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Benjamin B.
Veröffentlicht
am 16.12.2014
MeinungSATIRE

Der Flüchtling und wir

Veröffentlicht
am 16.12.2014
„Man kann nicht mit nichts hier auftauchen und etwas verlangen. Zumindest nicht ohne Hotelreservierung.” Ein Südtiroler Volksvertreter empfängt eine syrische Flüchtlingsfamilie.
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Sagen wir, eine syrische Familie, vertrieben und entwurzelt von ihrer Heimat, kommt ins kalte, verschneite Südtirol. Mit nichts als Handgepäck und Erinnerungen. An der Grenze steht ein Vertreter unseres Volkes, zwar selbst ernannt, aber das können die Flüchtlinge ja nicht wissen. Vor allem, da er aufgrund des kalten Winters keine Lederhosen, sondern Jeans trägt.

Was würde dieser Volksvertreter wohl sagen?

Etwa: Willkommen in Südtirol, ein Land zwischen Nationen, ein unterdrücktes Volk vieler Sprachen. Wir kämpfen für unsere Gerechtigkeit, seit Jahrzehnten schon, und Sie, als Vertriebene und ebenfalls der Heimat Entrissene, könnten Teil unseres Kampfes sein; denn unserer ist noch nicht verloren, und wir haben die Mittel.

Wohl kaum. Er würde sagen: Das Boot ist voll, und wir wollen noch irgendwo hin.

Und er würde sich denken: Wie sollen wir Patrioten sein, wenn das Volk, für das wir kämpfen, nicht mehr unseres ist. Wenn es nur noch aus gewöhnlichen Menschen besteht. Wie sollen sie unseren Stolz verstehen, unsere Traditionen, wo wir doch weder dieselbe Geschichte, noch dieselben Probleme teilen.

Und die Flüchtlinge würden sich wundern. Über den Wohlstand, über die Heerscharen an Touristen, die dieses Land unterbringen kann. Und vielleicht würden sie sich fragen, wo die Ungerechtigkeit liegt, von der dieser Volksvertreter gesprochen hat.

Und würden sie ihn fragen, dann würde er sie zum Siegesdenkmal begleiten und zum Mussolinirelief. Er würde sagen, dass – sieht man genau hin, und kennt sich aus mit unserer Geschichte – wir nie ernstgenommen, immer provoziert und in unserer Souveränität betrogen wurden.

Würde ein Flüchtling daraufhin fragen, ob – würde er sich Lederhosen kaufen und einen Dialekt seiner Wahl aneignen – man dann wohl Flüchtlinge wie ihn in dieses prächtige Land aufnehmen würde – der Landesvertreter würde auf die Mehrheit verweisen:

„Wir können es uns nicht leisten“, würde er sagen. Wobei er vermutlich noch ausführen würde: „Wir haben unser Land schon mit den Italienern geteilt.“

Und würde der Flüchtling fragen, ob – sollte Südtirol seine absolute Selbstbestimmung, auch in finanzieller Hinsicht, gewährt werden, oder sich diese an sich reißen – man dann wohl Flüchtlinge wie ihn in dieses prächtige Land aufnehmen würde – der Volksvertreter würde auf die stille Mehrheit verweisen:

„Wir können es uns nicht leisten. Unser sozialer Frieden kann keine Wirtschaftsflüchtlinge und andere unterbringen. Auch falls Sie kein Krimineller sind, glauben Sie mir, Sie wollen gar nicht bleiben. Sie würden sich regelmäßig in der Zeitung wiederfinden – als Sammelbegriff. Man würde Sie schief anschauen, skeptisch sein und misstrauisch. Wir sind ein Land mit hoch entwickelten Werten, hart arbeitenden Leuten, ganz bodenständig. Aber es liegt nun mal eine tiefe Angst in uns. Das verstehen Sie doch, angesichts unserer Geschichte, oder? Auch wenn wir wollten, wir Südtiroler haben etwas Provinzielles an uns. Wir fühlen uns geborgen in unserer überschaubaren Umgebung. Politisch könnte man es niemals durchsetzen. Es fehlt einfach an Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft. Niemand würde für Sie aufstehen. Und wirtschaftlich – das würde das Bild Südtirols und seiner liebenswert-rustikalen Art stören. Der Standort Südtirol ist nun mal das Wertvollste, was wir haben.”

„Aber man kann nicht mit nichts hier auftauchen und etwas verlangen. Zumindest nicht ohne Hotelreservierung.”

Man könnte einem zynischen Volksvertreter noch unterstellen, dass er es für vernünftiger halten würde, jene Flüchtlinge, die aus Hunger und Perspektivlosigkeit und nicht aufgrund von Verfolgung und Krieg geflohen sind, etwas weiter im Süden zu behalten. Immerhin wäre es trotzdem noch eine Verbesserung ihres Lebensstandards, könnte er sagen. Man müsse ja nicht immer gleich das Beste wollen, gleich in das reichste Land gehen. Das wäre Italien uns doch schuldig, diesen Gefallen. Und sollte jemand wirklich wertvoll sein, kann er sich ja hocharbeiten: von Lampedusa über Rom, Verona, Trient und dann nach Südtirol. Aber man kann nicht mit nichts hier auftauchen und etwas verlangen. Zumindest nicht ohne Hotelreservierung.

Man könnte noch entgegenhalten, dass auch Südtirol als Wirtschaftsflüchtling betrachtet werden könnte, sollte es von Italien loskommen. Dass Kriminalität ein Symptom von fehlender, nicht von zu viel Integration ist. Dass Integration nicht bedeutet, jeder müsse so werden wie wir, sondern dass es bedeutet, wir gehen auf andere zu und mit ihnen so um, als wären sie ein Teil von uns. Dass gerade unsere ländlichen Gegenden von Abwanderung bedroht sind und wir eigentlich Zuwanderung bräuchten. Der Volksvertreter würde antworten: Nein, wir nicht. Wir Südtiroler kommen ganz alleine klar. Wir brauchen so etwas nicht.

Nur blöd, dass wir Südtiroler den Brenner haben. Diesen Standortnachteil, wenn es um europäische Flüchtlingspolitik geht. Und der Volksvertreter würde lächeln: „Sehen Sie, wären wir bei Österreich, hätten wir das Problem nicht. Da wäre im Süden alles dicht.“

Und ja, es ist nicht immer leicht, ein Südtiroler Volksvertreter zu sein, wenn auch manchmal schon recht bequem.

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