon in sich tragen?
Es braucht für den Beruf sicher die Fähigkeit zur Empathie und Kommunikationsbereitschaft. Wie bei jedem Studium kann man sich auch vieles aneignen. Die eigene Veranlagung – ob man mit Kindern gut kann oder nicht – ist aber wohl ausschlaggebender dafür, ob man danach eine gute Kindergärtnerin ist.

Am 28. Juni wurde für das Kindergartenpersonal ein Übergangsvertrag abgeschlossen, der bereits fürs Kindergartenjahr 2016/2017 gültig sein soll. Dem waren viel Protest und lautstarke Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen für das Kindergartenpersonal vorausgegangen. Auch vor dem Landtag hatte man zu Hunderten manifestiert. Was bis jetzt erreicht wurde, sind eine Verringerung der Arbeitszeit auf 33 Wochenstunden (die nicht einberechneten Stunden fallen für Planung, Vorbereitung usw. an) und mindestens 40 neue Stellen, die in Aussicht gestellt wurden. Allerdings soll der Kindergarten am Freitag eine Stunde früher schließen, was zu Schwierigkeiten mit den Eltern führen könnte.

Bist du mit dem, was mit dem Übergangsvertrag erreicht wurde, zufrieden oder stehen einige Dinge noch aus?
Es sind schon noch ein paar Dinge ausständig. Die Gesellschaft und die Arbeitsverhältnisse haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt, während in den Kindergärten gar nichts passiert ist. Es ist also höchste Zeit, dass auch da jetzt nachgeholt wird, beispielsweise durch mehr Personal. Eine Gruppengröße von 25 Kindern ist allein nicht so leicht handzuhaben. Man bedenkt das oft gar nicht, aber 25 Kinder bedeuten auch 25 verschiedene Lebensgeschichten, familiäre Umstände, kulturelle Hintergründe. Und manchmal gibt es auch verhaltensauffällige Kinder, die besonders viel Aufmerksamkeit brauchen.

Warum wehrt man sich erst jetzt, nachdem man schon Jahrzehnte verstreichen ließ?
Man hat es wohl immer nur so hingenommen und versucht, das Beste daraus zu machen, bis einmal die Grenze erreicht war. Womöglich hat auch dazu beigetragen, dass es heute mehr Kommunikation zwischen den verschiedenen Kindergärten gibt, was ein geschlossenes Auftreten ermöglicht hat. So ist über unsere Facebook-Gruppe auch sehr viel passiert. Man hat nicht mehr nur im Kleinen geschimpft, sondern gesehen, dass die Probleme auch die anderen Kindergärten betreffen und dass es Zeit ist, sich zu wehren.

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