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Irina Angerer
Veröffentlicht
am 08.04.2024
LebenSocial Media Trends

TikTok im Kleiderschrank

Veröffentlicht
am 08.04.2024
Ihr Tag ist strukturiert, ihre Haut klar, sie schaffen es zum Sport und trinken jeden Abend einen Kräutertee. Die sogenannten „Clean Girls“ bieten in Zeiten von Ultra Fast Fashion jungen Frauen Orientierung und Halt. Feminist:innen kritisieren: „Clean Girls zerstören unser Leben.“
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Falls Sie über 40 Jahre alt sind, dann werden sie folgende Begriffe wahrscheinlich nicht kennen. Falls Sie jünger sind, dann sind sie vielleicht selbst ein „Clean Girl“ oder eine „Mob Wife“. Oder aber Sie kleiden und schminken sich ganz im Stil von Balletcore, Coquettecore, Dark Academia, Light Academia, Cottagecore, Y2K oder Vanillacore: TikTok und andere sozialen Medien sind voll mit Videos von jungen Frauen und Mädchen, die unter den Hashtags #ootd (Anm.d.Red.: damit ist „outfit of the day“ gemeint) und #inspo von oben bis unten top gestyled zu passender Musik vor der Kamera posieren, die zeigen, welche Lidschattenpaletten sie für welchen Anlass verwenden und wie der Lippenstift dieser einen Marke perfekt zur Handtasche passt.

Doch immer mehr Feminist:innen stören sich an den durch die Videoplattform gepushten Schönheitstrends. Vor allem der über Monate gehypte „Clean Girl“-Trend wurde online heftig kritisiert. Erst vor kurzem veröffentlichte die Influencerin Kayla Shyx ein 30-minütiges Video mit dem Titel Wie ‘Clean Girls’ unser Leben zerstören. Darin parodierte sie den Trend und transformierte sich vor der Kamera in ein Clean Girl. Viele junge Frauen fühlten sich durch die Witze über ihr Aussehen angegriffen, weshalb Kayla das Video mittlerweile gelöscht hat. Aber was genau sind “Clean Girls” und zerstören sie wirklich unser Leben?

Ein Clean Girl ist niemals schlecht gelaunt oder müde, ihre Haut ist makellos, das Make Up wirkt simpel, auch wenn oft minutenlang dafür gepinselt wurde. Das Haar ist meist nach hinten gekämmt und in einem perfekten „Sleek Bun“ zusammengebunden, an ihren Ohren und um den Hals trägt das Clean Girl Goldschmuck. Es ist häufig in Weiß, Beige oder Pastell gekleidet, trägt Rüschentops mit kleinen Blümchenmuster oder zweiteilige Sportsets, es läuft in Sneakern oder Ugg Boots. Das Clean Girl sitzt auf einem fluffigen runden Sessel oder vor einem Schminktisch, daneben eine Keramikvase mit Pampasgras. Das von Licht durchflutete Zimmer ist aufgeräumt und minimalistisch – clean halt. Allein auf Tiktok hat der Begriff „Clean Girl“ über 750 Millionen Views. Hollywood-Models und Vorbilder vieler junger Frauen und Mädchen wie Hailey Bieber oder Bella Hadid haben den Trend bereits 2022 aufgegriffen und Mainstream gemacht.

Wer kein „Clean Girl“ ist

Im ersten Moment wirkt der Trend nicht unbedingt problematisch. Die Botschaft ist klar: Wenn man diese Videos verfolgt und nachahmt, dann wird man vielleicht dem derzeitigen Schönheitsideal entsprechen – sprich „schöner“ sein. Aber auch wenn das Clean Girl Natürlichkeit propagiert, steckt hinter dem Stil aufwendige Schönheitsarbeit, wie auch zahlreiche Videos auf Tiktok demonstrieren. Influencerin Alexis Jacobo veröffentlichte ein Video unter dem Hashtag #cleangirlaesthetic in dem sie ihre „3 hour night routine“ präsentiert: Sie zeigt darin jeden Schritt ihre Skincare-Routine, wie sie ihre Beine pflegt und die Haare super weich bekommt. Sie zeigt auch, wie sie Kräutertee aufbrüht, ein Schaumbad nimmt, wie sie sich schon ordentlich zusammengelegt die Kleidung für den nächsten Tag auf dem Bett drapiert und anschließend noch in ihr Tagebuch schreibt.

