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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 07.07.2016
LeuteProfi-Rollstuhltennisspieler Ivan Tratter

„Man muss beißen“

Veröffentlicht
am 07.07.2016
Ivan Tratter spielt Tennis und übt damit eine der koordinativ und technisch anspruchsvollsten Sportarten aus. Und das im Rollstuhl. Sein Ziel: die Paralympics in Tokio.
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Ivan Tratter – talentierter Rollstuhltennisspieler.

Er ist konzentriert. Mit seinen Augen fixiert er den filzigen, gelben Ball. Gleich nach dem Aufschlag seines Trainers muss er erahnen, wo der Ball hinfliegen wird. Mal eben kurz 20 Zentimeter nach links oder rechts springen geht nicht, denn Ivan Tratter ist nach einem Rodelunfall vor fünf Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Die große Schwierigkeit sei, dass er beim Spiel ständig seinen Tennisrollstuhl anschieben muss. „Am Anfang war es für mich schwierig, weil sich die Räder dauernd bewegen“, erklärt der 24-jährige Jenesier. Das Gleichgewicht halten war eine Herausforderung. Heute merkt man ihm diese Schwierigkeiten nicht mehr an. Tratter ist wendig, schnell. In einem Satz dreht er den Rollstuhl in alle Richtungen und schmettert auch weit entfernte Bälle noch zurück.

Tratter hadert nicht mit seinem Schicksal, er hat es angenommen. „Wenn es meinen Bruder erwischt hätte, wäre das für mich zehn Mal schlimmer“, sagt er. Und schließlich sei er ohne seinen Unfall jetzt Maurer und nicht Tennisprofi. Jeden Tag verbringt er auf dem Tennisplatz oder in der 600 Quadratmeter großen Tennishalle in Marling. Auch wenn er gesundheitlich mal angeschlagen ist. „Man muss sehr hart beißen, wenn man etwas erreichen will“, sagt er. Sein großer Traum, dieses Jahr an den Paralympics in Rio teilzunehmen ist geplatzt, doch das hindert ihn nicht daran, weiter zu kämpfen und hart zu trainieren. Sein nächstes Ziel ist die Weltrangliste hochzuklettern, sein nächster großer Traum die Team-Weltmeisterschaften in Sardinien zu gewinnen und vor allem endlich die Teilnahme an den Paralympics in Tokio zu schaffen. Vier Jahre hat er Zeit für diesen Traum zu kämpfen.

„Am Anfang war mein Zustand so schlecht, dass ich nicht mal gemerkt habe, dass ich meine Beine nicht bewegen kann.“

Fünf Jahre vorher. Es ist der 15. Jänner 2011. Der Tag, der das Leben des jungen Mannes komplett verändert. Zusammen mit Freunden war der damals 19-Jährige Mondscheinrodeln in Reinswald. Anschließend feiern sie ausgelassen im Iglu an der Bergstation. „Wir hatten keine Rodel mit, deswegen haben wir eine der orangefarbenen Schutzmatten um den Liftsäulen abmontiert und sind damit die Skipiste hinuntergefahren“, erzählt Tratter heute von dem schicksalhaften Abend. Erinnern kann er sich nicht daran. Nicht an den Unfall und nicht an den ganzen Tag.

Nach der halben Strecke kracht Tratter mit voller Wucht gegen einen Baum. Zehn Tage lang liegt er im Koma. Schädel-Hirn-Trauma, mehrere Rippenbrüche, das Rückenmark ist gequetscht. Mehr Knochen im Körper des jungen Mannes sind gebrochen als unversehrt. Diagnose: Querschnittslähmung 8. und 9. Brustwirbel. Tratter ist ab dem Bauchnabel gelähmt.

