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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 12.11.2015
LeuteInterview zum Freihandelsabkommen

„Ein Wolf im Schafspelz“

Veröffentlicht
am 12.11.2015
Das Freihandelsabkommen TTIP soll die europäische Wirtschaft ankurbeln: Der Querdenker Markus Lobis spricht dagegen von „faschistoiden Regulatorien“.
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Das Ziel ist kein kleines: Seit zwei Jahren verhandelt die USA mit der EU ein neues Handelsabkommen, das die größten Freihandelszone der Welt bilden soll. Konkret sollen Zölle abgeschafft, Handelshemmnisse abgebaut und somit die Kosten für den Handel gesenkt werden. Die beiden Vertragspartner versprechen sich davon Wirtschaftswachstum. Doch die Verhandlungen stehen von Anfang an unter kritischer Beobachtung, bemängelt werden vor allem die intransparenten Verhandlungen und die geplante Einführung von Schiedsgerichten. Der Brixner Markus Lobis ist einer von denen, die sich mit dem Abkommen beschäftigen, er ist das, was man einen engagierten Bürger nennt. Nicht einer von denen, die sich selbst so schimpfen, um Wir-sind-das-Volk-Geschrei zu untermauern, sondern tatsächlich: ein engagierter Bürger. Auf seinem Blog Zigori Media kommentiert er das Welt- und Südtirol-Geschehen, er nimmt an Podiumsdiskussionen teil, hält Vorträge und mit der Bürgerinitiative Demos will er frischen Wind nach Brixen bringen. Seit das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA diskutiert wird, verfolgt Lobis die Thematik. Und er weiß: Dieses neue Handelsabkommen betrifft uns mehr, als uns lieb ist. Im Interview erklärt er, was ihn zum TTIP-Gegner macht.

Markus Lobis

Wenn es morgen eine Volksabstimmung geben würde, in der wir über das Freihandelsabkommen abstimmen dürften, würden Sie mit Ja oder Nein stimmen?
Ich wäre eindeutig und klar dagegen, weil das Abkommen den Rahmen und das Konzept des Freihandels weit hinter sich lässt. TTIP würde die staatliche Souveränität, die Demokratie und den Konsumentenschutz sehr stark beeinträchtigen – und das alles zugunsten einiger starker Konzerne. Aber die Frage ist irrelevant, da TTIP keiner Volksabstimmung unterzogen werden kann. Momentan weiß man noch gar nicht, wer schlussendlich über das Abkommen entscheiden wird.

Darüber sollen doch das europäische Parlament und alle Nationalstaaten abstimmen, oder nicht?
Das wäre schön, aber es gibt verschiedene Rechtsgutachten dazu. Die Nationalstaaten müssen das Abkommen nur dann absegnen, wenn es sowohl EU- als auch staatliche Kompetenzen berührt. Ich habe den Eindruck, dass es den Staaten gar nicht so unrecht wäre, wenn nur das europäische Parlament entscheiden würde – so könnten sie den schwarzen Peter der EU überlassen. Ich hoffe, dass es nicht so weit kommt. TTIP würde sonst zu einem sehr arroganten Akt der Regelsetzung, der außerdem demokratisch nicht legitimiert wäre und tief in unseren Alltag eingreifen würde.

Inwiefern würde TTIP denn in unseren Alltag eingreifen?
Neben vielen fragwürdigen Bestimmungen und Regelungen gibt es zwei sehr bedenkliche Aspekte, die mit TTIP verbunden sind: den Investorenschutz, verbunden mit den Schiedsgerichten und den Rat der regulatorischen Kooperation. Unter dem Investorenschutz versteht man das Recht der Unternehmen, Staaten auf Schadensersatz zu klagen, wenn beispielsweise durch ein Gesetz der aktuelle oder auch nur der hypothetische Gewinn des Unternehmens beschnitten wird. Dieser Investorenschutz würde über internationale Schiedsgerichte geregelt, die aus drei Anwälten bestehen, die jenseits der regulären Gerichtsbarkeit schwer wiegende Urteile erlassen können und gegen deren Urteile es keine Berufungsmöglichkeit gibt. Amerikanische Rechtsanwälte würden unheimliche Macht bekommen, unabhängig von staatlicher und rechtlicher Kontrolle. Der Investorenschutz wäre somit ein Instrument der Bereicherung und des Drucks, das die Gestaltungsmöglichkeiten der Regierungen enorm einschränkt. Konkret würde das bedeuten, dass wir als Steuerzahler den Verlust oder – noch schlimmer – einen hypothetischen Verlust von Unternehmen ausgleichen müssten, der nicht mal sehr fundiert dokumentiert werden müsste. Der Investorenschutz muss unbedingt raus, darüber braucht man gar nicht sprechen. Das gehört sich einfach nicht, wenn solide und demokratisch verfasste Rechtsstaaten Abkommen miteinander aushandeln.

„Meiner Meinung nach ist dieses Abkommen ein Wolf im Schafspelz. “

Und was kann man sich unter dem Rat der regulatorischen Kooperation vorstellen?
Der Rat der regulatorischen Kooperation hätte die Aufgabe, zukünftige Gesetze der verschiedenen Staaten auf ihre TTIP-Kompatibilität zu prüfen. Konkret würde das bedeuten, dass jeder Gesetzesvorschlag, der im Entferntesten mit Freihandel, Wirtschaftskooperation oder Marktregelung zu tun hätte, dem Rat vorgelegt werden müsste. Einem Rat, der nicht demokratisch legitimiert ist! Politiker würden in Zukunft also Gesetze machen, die von vorne herein an Buchstaben und Geist des TTIP angepasst sind. Das kann doch nicht sein! Das sind einfach absolut arrogante und faschistoide Regulatorien.

