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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 11.07.2014
LebenEin Jahr ohne Kleiderkauf

Nein zum Konsum

Veröffentlicht
am 11.07.2014
Ein Jahr, ohne auch nur ein Kleidungsstück zu kaufen. Anna Viktoria Gruber wagt den Versuch des Konsumboykotts. Die Bilanz nach sechs Monaten.
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Anna Viktoria Gruber trägt ein dunkelblaues, knielanges Kleid und ein gleichfarbiges Hemd mit weißen Punkten. Das Kleid hing über ein Jahr irgendwo in ihrem Kleiderschrank, ein Geschenk einer Bekannten, bis heute war es ungetragen. Die Bluse hat sie sich voriges Jahr irgendwann einmal bei H&M gekauft. Darauf ist sie heute nicht mehr stolz.

Anna ist eine langjährige Freundin. Neulich hat sie zum ersten Mal ihr Experiment erwähnt: ein Jahr ohne Kleiderkauf. Heute wird sie beim gemeinsamen Brunch von ihren Erfahrungen berichten. Sechs Monate zieht sie ihr Vorhaben bereits konsequent durch. Keine Hosen, keine Pullover oder T-Shirts, Röcke, Kleider oder Schuhe, Strumpfhosen und auch keine Haargummis oder Socken. Ihre Bilanz: „Man wird viel freier im Kopf.“

Anfangs wusste sie noch nicht, dass es auch andere Leute gibt, die so etwas gemacht haben. Eine von ihnen ist Nunu Kaller, die über ihr Jahr ohne Kleiderkauf ein Buch geschrieben hat. Anna trinkt einen Schluck Kaffee und erzählt, wie sehr es sie anwidert, wenn sie bestimmte Geschäfte betritt. Es gebe dort viel zu viel. Und vor allem zu viel, was man nicht brauche. Schaue man dann auf den Preis, sei klar, dass es ohne Ausbeutung nicht geht. „Ich ziehe mich auch gerne schön an, kann es aber nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, zu wissen, dass ich das nur so billig haben kann, weil es anderen schlecht geht", erklärt die 25-Jährige.

Kaufen als Lebensinhalt

Jeder weiß, dass es bei Billigmode nicht fair zugehen kann. Vor kurzem sollen drei Kundinnen der irischen Billigmodekette Primark in Kleidung eingenähte Hilferufe entdeckt haben, in denen sich asiatische Textilarbeiter über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen beschwerten. Auch wenn mittlerweile Zweifel an der Echtheit der Hilferufe bestehen, ändert das nichts an der Wahrheit der Aussage. Fakten bestätigen: lediglich 0,5 bis 1% des Verkaufspreises gehen als Lohn an die Näherinnen, die oft bis zu 17 Stunden täglich arbeiten. Pro Sweatshirt haben sie nur 6,6 Minuten Zeit, und das für rund 35 Euro Monatslohn. Die Zahlen sind untragbar und schockieren. Auch Anna. Bereits in der Oberschulzeit, nachdem sie erstmals mit dem „Schwarzbuch Markenfirmen“ konfrontiert wurde, begann sie, kritischer zu werden.

Der erste Schritt war der Besuch der Weltläden. Es sei aber hart, nur dort einzukaufen, wo es wirklich fair zugehe, sagt sie. Fair-Trade-Läden würden einmal kontrolliert, aufgrund des Booms seien aber keine Nachkontrollen möglich. Was danach passiert, wisse kein Mensch. In dem halben Jahr des selbst auferlegten Kleiderkauf-Verbotes wurde die Pankrazerin viel bewusster im Umgang mit dem Konsum. Am Anfang fiel ihr die Aktion durchaus etwas schwer. „Wenn man durch die Lauben geht, wird man überflutet mit Reizen, man sieht nur Läden“, sagt sie. Ihr war immer bewusst, dass sie zu viel einkauft. Musste sie auf jemanden warten, ging sie zu H&M. „Für zehn Euro“, erzählt Anna, während sie sich Marmelade auf ein Brötchen schmiert, „bekommt man tolle Sachen. Da bereut man den Kauf auch nicht. Aber, dass das eigentlich armselig ist, das ist einem nicht bewusst.“ Geht sie heute nach Meran, blendet sie die Läden aus, geht auf die Promenade oder in die Wandelhalle. Und zum ersten Mal sei ihr richtig bewusst geworden, wie schön die Stadt ist.