@juhcobo

3 hour night routine 🌸 #cleangirlaesthetic#lifestyleaesthetic#aesthetic#grwm#nightroutine

♬ girls just want to have fun – sped up sounds

Dabei verwendet sie Produkte, die sich nur Menschen aus der oberen Mittelschicht auf Dauer leisten können. Auch das kritisieren viele User:innen am Trend. Das Clean Girl grenzt sich bewusst oder unbewusst von der Arbeiterklasse ab. Die TikTok Userin morethangossip sagt in einem ihrer Videos: „Wenn es erst mal nur inspirieren soll, ist ja auch alles kein Problem. Aber wenn man auf seiner ForYou-Page (Anm. d. Red.: so wird in sozialen Netzwerken die Seite mit personalisierten Vorschlägen genannt) nur solche Vlogs von Clean Girls hat, setzt einen das eventuell unter Druck, weil dieser Lifestyle für einen selbst nicht realistisch ist.“

@morethangossip

Kayla Shyx hatte einen guten Ansatz mit ihrem Videotitel!! Ja, der Inhalt von ihrem Video war dann irgendwie völlig anders, aber das ist mal ein guter Anlass um den „Clean Girls“ Trend zu diskutieren. Inspiriert es euch? Stresst es euch? #cleangirl#cleangirls#cleangirlaesthetic#cleangirlmakeup#kaylashyx#kayla#kaylashyxstatement#kaylashyxcleangirl#kaylacleangirls#kaylashyxvideo#kaylashyxstatement#statement#kaylashyxrezo#morethangossip#morethangizem

♬ Sneak, suspicious, stupid, thief, sneak in(1108491) – Makotti

Das Clean Girl ist in der Regel weiß, schlank und normschön. Schwarze Frauen, mehrgewichtige Frauen oder Frauen mit Behinderung kommen kaum bis gar nicht in dem Trend vor. Eine Userin namens its.katouch_ kritisiert in einem Video, dass der Schönheitstrend anti-black sei, da er sich nur an diejenigen Frauen richtet, die sich an gängige Schönheitsideale halten. Er orientiere sich an dem historischen Ideal, dass Frauen „rein“ und ohne jeglichen Makel sein sollten. Auch Lori Baker-Sperry, Professorin für Women’s Studies, argumentiert: „Das ,weibliche Ideal‘ ist eine komplexe Form sozialer Kontrolle, bei der du dich einerseits gestärkt fühlen kannst, wenn du diese Ideale ‚erfolgreich‘ verkörperst. Andererseits weißt du, dass es bedeutet, nicht als Frau wahrgenommen zu werden und dafür bestraft zu werden, wenn du ihnen nicht folgst. (…) Niemand möchte ausgegrenzt, misshandelt oder wegen seiner Existenz angegriffen werden.“

Ähnlich ist auch die Botschaft von Philosophieprofessorin Mariana Ortega. In ihrem Essay „Being Lovingly, Knowingly Ignorant: White Feminism and Women of Color“ beschreibt sie das Konzept einer „arroganten Wahrnehmung“. Der „arrogant perceiver“ bestimmt, was eine Frau „gut“ oder wertvoll“ macht, bestimmt wie sie sich zu verhalten und zu kleiden hat. Ortega argumentiert, dass Frauen, welche in einer arroganten Beobachtung selbst involviert sind, das aus dem Grundbedürfnis heraus tun, im Patriarchat zu überleben. All das befeuert ein System aus Hierarchien und hoffnungslos unerreichbaren Wünschen. Es unterstützt das Mantra „Selbstkorrektion als Befreiung“ anstatt einer „System-Korrektur“. Das bedeutet, dass Frauen selbst manchmal arrogant gegenüber anderen Frauen sind, weil sie Angst haben, nicht beachtet zu werden. Sie denken, dass sie nur in einer Gruppe, in der alle einig sind, wichtig sind und sie schließen Frauen aus, die anders sind.