Er beginnt zu kämpfen

„Am Anfang war mein Zustand so schlecht, dass ich nicht mal gemerkt habe, dass ich meine Beine nicht bewegen kann“, erinnert sich Tratter. „Ich konnte es anfangs nicht glauben, als die Ärzte sagten, ich kann nie wieder laufen. Ich dachte, das wird alles wieder, das schaffe ich schon irgendwie.“

Es kommt die schwerste Zeit seines Lebens. Die ersten drei Monate liegt er im Bett, kann sich nicht bewegen. In dieser schwierigen Situation schöpft Tratter aber neuen Mut. Er sieht es als Glück, dass er die schweren Verletzungen überhaupt überlebt hat. Jeden Tag geht es ihm ein bisschen besser, es zeigen sich kleine Erfolge, wie „als ich zum ersten Mal aufrecht sitzen konnte.“ Das spornt den jungen Mann an. Er beginnt zu kämpfen.

Woher er seine Kraft damals genommen hat, weiß er bis heute nicht. Familie und Freunde unterstützen ihn. Dreieinhalb Monate verbringt er in einer Rehaklinik. Dort bereitet er sich auf sein neues Leben vor. Er lernt mit dem Rollstuhl umzugehen und alltägliche Dinge, wie alleine ins Bett zu kommen und zu duschen. Und er hört zum ersten Mal von Rollstuhltennis. Nach vier Tagen zu Hause beginnt Tratter bereits mit dem Training.

Schon als Kind waren Ballsportarten „sein Ding“. Mit 13 Jahren spielt er seine ersten Tennisturniere. Danach interessiert ihn Fußball mehr. Den Sport kann er durch seinen Unfall nicht mehr ausüben, Tennis rückt wieder an die erste Stelle. „Tennis gibt mir viel und es gefällt mir, dass man auf dem Platz auf sich alleine gestellt ist“, sagt Tratter.

Insgesamt 30.000 Euro kostet ihn sein Sport im Jahr mit Einschreibungen, Training und Reisekosten. Alleine wäre das nicht zu stemmen. Einen Großteil der Kosten tragen Sponsoren und vor allem private Spender.

Heute steht er auf der Weltrangliste im Einzel auf Platz 81, im Doppel auf Platz 62. In der italienischen Rangliste dritter im Einzel und erster im Doppel.

Gesundheitliche Probleme im vergangenen Jahr haben ihn etwas zurückgeworfen, dennoch mischt er diese Saison bei den Turnieren wieder ganz vorne mit. In drei internationalen Turnieren hat er zweimal das Viertelfinale erreicht, einmal gewonnen. Im nationalen Turnier in Palazzolo belegte er Platz zwei, auf Elba den ersten Platz. Und er holte sich den Titel Vizeitalienmeister.

Konzentriert und fokusiert: Tennis ist koordinativ und technisch eine der anspruchsvollsten Sportarten.

Damit er an den Erfolgen anknüpfen kann, trainiert er jeden Tag zwei Stunden mit seinem Trainer Alessandro Daltrozzo. Physisches, psychisches und mentales Training. Vor allem im Winter ist die Arbeit hart. In dieser Zeit muss sich Tratter auf die kommende Saison vorbereiten. Während den Spielen ist die Vorbereitung weniger spezifisch, denn er darf sich nicht überanstrengen. Die Energie muss für die rund 20 internationalen Turniere reichen. „Und schließlich bin ich auch nicht mehr 20“, sagt Tratter und lacht.

Die Reisen rund um die Welt sind anstrengend, zeitintensiv und vor allem kostspielig. Insgesamt 30.000 Euro kostet ihn sein Sport im Jahr mit Einschreibungen, Training und Reisekosten. Alleine wäre das nicht zu stemmen. Einen Großteil der Kosten tragen Sponsoren und vor allem private Spender. „Zwei haben sogar anonym mehrere Tausend Euro gespendet. Das ist Wahnsinn“, sagt Tratter. Auch sein Arbeitgeber helfe ihm enorm, sagt er. Er bekomme alle Freiheiten, damit er trotz Job täglich trainieren kann. Seinen vielen Unterstützern ist Tratter sehr dankbar, sie ermöglichen es ihm, weiter zu trainieren. Und er wird weiter „beißen”, um seinen Traum zu leben.

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