Was sehen Sie in TTIP?
Meiner Meinung nach ist dieses Abkommen ein Wolf im Schafspelz. Das Abkommen kommt unter dem Aufhänger des Freihandels daher, dem man ja durchaus einiges Positives abgewinnen kann, beinhaltet aber jede Menge Regelungen, die weit darüber hinausgehen. Im Endeffekt geht es darum, die internationalen Regeln des Wirtschaftsaustausches zugunsten großer Player zu verändern.

Wer sind diese Player?
Das sind ein paar Dutzend wichtige Treiber der Weltwirtschaft, vor allem der Finanzwirtschaft, die sich zusammenschließen und die über die gesamte Welt verteilt sind. Ihr Bündnispartner ist der Neoliberalismus, der den Treibern sehr viel Energie gibt.

Was verstehen Sie unter Neoliberalismus?
Knapp zusammengefasst geht der Neoliberalismus davon aus, dass es unbegrenztes Wirtschaftswachstum gibt und dass die Kraft der Märkte dieses Wachstum alleine generiert. Deshalb soll der Staat nicht eingreifen, er wird eher als eine Betriebsabteilung des Konzerns gesehen. Meiner Meinung nach ist der Neoliberalismus eine politische Ideologie, die auf Dogmen aufbaut, welche nicht hinterfragt werden dürfen. Durch dieses System werden nämlich nur einige Wenige reich. Es gibt ja die so genannte Rossäpfel-Theorie. Die besagt, dass wir, wenn wir das Pferd Wirtschaft nur ordentlich füttern, vom Mist leben können, den das Pferd produziert. Davon halte ich rein gar nichts.

In letzter Zeit mussten Staaten aber verstärkt in die Wirtschaft eingreifen, weshalb immer wieder betont wird, dass die Finanzkrise den Neoliberalismus widerlegt hat.
Spannende Annahme, da könnte was dran sein. Es stellt sich tatsächlich die Frage, ob wir noch vom Neoliberalismus sprechen, wenn wir so starke staatliche Eingriffe haben. Was ich schon sehe, ist, dass auf zivilgesellschaftlicher Ebene tatsächlich ein Umdenken stattfindet, wobei noch absolut offen ist, in welche Richtung das geht. Ich denke generell, dass wir in einer Situation sind, die sehr kritisch ist. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob es einen ökosozialen Wandel oder eine autoritäre Wende geben wird. Wenn Zäune gebaut werden, Züge generalstabsmäßig von Polizisten durchsucht werden, dann fürchte ich aber, dass die autoritäre Wende gerade ins Laufen kommt.

„Es handelt sich hier nicht um einen Kampf zwischen uns und den USA, sondern um den Kampf der Bürger der USA und der EU gegen Großkonzerne und Wirtschaftslobbies.”

Zurück zu TTIP: Laut verschiedenen Prognosen würde Europa eigentlich davon profitieren.
Konzernnahe Einschätzungen prognostizieren ein minimales Wachstum von unter 0,05 Prozent pro Jahr, neutrale Einschätzungen gehen hingegen vom Gegenteil aus. Wir müssen uns bewusst sein, dass durch das Freihandelsabkommen die Kaufkraft zwar etwas ansteigen könnte, die Reallöhne aber weiter sinken dürften. Das Abkommen ist unterm Strich also kein Vorteil für die breite Masse der Bevölkerung.

Inwiefern kann man ein Freihandelsabkommen kritisieren, zu dessen Text die Öffentlichkeit gar keinen Zugang hat?
Wir wissen, um was es im Abkommen geht, weil es immer wieder Leaks gibt, welche uns Einblicke in das Abkommen ermöglichen. Außerdem veröffentlichen einige Verhandlungsteilnehmer ihre Positionen. Beispielsweise hat der amerikanische Schweinezüchterverband bekannt gegeben, dass es sein erklärtes Ziel ist, dass mit Ractopamin behandeltes Fleisch in der ganzen Freihandelszone verkauft werden darf. Ractopamin ist ein Wachstumshormon, das nur in zwei, drei Ländern der Welt zugelassen ist, und in der gesamten EU aus gesundheitlichen Gründen verboten. Hier erkennt man schon, welche Dimensionen dieses Abkommen einnimmt.

China verhandelt momentan mit den ASEAN-Ländern, die USA hat mit Kanada und anderen Ländern bereits Freihandelsabkommen geschlossen. Verlieren wir nicht den Anschluss?
Man droht uns damit, dass man uns überholt, aber das wird nicht passieren, sondern das Sozialdumping wird einfach weiter verstärkt. Im Endeffekt haben wir schon bei der Bildung der Europäischen Union gesehen, dass zwar ein freier, aber nicht fairer Markt geschaffen wird. Das Problem an der ganzen Sache ist, dass ein Freihandelsabkommen an und für sich ja eine gute Sache wäre – es im Abkommen aber um etwas komplett anderes geht. Wenn wir die Zölle abbauen und die technischen Standards anpassen möchten, bräuchten wir kein so tiefgreifendes Abkommen. Da könnten sich auch einfach die Handelskammern zusammensetzen oder die Normierungsbehörden.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welcher wäre es?
Ich würde mir wünschen, dass eine europäische Öffentlichkeit entsteht – und wir uns besser mit gleichgesinnten Amerikanern vernetzen. Es handelt sich hier nicht um einen Kampf zwischen uns und den USA, sondern um den Kampf der Bürger der USA und der EU gegen Großkonzerne und Wirtschaftslobbies.

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