Wie TikTok die Fashion Industrie pusht

Die Generation Z ist überall: in der Pop Kultur, im politischen Diskurs und in unserem Schrank und Kulturbeutel. „Just as every generation channels the zeitgeist of its time into its aesthetics, so has Gen Z transformed the world of fashion” schrieb das polititische Magazin „The Progressive“ in einem im vergangenen Jahr erschienen Artikel. Skinny Jeans sind ein gutes Beispiel für die Ästhetik der Gen Z. Diese tragen nun nur noch „uncoole Millennials“, es lebe die Baggy-Jeans – sind sich zumindest die nach 1996 Geborenen einig. Und wie mit jedem neuen Zeitgeist, hat auch die Fashion Industrie neue Wege gefunden, die Konsument:innen zu erreichen und sie dazu zu bringen, die Waren zu kaufen.

Was sich nie geändert hat: Menschen wollten immer schon „im Trend“ sein. Während sich Kleidung und „Shopping“ früher sehr an den Jahreszeiten und damit einhergehenden Temperaturen orientierte, änderte sich das in den 1990er Jahren. Ketten wie Zara und H&M eroberten die Innenstädte und Kaufhäuser dieser Welt und boten alle paar Wochen immer wieder neu kreierte Kleidungsstücke. Das führte zu einem Wachstum an Konsum und war der Beginn des Zeitalters der „Fast Fashion“. Inzwischen wurde der Begriff bereits von „Ultra Fast Fashion“ abgelöst. Marken wie SHEIN liefern fast ausschließlich online und ergänzen ihr Sortiment täglich mit bis zu 1.000 – 9.000 neuen Stücken. Damit passt die Marke zur Schnelllebigkeit der Video-Plattform TikTok. Trends werden dort wochenlang hochgepuscht, nur um kurz darauf wieder für immer zu verschwinden. SHEIN ist laut Schätzungen mittlerweile 100 Milliarden Dollar wert, das ist mehr als Zara und H&M zusammen.

Wer bin ich, wie möchte ich leben

Clean Girls verkauft einen Lebensstil und nicht nur einen Blazer. Und dennoch: ihre Zeit scheint nun vorbei zu sein. Den reinen, sauberen, perfekten Frauen, folgen nun die sogenannten „Mob Wives“ (zu deutsch: Mafiabräute). Sie lieben dramatisches Make-up und tragen falsche Pelzmäntel und Lederhosen. Auch Leopardenmuster, schwerer Goldschmuck, voluminöse Frisuren und auffällige Sonnenbrillen gehören zum Trend. Die „Mob Wife“ wirkt wie ein feministischer Gegenentwurf zum reinen Clean Girl. Allerdings ließ auch hier die Kritik nicht lange auf sich warten. Die „Mob Wives“ zeigen eine stereotype Darstellung von Frauen in Mafia-Filmen wieder. Soll eine Organisation unterstützt werden, die weder liberal noch feministisch ist? Dürfen dem Trend nur Italiener:innen folgen, weil es ansonsten diskriminierend wäre, wie sich einige User:innen empörten? Und können wir im Jahr 2024 überhaupt noch Leopardenmuster und Pelzmäntel tragen?

Fast alle dieser Trends haben Influencer:innen, die dem jungen Publikum bewusst oder unbewusst sagen: Das ist schön, das wird dein Leben besser machen. Sie bieten Angebote in Zeiten von Krieg und Klimawandel. Lenken ab von dem Gefühl, keine Kontrolle darüber zu haben, was als nächstes passiert. Denn wer dreimal die Woche Sport macht und jeden Tag vor dem Einschlafen seine Kleidung sortiert, hat weniger Zeit darüber nachzudenken, was in der Öffentlichkeit und Politik passiert. Unseren Körper, unsere Haare, unseren Alltag, das können wir kontrollieren. Den Krieg nicht. Zudem helfen die Trends auch dabei, sich im jungen Alter zu orientieren und sich selbst die Frage zu stellen: Wer bin ich und wie möchte ich leben?

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