Einkaufen ist heutzutage zu einem anerkannten Hobby geworden, es liefert Befriedigung und steigert das Selbstbewusstsein. Besonders als Frau kommt einem der Gedanke, ob es nicht doch manchmal schwer fällt, sich nichts Neues zu kaufen. „Im Gegenteil“, sagt Anna. Sie finde es mittlerweile sogar fast krank, wenn sie einigen Leuten zuhöre. „H&M haben sie so schöne Blusen und Tally da haben sie auch welche, und schau, die sehen aus wie richtige Vans, sind aber keine“, ahmt die Kindergärtnerin und Fotografin einige Kaufverrückte nach. Das alles interessiere sie überhaupt nicht mehr. Für manche sei der Lebensinhalt das Einkaufen. Das sei arm, findet Anna. Ihr Zugang zum Einkaufen hat sich schon kurze Zeit nach Beginn des Experiments verändert. Man merkt, wie wichtig ihr das bewusste Konsumverhalten mittlerweile geworden ist.

Abfall oder Wiederverwertung

Jetzt, da Anna keine neue Kleidung kauft, freut sie sich, wenn sie welche geschenkt bekommt. Manchmal näht sie auch selbst etwas. Sie ist kreativer geworden, kombiniert Sachen anders, näht Teile um. Bei einem Workshop in Latsch lernte sie vor kurzem das Upcycling kennen. Die zwei Exil-Südtirolerinnen Judith Veith und Irene Nigg zeigten dort, wie man aus alten Kleidungsstücken neue machen kann. Die Mitarbeiterinnen des Berliner Labels „Вis es mir vom Leibe fällt“, das sich seit mehreren Jahren mit dem Umgestalten und Designen beschäftigt, machten im Workshop auch auf die Situation in den Produktionsländern aufmerksam. H&M beispielsweise produziert seine Stoffe in Bangladesh, deren Abfallberge säumen die Straßen. Bis ein T-Shirt auf dem Ladentisch landet, hat es schlussendlich bis zu 60.000 km zurückgelegt. Irgendwann endet es dann in der Altkleidersammlung, so wie in Deutschland jährlich etwa 750.000 Tonnen. Warum also nicht anfangen, aus Altem etwas Neues zu machen, anstatt immer mehr und mehr zu kaufen?

Anna verrät, dass sie bisher keine Probleme hatte, aber vor dem Winter habe sie Respekt. Wer weiß, ob ihre Billigschuhe bis dahin durchhalten. Auch ihre Strumpfhosen erweisen sich als Problemfälle. Sie werden wahrscheinlich nicht das gesamte Experiment überleben. Nach dem Jahr will sie so gut es geht weitermachen. „Ich achte in Zukunft nicht nur darauf, dass Kleidung fair produziert ist, sondern auch, dass keine Giftstoffe enthalten sind”, sagt sie. Darüber macht sich Otto Normalverbraucher meistens keine Gedanken, obwohl bewiesen ist, dass mehr als sechs Kilogramm Chemie für die Herstellung von einem Kilo Textilien gebraucht werden. Über 10.000 Bauern sterben jedes Jahr beim Einsatz von Pestiziden im Baumwollanbau. Anna weiß, wo sie in Zukunft einkauft: bei lokalen Herstellern. Die Firmen, bei denen man ohne schlechtes Gewissen kaufen kann, findet man auf Veranstaltungen wie zum Beispiel dem Sconsumofesta. Dieses legt sie auch anderen ans Herz. „Ich hoffe sehr, dass die Leute umdenken. Ein bisschen weniger von allem schadet niemandem“, sagt Anna.

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